Bart – Kapital – ‚Nischel‘

Der Bildband „Ikone Karl Marx“, herausgegeben von Elisabeth Dühr

Von Stephan KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Trias, die der Titel zugespitzt andeutet, wird in dem Katalogband „Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult“ zwar so nicht benannt, doch finden sich – natürgemäß sozusagen – Verweise, Darstellungen und Abbildungen zu allen drei. Denn etwa durch solche Stichworte, zu ergänzen beispielsweise durch das Manifest, die 1848er Revolution und weitere Namen wie Friedrich Engels oder Lenin, lässt sich der Ikonisierungsprozess umreißen, den der Band reich illustriert dokumentiert und ausführlich erläutert. Es sind typische Kennzeichen der Figur Marx, sein markanter Bart, sein Werk, namentlich seine Hauptwerke, und das Konterfei insgesamt, die massiven Anteil haben an einer Bild- und Abbildungsgeschichte, die beim jungen Studenten und Revolutionär beginnt, zur Kommunismus-Ikone und schließlich bis zum ironisch als ‚Nischel‘ titulierten 40 Tonnen schweren Marx-Kopf reicht, der ausdrücklich im Chemnitzer Zentrum stehen gelassen wurde.

2013 war auch Marx-Jahr. Zu begehen war der 130. Todestag des Philosophen. Seine Geburtsstadt Trier tat dies im Stadtmuseum Simeonstift mit der viel beachteten Ausstellung „Ikone Karl Marx“ (17. März – 18. Oktober 2013). Der umfangreiche Katalog dazu ist im Verlag Schnell und Steiner erschienen. Er bietet eine vollständige Übersicht über die in Trier ausgestellten ikonischen Marx-Bilder und weist so überzeugend nach, was der Titel der Ausstellung und des Kataloges behaupten: Die weltweit vorfindbaren bildlichen Marx-Darstellungen formen aus der historischen Person eine Figur, die letztlich eigentlich bereits eine eigene bildliche Existenz besitzt. Die partielle und dennoch weitgehende Ablösung dieser Figur von der historischen Person Karl Marx erfolgt dabei durch eine wesentliche Identifikation des bildlich dargestellten Marx mit seinen philosophischen und politischen Ideen. Hinzu kommt der polit-propagandistische Einsatz der Marx-Bildnisse, durch den diese letztlich zum Emblem der in den staatssozialitischen Ländern regierenden Einheitsparteien und auch der dortigen politischen und gesellschaftlichen Ordnungen werden. Gerade von diesen Emblematisierungen her rührt die Verwendung des Marx-Konterfeis als ikonisches Zeichen auch in der Öffentlichkeit kapitalistischer Länder, letztlich bis heute etwa auch als „Vernutzung […] in kommerziellen Werbeanzeigen“, wie Rudi Maier in seinem Aufsatz bemerkt.

Diese Bildgeschichte der Marx-Darstellung und ihre zahlreichen Spielarten und Nebenwege lässt sich sehr gut anhand des umfangreichen Bildteils nachvollziehen. Rund 85 Prozent des Bandes bilden den Katalogteil, der weitere präzise und doch informativ knapp gehaltene Erläuterungen der Einzelexponate enthält, bei Ausstellungskatalogen leider nicht unbedingt Standard, sodass dies hier durchaus erwähnt werden soll. Darunter finden sich Porträtbilder genauso wie Briefmarken, durch Marx-Porträts dekorierte Gruß- und Postkarten und Porzellanteller mit Marx-Bildnis sowie, fotografisch dokumentiert, Statuen, Standbilder und Büsten, etwa das Moskauer Marx-Denkmal von Lew Kerbel, der auch das Karl-Marx-Städter (seinerzeit) Denkmal schuf oder Ludwig Engelhardts Berliner Marx-Engels-Denkmal sowie die Marx-Installation von Ottmar Hörl aus mehreren einen Meter großen Marx-Figuren, die im Mai 2013 an der Porta Nigra in Trier aufgestellt wurden.

Dem Bildteil vorangestellt sind vier Essays, die jeweils einen Aspekt der Geschichte der Marx-Darstellung und von deren Ikonisierung genauer beleuchten. Der Beitrag von Beatrix Bouvier, einer der beiden Kuratorinnen der Ausstellung, untersucht die Anfänge dieser Prozesse anhand der ersten Fotografien, für deren Verteilung Marx teilweise selbst gesorgt hatte. Bouvier verbindet dabei die Bildwerdung des an Bekanntheit gewinnenden Marx mit der Ikonisierung von dessen Bildnis im Rahmen der Arbeiterbewegungen des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Beitrag der zweiten Kuratorin, Barbara Mikuda-Hüttel, behandelt Karl Marx und den „Aufstieg und Fall einer Bild-Ikone in der Sowjetunion und in der DDR“. Sie stellt nicht nur die Schlüsselepoche der ikonischen Marx-Bilder sehr informativ dar, sondern beschreibt auch eindrücklich die (von vornherein entschiedene) ikonische Konkurrenz beziehungsweise das Nebeneinander, die sich in dem (bekannten) „Vierköpfe-Bildnis“ von Marx, Engels, Lenin und Stalin ausdrücken, das zur emblematischen Illustration des Stalinimus wurde. Rudi Maiers Artikel behandelt kritisch die (vereinfachende) Indienstnahme von Marx-Bildern und auch eines bestimmten Marx-Images in den kommerziellen Reduzierungsvorgängen der Werbeindustrie und weist geschickt die darin aufgehobenen gesellschaftlichen und politischen Diskurse der jeweiligen Epoche auf. Dorothée Henschels Text schließlich beschreibt die Marx-Rezeption im Web 2.0 und zeigt beispielhaft, wie diese bei Wikipedia, Facebook und Youtube funktioniert.

„Ikone Karl Marx“ macht die Abbildungsgeschichte deutlich, die sich an die Person Karl Marx knüpft, die diese Person jedoch nur zum Teil meint. Vielmehr erweist sich in dem umfangreichen Überblick über die zahlreichen Darstellungen die (folgenreiche) Aufladung der Bildnisse mit je zu kontextualisierenden Bedeutungen. Dies vorzuführen und zu interpretieren, ist das Verdienst dieses sehr empfehlenswerten Bildbandes.

Titelbild

Elisabeth Dühr (Hg.): Ikone Karl Marx. Kultbilder und Bilderkult.
Verlagsgruppe Schnell & Steiner, Regensburg 2013.
325 Seiten, 34,95 EUR.
ISBN-13: 9783795427023

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