Theater, quo vadis?
Franziska Schößler analysiert Tendenzen von Drama und Theater im wiedervereinigten Deutschland
Von Vanessa Renner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweisePrekär, interkulturell, intermedial – mit diesen Schlagworten beschreibt Franziska Schößler, Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Trier, die Situation des deutschen Theaters der Gegenwart. Ihr 300 Seiten starker Band liefert interessante Einsichten zum aktuellen Theatergeschehen. Dabei nimmt Schößler sowohl das Theater als Institution, als Arbeitsplatz mit seiner spezifischen Organisation, als auch gegenwärtige Theaterstoffe, Inszenierungen und ästhetische Praxis, in den Blick. Das Ziel ihrer Publikation sei, so formuliert die Autorin, in einer ersten Annäherung, das heißt über die Analyse von Einzelfällen, den Zusammenhang von Institution und Ästhetik aufzudecken.
Dieses Ziel verfolgt sie in vier Kapiteln, wobei jedes Kapitel ein Thema behandelt: Ökonomie in und auf dem Theater, Referentialität, also die Rückkehr des Dokumentartheaters, Interkulturalität und Intermedialität sind die Bereiche, innerhalb derer Schößler zentrale Entwicklungslinien von Theater und Dramatik der vergangenen zwanzig Jahre identifiziert.
Methodisch arbeitet Schößler mit der Analyse von Dramentexten und Inszenierungen ebenso wie mit Fallstudien und qualitativen Interviews. Damit verbindet sie die Werkzeuge verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen – von Germanistik, Theaterwissenschaft und Soziologie – miteinander. Eine Notwendigkeit, so die Autorin, denn die Frage nach dem Zusammenhang von Institution und Ästhetik verlange einen interdisziplinären Ansatz. Dementsprechend zieht sie in ihren Ausführungen Erkenntnisse verschiedener Wissenschaftsgebiete heran.
Die nach der Wiedervereinigung rasch voranschreitende Prekarisierung von Theaterarbeit steht als zentrale These im Mittelpunkt des ersten Kapitels „Ökonomie“. Der Abbau von Ensemblestrukturen, die abnehmende Arbeitsplatzsicherheit für Schauspieler sowie deren geringere Bezahlung sind nach Schößler Indikatoren für den „Rationalitätsmythos der Effizienz“, dem sich das Theater beuge. In negativem Sinne beeindruckend sind an dieser Stelle die Ergebnisse von qualitativen Interviews über die Arbeitsbedingungen an deutschen Theatern. Sie geben in großer Anschaulichkeit Aufschluss darüber, dass „insbesondere weibliche Theaterarbeit als ungesichert, schlecht bezahlt und zeitlich begrenzt gelten“ muss.
Doch Schößler beschränkt sich beim Thema Ökonomie nicht auf die Institution Theater und deren Bedingtheit. Vielmehr schlägt sie eine Brücke zu den Theaterstoffen, wenn sie feststellt, dass die Prekarisierung der eigenen Arbeit von Künstlern zusammenfällt mit der Wahl der gezeigten Stücke. So identifiziert die Wissenschaftlerin ab dem Jahr 1997 Arbeitslosigkeit, Wirtschaft und Geld als Lieblingsthemen an Stadttheatern und in der freien Szene. Als Beispiele analysiert sie Inszenierungen von Werken Elfriede Jelineks.
Ähnlich verfährt Schößler in den Kapiteln „Referentialität“, „Interkulturalität“ und „Intermedialität“. Anhand von Beispielen zeigt sie Entwicklungstendenzen von Theater und Dramatik auf, wobei sie institutionelle und inhaltliche, künstlerisch-ästhetische Aspekte aufeinander bezieht. So fügt sich Seite um Seite ein Gesamtbild zusammen, ein umfassender Blick auf die gegenwärtige Theaterlandschaft. „Nebenbei“ lernen die Leser in anschaulichen Schilderungen Inszenierungen, Theaterarbeiten und Festivals kennen. Denn die Autorin stellt der Analyse jeweils eine ausführliche Beschreibung voran, sodass ihre Schlussfolgerungen deutlich nachvollziehbar sind.
Der klare Aufbau, die stringente Gliederung des Bandes sowie die Überleitungen zwischen den einzelnen Kapiteln machen Schößlers Ausführungen gut lesbar und verständlich. Allein ein zusammenfassendes Kapitel am Ende, das die Ergebnisse der einzelnen Analysebereiche miteinander verbindet sowie einen Ausblick auf Desiderate und mögliche Anschlussforschung gibt, wäre für den Leser sicherlich hilfreich.
Insgesamt dürfte der Band nicht nur für mit der Materie vertraute Germanisten und Theaterwissenschaftler, sondern auch für interessierte Theaterbesucher ein Gewinn sein. Denn durch die Perspektive der Autorin wird das Theater als Institution deutlich in der Gesellschaft verortet. Auswirkungen kulturpolitischer Entscheidungen sowie ökonomischer Bedingtheiten werden sichtbar, und nicht zuletzt werden die Menschen, die mit und am Theater arbeiten, in den Blick genommen.
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