Glaube, Kult und Unheil

Klaus Vondung zieht in „Deutsche Wege zur Erlösung. Formen des Religiösen im Nationalsozialismus“ ein überschaubares Resümee seiner jahrzehntelangen Forschung

Von Christiane BarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Barz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der „Führer“ schwebt messiasgleich und wagnerumtost per Flugzeug in den Wolken über Nürnberg, durch die Straßen ziehen die erwartungsfrohen Landsmannschaften begleitet von feierlich-offizöser Symbolik (Hitlergruß, Hakenkreuzflaggen), und in der Luitpoldhalle überwältigt sakrale Monumentalarchitektur, Lichtregie und Musik die Zuschauer. Nicht nur dem, der Leni Riefenstahls NS-Parteitagsfilm „Triumph des Willens“ (1935) vor Augen hat, ohne dessen Bildmaterial kaum eine Dokumentation über die Suggestivität der nationalsozialistischen Machtausübung auskommt, wird die Nähe von Politik und Religion im Nationalsozialismus evident erscheinen. Man sieht berauschte chaotische Massen und diszipliniert auf eine Erlöserfigur ausgerichtete Formationen. Die exakte Choreografie von Raum, Symbolen, ritualhaften Handlungen und musikalischer Untermalung, die filmisch innovativen Kamerafahrten, der Wechsel von Totalen und Nahaufnahmen von Gesichtern lassen Riefenstahls Film weit über das Dokumentarische hinausgehen. Als Inbegriff des Propagandafilms ist sein emotionalisierender Aufruf sowohl zur Identifikation als auch zur Selbsttranszendenz eine weihevolle Huldigung einer an sich bereits religiös aufgeladenen Veranstaltung. Man könnte von einer doppelten Sakralisierung sprechen, mit der die Parteitagsbotschaft von Heroismus und Erlösungsgewissheit in ein quasi-religiöses Gesamtkunstwerk umgesetzt wird. Nicht von ungefähr heißt der Vorgängerfilm von 1933 „Sieg des Glaubens“.

Diesem nicht ungeläufigen Zusammenhang von Religion und Politik im Nationalsozialismus widmet sich der Germanist Klaus Vondung in seinem Buch „Deutsche Wege zur Erlösung. Formen des Religiösen im Nationalsozialismus“ und bündelt darin Bekanntes. Dem Forschungsstand wird hier nichts Neues hinzufügt, aber für eine erste Orientierung über den Gegenstand mag der schmale Band dienlich sein. Vondung vermeidet in seinem Titel mit „dem Religiösen“ die begriffsgeschichtliche Diskussion von „Religion“ und setzt sich stattdessen mit der in Deutschland umstrittenen Formel von der „politischen Religion“ auseinander. Die Dimension des Religiösen umreißt der Autor in einem Rückgriff auf die Definition Eric Voegelins, der bereits als Zeitgenosse des Nationalsozialismus dessen religiöse Anmutung diagnostizierte („Die politischen Religionen“ 1938) und später Vondungs akademischer Lehrer wird. Mit Voegelin beschreibt Vondung das Religiöse als Entgrenzungsbedürfnis des Individuums im Modus des religiösen Erlebens, in einer auf ein Göttliches ausgerichteten Seinsordnung mit eigenen Dogmen. In dieser Perspektive besitze der Nationalsozialismus nicht nur in seiner Instrumentalisierung symbolischen Sprechens und kultischer Handlungen religiöse Valenz, sondern weil seine Erhebung der „Rasse“ zum numinosen Sinnzentrum seiner Ideologie explizit religiösen Charakter habe.

Gegenüber den Kritikern dieses Begriffs in der deutschen Geschichtswissenschaft (deren angeführten Einwänden ein erstaunlich positiver Religionsbegriff zugrunde liegt) betont Vondung die Fruchtbarkeit des Begriffs der „politischen Religion“ als heuristisches Instrument, das Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie und ihrer Artikulationsformen zusammenhängend beschreibbar macht, die über den Geltungsbereich des unmittelbar Politischen hinausgehen. Weniger überzeugend ist Vondungs eigener begriffskritischer Einwand, der dogmatische Kern des Nationalsozialismus von Rasse, Blut, Volk, Reich und Führer sei nicht nur primitiv, sondern leere Projektion. Zudem sei das nationalsozialistische Credo in sich nicht homogen – Hitler, Goebbels und Rosenberg waren uneins über die religiösen Bezüge, daneben erweiterte Himmler den esoterischen Überbau (unter Anleihen von Ariosophie, Okkultismus bis Yoga) ins Sektenhafte. Man kann demgegenüber auch die Ansicht vertreten, dass Primitivität, utopischer Charakter und Inhomogenität keine Einschränkung der genuin religioiden Dimension des Nationalsozialismus sind, sondern gerade eine religiöse Deutung seiner Äußerungsformen nahelegen. Ebenso wären dessen absoluter Wahrheitsanspruch, eschatologische Verheißung, Irrationalität, Erwähltheitspathos, und auch der Legitimation von Gewalt qua apokalyptischer Geschichtsdeutung nicht als religionsfremd anzusehen.

Obwohl Vondung seine Darstellung erklärtermaßen nicht systematisch, sondern exemplarisch anlegt, werden kapitelweise historische Kernbegriffe der Religion im Hinblick auf deren Anverwandlung durch den Nationalsozialismus abgehandelt, wobei es bisweilen doch etwas knirscht. Am Plausibelsten geschieht dies am Begriff des „Glaubens“. Hier wird die umfassende Sakralisierung des Politischen besonders anschaulich. Aus der ideologischen Programmatik wird der „Glaube“ an Volk, Reich und Führer, aus einer politischen Agenda wird „Erlösung“, aus der Bevölkerung die „Volksgemeinschaft“ und aus einem Reichskanzler „der Führer“ mit messianischer Aura. Die ihrerseits in den Rang des Heiligen erhobene „Volksgemeinschaft“ legt bei Feiern, die der politischen und psychosozialen Einschwörung und Suggestion von Opferbereitschaft dienen, ihr „Glaubensbekenntnis“ ab. Zu diesem Zweck haben etwa Fahnenweihen, Vereidigungen und HJ-Appelle ihre eigenen liturgischen Formen. Vondung gibt hier anschauliche Beispiele literarischer, vorzugsweise lyrischer Glaubensbekenntnisse, etwa das „deutsche Gebet“ des Parteidichters Herbert Böhme („Wir folgen unserem Führer / als dem leibhaftig gewordenen Befehl / eines höheren Gesetzes, / das über uns und in uns schwingt“). So befremdend diese irrationale Totalvereinnahmungsbereitschaft heute anmutet, so wenig ist sie als historisches Phänomen ein Alleinstellungsmerkmal des Nationalsozialismus. Zwar verweist Vondung knapp auf die Vorläuferschaft durch die „Inflationsheiligen“, doch ist diese Traditionslinie stärker als dargestellt und nimmt der politreligiösen Melange zumindest für die Zeitgenossen ihre Exotik. Die Verbindung von Politik und Religion über den Gedanken der Apokalypse findet sich in den chiliastischen Wanderpredigern der 1920er-Jahre vorgeprägt, ebenso das Ziel eines weltimmanenten Heilszustands für den Einzelnen wie die Gesellschaft und ein Führerkult, der das Politische personalisiert. Der Nationalsozialismus konnte also bereits an Bekanntes anknüpfen, ohne allerdings die Machtferne und Organisationsfeindschaft der Inflationsheiligenbewegungen zu übernehmen.

Problematischer ist die Anwendung der Begriffe „Mystik“ und „Mythos“, die bereits in Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ unscharf voneinander geschieden sind. In seiner Kontrastierung von Rosenbergs Rassenmystik mit Meister Eckharts „genuiner“ Mystik attestiert Vondung ersterem eine verdinglichende und funktionalisierende „Fehlinterpretation“, was nicht weiter verwundert, angesichts der Karriere, die der Begriff der Mystik allein in den religionsfernen Breiten der Literatur des ausgehenden 19. Jahrhunderts bereits hinter sich hat, sodass ihm nach dem Abzug der christlich-transzendenten Dimension kaum mehr als ein ich-entgrenzender Erlebnismodus bleibt. Blut, Boden und Rasse ließen sich ebenso wie unter „Mystik“ unter dem Begriff des „Mythos“ analysieren, zumal es sich zum Beispiel bei der imaginären vorzeitlichen Hochkultur des „nordischen Menschen“ um ein klassisches mythisches Konstrukt handelt. Mit der Mythisierung des Putsches vom 9. November 1923 als Teil der nationalsozialistischen Heilsgeschichte mit eigenen Märtyrern, Reliquien (der „Blutfahne“) und kultischen Vergegenwärtigungszeremonien stellt sich das Regime in die Tradition nationaler Mythen, die die individuelle und kollektive Existenz auf einen gemeinsamen Sinnzusammenhang orientieren, wie Vondung anschaulich darstellt.

Im Umgang mit der ideologischen Literaturproduktion spricht Vondung von „Theologie“, da auf Texte keine literaturwissenschaftlichen Kriterien angewandt werden, sondern eine rein religiöse Deutung und Instrumentalisierung stattfinde. Allerdings reduziert sich die Analogie von Literatur und Theologie auf wenig mehr als den Aspekt der praktischen Theologie, da es keine kanonischen historischen Texte gibt. Hier finden Produktion und Auslegung von Literatur quasi simultan statt, indem literarisierte Bekenntnisse zum Nationalsozialismus Gegenstand einer affirmativen Exegese werden, die aus der Literaturwissenschaft eine „volkhafte Lebenswissenschaft“ machen möchte, wie es einer ihrer Vertreter formulierte.

Offiziell hatte Hitler zwar für „mystische Elemente“ und völkische Religiosität nur Hohn übrig, widersprach diese vermeintliche religiöse Rückständigkeit doch dem nationalsozialistischen Selbstverständnis äußerster Modernität, die sich nicht zuletzt in den ästhetisch und technisch avancierten Inszenierungsstrategien der Politik zeigt. In der Rückschau auf den Nationalsozialismus reduziert die heuristische Koppelung von „Religiosität“ und „Politik“ zwangsläufig die historische Komplexität beider Konnotate, doch Vondung kann in seiner Darstellung anschaulich machen, mit welchen Mitteln, Inhalten und Wirkungen die Selbstsakralisierung einer politischen Elite im Dienste eines übergeordneten Heilsplans ins Werk gesetzt wurde. Zudem ist der Text knapp gefasst, leicht verständlich formuliert und entwickelt seine Grundgedanken am konkreten Beispiel, sodass Einsteiger in die Materie von dieser Lektüre profitieren können.

Titelbild

Klaus Vondung: Deutsche Wege zur Erlösung. Formen des Religiösen im Nationalsozialismus.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
155 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783770555659

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