Anders sein und Spaß dabei
Über Lauren Groffs Landkomunen-Roman „Arcadia“
Von Thomas Neumann
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Romanhandlung setzt einige Jahre nach Woodstock ein. Die 1968er-Bewegung hat sich in Teilen der Gesellschaft radikalisiert, hat den Marsch durch die Institutionen begonnen oder sich auf das Land zurückgezogen um alternative Gesellschafts- und Lebensmodelle auszuprobieren. Dies passiert in Westeuropa ebenso wie in Amerika. Lauren Groff, bekannt durch ihren grandiosen Roman „Die Monster von Templeton“, hat sich in das Abenteuer begeben, das Leben einer Landkommune zu beschreiben. Die Erzählperspektive wird von einem der jüngsten Mitglieder der Kommune eingenommen, von Bit. Er wurde in dem alternativen Projekt geboren und ist zu Beginn der Erzählung fünf oder sechs Jahre alt. Bit beschreibt uns die Ereignisse in einer Mischung aus kindlicher Naivität und aufgeklärt-zurückgelehnter Abgeklärtheit. Lauren Groff lässt Bit von den verschiedenen Personen erzählen, von dem charismatischen Anführer Handy, von seiner Mutter Hannah und seinem Vater Abe, der nach einem Sturz bei der Reparatur des Daches des Gemeinschaftshauses der Kommune im Rollstuhl landet. Und von seiner ersten Liebe, der wilden Tochter des Anführers.
Bit bleibt immer gelassen. Das Leben in der Kommune ist nicht leicht. Man könnte es eher als arm und hart beschreiben. Selbst die Nachbarn, strenge Amish-People, helfen den Hippies in der Landkommune, damit sie im Winter nicht verhungern. Der Zuwachs der Kommune stellt die Gemeinschaft vor immer größere logistische Probleme. Was als ein Modell für eine neue Gesellschaft gedacht war, scheitert in kleinen Schritten an den Anforderungen der Wirklichkeit. Und dass der Anführer Handy nur durch Worte und weniger durch tatkräftiges Mitarbeiten auffällt, befördert letztendlich den Zerfallsprozess der Gemeinschaft. Alles dies wird von Bit als Kind und als Jugendlicher präzise beschrieben. Das Scheitern der Kommune ist der erste Bruch im Leben des Erzählers, der daraufhin das erste Mal überhaupt den Raum der geschützten Gemeinschaft verlässt und mit seinen Eltern zurück in die „Zivilisation“ zieht. Seine Mutter Hannah beschreibt das Leben in der Kommune treffend als kein alternatives Lebensmodell, sondern einfach nur als „hart und arm“ – was der Wirklichkeit ziemlich nahe kommt.
Groff macht dann einen Sprung in der Erzählung. Bit ist Professor für Fotografie und mit seiner Jugendliebe aus der Kommune verheiratet, beide haben eine Tochter. Aber eine seltsame Spannung liegt auf Bit, der immer noch viele Verhaltsweisen, Prägungen und Welterklärungsmuster aus seiner Kommunenzeit mit sich herumschleppt. Und das Ende des Romans ist dann auch noch eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, als Bit das langsame Sterben seiner Mutter Hannah begleitet. Und gerade hier wird das meisterhafte Erzählen von Groff deutlich, ebenso wie die treffend den poetischen Ton nachempfindende Übersetzung von Judith Schwaab.
Für Bit ist der Tod seiner Mutter auch ein Abschied von Arcadia, der Kommune in der Vergangenheit, die mit ihren gesellschaftlichen Entwürfen eine seltsam mächtige Wirkung in die Gegenwart hinein entwickelt hat, gleichzeitig aber auch positiv durch den Protagonisten in die Gegenwart hinein wirkt, etwa wenn er seine Studenten in seinem Fotokurs nicht nur das Fotografieren lehrt, sondern auch den Versuch unternimmt, die Wahrnehmung der Studenten mit einem „digitalen Fasten“ zu verändern: „Er liest Sylvies Bericht über ihr digitales Fasten dreimal, bevor er ihn wieder weglegt. Ihre enge, winzige Handschrift bedeckt die ganze Seite. Sie beschreibt, wie einsam sie sich gefühlt hat, als sie alle digitalen Geräte ausgeschaltet hatte, wie abgeschnitten von dem Leben, das sie kannte. Ein wenig geriet sie in Panik, dachte, was wohl geschähe, wenn ihr Vater einen Herzanfall erlitt oder ein Professor ihr eine wichtige Nachricht schickte, und um dieser Angst zu entkommen, machte sie einen langen Spaziergang. Es war seltsam, ohne Musik in den Ohren herumzulaufen. Die Stadt kam ihr so laut vor, und mit den Geräuschen nahm sie auch andere Dinge wahr, den Geruch der heißen Brezeln auf dem Imbisswagen, den Blauton im aufsteigenden Dampf über einem Gully.“ Von diesen genau beobachteten Momenten findet man viele in „Arcadia“ und es ist neben einem hervorragend erzählten Roman, einer zeitgeschichtlichen Studie aus der Kommunardenzeit auch eine gelungene Beschreibung von alternativen Gesellschaftsentwürfen. Dass die Person des Protagonisten Bit ebenfalls ein liebenswürdiger Charakter ist, macht den Roman umso sympathischer. Von Lauren Groff ist noch viel zu erwarten.
|
||