Die NSDAP als „Heimat“

Zu dem von Thomas F. Schneider herausgegebenen Band über die „von Westernhagens“ im ,Dritten Reich‘“

Von Albrecht Götz von OlenhusenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Götz von Olenhusen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viele Adelsfamilien hätten Grund, Ihre privaten Archive für die Zeitgeschichtsforschung zu öffnen, wie Volkswagen,[1] die Deutsche Bank (2003),[2] die Oetkers [3] und andere große Firmen es – allerdings mit einiger Verspätung – getan haben, auch wenn nicht nur Beschämendes, sondern Erschreckendes zum Vorschein kommen könnte. Dass dies wohl der Fall wäre, ist der umfassenden Studie Stephan Malinowskis „Vom König zum Führer“ entnehmen.[4] Sie kommt auf empirischer Basis zu dem Schluss, dass es vom Kleinadel, inklusive die Familien der Angehörigen des 20. Juli, bis zum Hochadel kaum eine adlige Familie gab,[5] die die NSDAP nicht unterstützte. Bis auf die Autorin, Dörte von Westernhagen, hat es bis heute kein Angehöriger einer dieser Familien gewagt, deren Geschichte im Dritten Reich darzustellen.[6] Was die Autorin bietet, sind zehn detailliert recherchierte exemplarische Lebensläufe, eingebettet in die jeweiligen Bereiche der NS-Herrschaft ab 1933: – Der Generalstäbler aus dem Ersten Weltkrieg, freiwillig reaktiviert; 1942 in der besetzten Ukraine Bezirkskommandant von Kriegsgefangenenlagern, aus denen die Toten mit Schubkarren rausgefahren wurden; der beim Vormarsch der Russen auf Berlin noch ein Volkssturmbattailon aufstellte; im Mai 1945 mit Kopfschuss aus der Havel geborgen. Der Zahnarzt, Monarchist und eingefleischte Judenhasser, der durch Ersten Weltkrieg und Inflation sein Vermögen verlor, 1924 in die NSAP eintrat und in Hitler den Erlöser von allem Übel sah. Der Leutnant, der sich 1918 den Freikorps anschloss, 1922 mit eigener SA-Schlägertruppe Straßenterror in München und Umgebung verbreitete. Der Erste Weltkrieg-Major, der bereits in den 1920er-Jahren die Zeichen der Zeit erkannte und den Familienverband ins braune Fahrwasser führte. Der arbeitslos gewordene Diplomkaufmann, der in der SA bis zum Standartenführer aufstieg und als Wehrmacht-Major an der Deportation der Juden von Rhodos beteiligt war. Der Lehrer, der Flak-Offizier auf Kreta wurde, 1937 in die NSDAP eintrat, aber eigentlich ein Mitläufer, der 1945 sein Zuhause schon erreichte hatte, aber vom NKWD verhaftet, erst nach fünf Jahren aus Russland zurückkam. Der Leutnant, vor dem Ersten Weltkrieg Rennreiter, der auf den zweiten Krieg keine Lust hatte und am Ende als Deserteur von SS erschossen wurde. Der arbeitslose Seemann, der eine Karriere in der Waffen-SS machte und 1941 am Asowschen Meer an der Ausrottung der jüdischen Gemeinden beteiligt war. Schließlich ein Westernhagen ohne „von“, der dem Arbeiterwiderstand angehörte, verurteilt wurde und im Gefängnis saß. Mit ihm will die Autorin zeigen, dass andere Alternativen möglich waren.

Diese eindrucksvolle Pilotstudie bringt mehr als eine anschauliche Ergänzung zu Malinowskis überzeugendem Befund, wonach „die stärksten Impulse zur Radikalisierung von den wirtschaftlich bedrängten ‚Rändern‘ des Adels ausgingen … der ruinierte Kleinadlige, der in der NS-Bewegung neben ideologischem Halt auch neue soziale Perspektiven suchte und fand, der zweifellos häufigste Typus unter den Adligen, die vor 1933 in die NSDAP eintraten.“

Die familiäre historisch-kritische Binnenperspektive, die die Autorin nach „Die Kinder der Täter“ (1983) hier mit stilistisch nüchterner Eleganz und Distanz gegenüber der Elterngeneration einnimmt, ermöglicht tiefe Einsichten in Kontur und Kontext von Familienhistorie in ihrer meist ungehemmten Anpassung, Ambivalenz und Fähigkeit, dem rechten Zeitgeist zu huldigen, tradierte Autoritätsmentalitäten relativ bruchlos auf neue Instanzen zu übertragen – in häufiger Mischung von ideologischer Überzeugung, Opportunismus und Karrieredenken. Solche Arbeiten öffnen auch den Blick auf den nach dem 2. Weltkrieg durch die Angehörigen des 20. Juli produzierten Mythos von einer zum Nationalsozialismus in Abneigung oder Gegnerschaft befindlichen Gruppierung, dem sich viele Angehörige dieser Schicht zur Exkulpation zu nutze machen konnten.

[1] Hans Mommsen mit Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, Düsseldorf 1996.

[2] Klaus-Dieter Henke (Hg.) Die Dresdner Bank im Dritten Reich; in vier Teilbänden, München 2006

[3] Andreas Wirsching, Dr. Oetker und der Nationalsozialismus. Geschichte eines Familienunternehmens 1933-1945, München 2013.

[4] Stephan Malinowski, „Vom König zum Führer. Deutscher Adel und Nationalsozialismus“, Berlin 2003.

[5] Mit Ausnahme des katholischen Adels Süddeutschlands.

[6] Eckart Conze: „Von Deutschem Adel. Die Grafen Bernstorff im 20. Jahrhundert“, 2000, untersucht, wie ein Zweig der Bernstorffs die Güter durch die Fährnisse des Jahrhunderts brachte, wobei die Jahre 1933-1945 mit behandelt werden. Das Buch von Claus H. Bill/Hans Georg Heydebreck „750 Jahre Heydebrecks“, 2oo4, ist eine typische Familienchronik, die kurz benennt, was nicht umgangen werden kann, ansonsten beschönigend wirkt.

Titelbild

Dörte von Westernhagen: Von der Herrschaft zur Gefolgschaft. Die von Westerhagens im "Dritten Reich".
Herausgegeben von Thomas F. Schneider.
V&R unipress, Göttingen 2012.
302 Seiten, 46,90 EUR.
ISBN-13: 9783899719697

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