Höchststrafe: Leben

Trix Niederhauser erzählt in „Denn vom Trauern kommt der Tod“ eine mörderische Lebensgeschichte

Von Frank RiedelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Riedel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die 1969 geborene Schweizer Buchhändlerin Trix Niederhauser, die im Emmental zu Hause ist, denkt sich gerne Geschichten aus. Der Liebesgeschichte „Das Tantenerbe“ (2012) und dem eBook „Halt mich fest“ (2013) folgt nun im gleichen Jahr ihr erster Kriminalroman „Denn vom Trauern kommt der Tod“.

Brunhilde, die Protagonistin, wurde zwischen den Weltkriegen in eine religiöse, durch und durch geizige Familie hineingeboren. Sich auf Kosten anderer zu bereichern war eine Familienkrankheit, jeder hatte zeitlebens seine Verstecke, Geheimnisse und „Leichen im Keller“. Der Großvater war ein antisemitischer, korrupter Pfarrer mit pädophilen Neigungen, „der verkörperte Zorn Gottes“, die Mutter sehr gläubig, bibelfest und streng, der Vater ein charmanter Lebemann mit Alkoholproblem und einer abgöttischen Vorliebe für Richard Wagner. Weshalb die ältere Schwester Eva, die schnellstmöglich das elterliche Haus und den grapschenden Großvater hinter sich ließ, der ältere Bruder Siegfried und das dritte Kind eben Brunhilde hieß. Die Familie besaß einen Gemischtwarenladen, der sich im Wohnhaus befand.

Brunhildes Kindheit bestand dementsprechend aus Beten, im Laden Aushelfen und mütterlichen Züchtigungen mit dem Gürtel. Zimmer wie Alltag waren karg. Die einzige Freundin, Lotti, muss 1933 fliehen, nicht zuletzt, weil Brunhildes Vater deren jüdische Kaufmannsfamilie aus Habgier denunziert. Der Opa stirbt bei einem Unfall. Als der Vater im Krieg seinen Mann stehen muss, hilft eine Cousine vom Lande im Laden aus, wird bei den Heimaturlauben des Vaters schwanger und muss wieder verschwinden. Als die Protagonistin ihren kriegsmüden Vater nach Hause holt, verunglückt dieser tödlich.

Mit einem amerikanischen Soldaten erlebt die naive Brunhilde ihr erstes Mal, wird für ihn zur Episode und schwanger. Das Kind wird noch im Mutterleib von der eigenen Oma weggeprügelt. Desillusioniert gibt die Krämertochter dem Drängen von Mutter und Schwiegereltern nach und feiert mit dem langweiligen, reichen Apothekersohn Konrad Schwarz eine traurige Hochzeit mit einer erbärmlichen Hochzeitsnacht. Nun kocht sie für drei Haushalte und arbeitet weiterhin unbezahlt im Lebensmittelladen mit.

So selbständig Brunhilde auch wird, „es ist zu spät das Leben zu leben“. Ihre Mutter stirbt bald nach den Schwiegereltern an Kreislaufversagen. Konrads Verhältnis mit einer Angestellten bringt Karl zur Welt, der auf eine Initiative des Bruders Siegfried als falsches Kuckuckskind vom Apothekerpaar aufgezogen wird. Als nächstes stirbt Siegfried eines plötzlichen Todes und Konrad geht weiter fremd – mit erneuten Folgen. Karl, der falsche Sohn, bekommt sein Leben nie in den Griff. Er überlebt seine Ziehmutter, aber diese hatte ihm sowieso einen „Tod durch Leben“ gewünscht.

All diese Ereignisse und Erfahrungen – Niederhauser scheint kein Klischee auszulassen – hat Brunhilde fein säuberlich mit Beweisen und Erläuterungen in dem roten Heft, welches ihr ihre Freundin Lotti geschenkt hatte, festgehalten und stets perfekt versteckt aufbewahrt.

Die Autorin bettet die befremdliche Lebensgeschichte ihrer trotz all dieser Prägungen liebenswert wirkenden, 80-jährigen Protagonistin in deren Alltag in der Seniorenresidenz ein. Dort scheint die alte Dame aufzublühen, während sie durch das Altersheim wandelt und auf den Schiele-Nachdrucken in den Gängen nach und nach die Fratzen ihrer Familienmitglieder erkennt. Sie lästert, schikaniert und heckt im Heim wie anderswo böse Omastreiche aus, bei denen sie höchst erfreut hilfsbereite und gutgläubige Menschen ins Bockshorn jagt. Ja, Brunhilde hat einiges auf dem Kerbholz, wenngleich sie heute wie damals zu brav wirkt, um der Polizei oder anderen verdächtig zu erscheinen.

Regionale Bezüge sprachlicher oder kultureller Art fehlen diesem Krimi-Erstling, in dem auch die Spannung deutlich zu kurz kommt. Sprachlich dominieren Bibelzitate, kriminalistisches Fachvokabular des Strafvollzugs wird wenig einfallsreich auf Alltagserfahrungen übertragen. Leicht zu erkennen, dass Brunhilde denkt, bereits mit ihrer Geburt die Höchststrafe erhalten zu haben: ihr freudloses Leben. Die Schuld für dieses Urteil arbeitet sie dann Tat für Tat ab. Lediglich wer makabre Geschichten mag und sich an dreisten Rentnerinnen erfreuen kann, wird in „Denn vom Trauern kommt der Tod“ eine unterhaltsame Lektüre vorfinden.

Kein Bild

Trix Niederhauser: Denn vom Trauern kommt der Tod. Kriminalroman.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach (Taunus) 2013.
303 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413535

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch