Ein Spiegel von Allem

Neil MacGregors Bericht über „Shakespeares ruhelose Welt“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Neil MacGregors Buch über „Shakespeares ruhelose Welt“ einen Bericht zu nennen, ist maßlos untertrieben. Was kann aber ein Autor, der mit seinem Buch über die „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ einen Bestseller gelandet hat, einem solchen Erfolg folgen lassen? Nur ein weiteres Weltpanorama. Und hier kommt dann Shakespeare ins Spiel. Er ist der Protagonist, der im sechzehnten Jahrhundert die Welt, den Umbruch und die Veränderung der Welt spiegelt. Und genau wie in der „Geschichte der Welt in 100 Objekten“ gelingt es MacGregor, die Zeit und das Personal einer Gesellschaft um 1600 zum Sprechen zu bringen. Zugrunde liegt die Figur Shakespeares, der in seinen Dramen und Komödien die Welt darstellt, ein Autor und Literat, der sich für alle Neuigkeiten seines Kosmos interessiert, der alle Schichten der Gesellschaft kennt und deren Leben und Probleme in seinen Texten zum Leben erweckt. Dass für diese Vielfalt des Lebens in seiner Literatur Platz ist, hat letztendlich mit dem Umbruch der Welt zu tun. Allein die Theaterlandschaft hatte sich in den 1570er-Jahren in England von einer vor allem exklusiven, adeligen Sonderveranstaltung zu einem Wirtschaftmodell entwickelt, mit dem man durchaus Geld verdienen konnte. Nicht nur als Theaterunternehmer, sondern auch als Schriftsteller. Und in den neuen Theatern gab es Platz für alle gesellschaftlichen Schichten.

MacGregor führt den Leser direkt in die Geschichten von „Shakespeares ruheloser Welt“ hinein, macht Geschichte vorstellbar und verknüpft sie mit der Gegenwart. Zu den Theatern und den Städten, den Vergnügungen, den gesellschaftlichen und persönlichen Interessen und zu den neuen kulturellen Möglichkeiten, die der gesellschaftliche Umbruch mit sich bringt, zeichnet er plastische Bilder für den Leser und lässt die Motivation der handelnden Personen deutlich werden. Er zeigt außerdem die Triebfedern des gesellschaftlichen Handelns der Zeitgenossen Shakespeares: Geld und Gewinn. Und damit einhergehend die Beschleunigung der Zeit, die Veränderung des Zeitempfindens. Shakespeare spiegelt diese Veränderungen in seinen Stücken, lässt im „Sommernachtstraum“ Oberon die Geschwindigkeit thematisieren: „Schneller als die Monde kreisen, Können wir die Erd’ umreisen“. Shakespeare ist dabei nicht weit von Francis Drake entfernt, der kurz zuvor im Auftrag seiner Investoren und der Königin die Erde umrundete und mit erheblichem Gewinn wieder in England eingetroffen war. MacGregor liefert eine Vielzahl von Beispielen, wie Poesie mit Wirtschaft und Gesellschaft verknüpft ist – und warum Shakespeare ein Spiegel dieser neuen Welt, einer Welt im Umbruch, ist.

Dem Buch ist eine BBC-Rundfunkserie vorangegangen, die sich mit Shakespeare und der elisabethanischen Zeit beschäftigt hat. Das Buch zur Serie ist jetzt in hervorragender Ausstattung und Qualität, mit vielen Abbildungen und vielen Exkursen in einer guten deutschen Übersetzung erschienen. Es ist sehr beeindruckend, wie der Autor sein Buch aufbaut, Gegenstände aus der Schatzkammer seines Museum hervorholt, Shakespeares Ausführungen integriert und immer noch einen Exkurs zu einem weiteren wichtigen Aspekt der Geschichte hervorzaubert – ohne jemals den Faden und den Kern des Buches aus dem Auge zu verlieren. Besonders charmant wird es im letzten Kapitel, wo dann noch Nelson Mandela und Marcel Reich-Ranicki mit ihren Shakespeare-Bezügen als Zeugen hinzugezogen werden. Auch hier schafft MacGregor die reibungslose Integration in die Fabel des Buches. Zusammenfassend eines der zehn wichtigsten und interessantesten Sachbücher des Jahres, spannender als die meisten Romane. Und gerade wegen der „100 Gegenstände“ eine echte Überraschung.

Titelbild

Robert Neil MacGregor: Shakespeares ruhelose Welt.
Übersetzt aus dem Englischen von Klaus Binder.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
347 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406652875

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