Konturen eines Tänzers auf dem Vulkan

Eine Briefausgabe bringt uns den saarländischen Exilautor Gustav Regler näher

Von Markus BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Markus Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schriftsteller Gustav Regler (1898-1963) konnte wohl von einer nervtötenden Gespreiztheit sein – zumindest muss man das einigen Briefen entnehmen, an denen das Künstliche, Gezwungene und nur Rhetorische unübersehbar ist. Was in dem ersten, in der vorliegenden Ausgabe abgedruckten Schreiben noch als jugendliche Pflichtübung des Schülers an den Vater besonders deutlich wird, ist in den Floskeln noch manch anderer Beispiele zu bemerken. Beim Schüler wirkt dies dann ‚altgescheit‘ und überheblich, beim Erwachsenen belehrend oder doktrinär.

Letzteres sind denn auch die vielfach zitierten negativen Äußerungen über den Schriftsteller aus dem saarländischen Merzig, der die katholische Heimat verließ und als dynamischer und erfolgreicher Autor in der kommunistischen Partei eine gewisse Stellung errang. Seine eigene Erfahrung der am Katholizismus durchexerzierten Spannung von Unbedingtheit des Glaubens und Zweifeln des Lebens diente auch später noch Kritikern als Umschreibung seines inneren Zwiespalts, als es längst um die kommunistische Partei in Zeiten der Auseinandersetzung mit dem Faschismus ging. Im Spanischen Bürgerkrieg überlebte Regler nur knapp eine schwere Verwundung und im Exil in Mexiko nahm der frühere Politkommissar der Internationalen Brigaden die Zweifel an der Partei ernst und die Konsequenzen auf sich, um nach dem Krieg als ein ‚Renegat‘, aber auch als Reisender und Essayist punktuell am bundesrepublikanischen literarischen Leben teilzunehmen.

Den Unbelehrbaren bot Reglers Abkehr vom Kommunismus Gelegenheit, dessen frühere übertriebene Parteigläubigkeit als gespielt zu kritisieren. Seinem Vater gegenüber, der in vielen Briefen als ein Gesprächspartner in allen Lebensfragen auftritt, versuchte er, dessen Vorwurf des „egoistischen Kommunismus“ zu relativieren. Der Buchhändler in Merzig sah in seinem Sohn, der noch als Jugendlicher eine besondere Nähe zur katholischen Kirche und im Ersten Weltkrieg eher zum nationalen Lager gezeigt hatte, keinen so überzeugenden Vertreter proletarischer Ideale, wie sie im Bergwerksrevier der Saar allenthalben zur Szenerie der Zwischenkriegszeit gehörten.

In den Briefen an die Mutter seiner zweiten Frau Marie Luise, deren Vater der Worpsweder utopisch-kommunistische Maler Heinrich Vogeler war, der in der Sowjetunion während des Krieges ums Leben kam, zeigt sich Regler anfangs ebenfalls recht spröde (wie es manch einem in solchen Situationen gehen mag). Aber gerade die über Jahre hinweg entstehende Serie der Briefe aus Berlin, Südfrankreich und später den Ländern des Exils machen deutlich, dass Regler durchaus lebendig, geistreich und mit Charme sich mitteilen konnte. Die Briefe an Mieke Vogeler lassen eine wirklich existenzielle Liebeserfahrung erkennen, die jenseits der agitatorisch-schriftstellerischen Lebensweise viel von dem emotionalen Menschen und seinem Enthusiasmus sichtbar machen. Es zählen Urlaubsbriefe aus Südfrankreich dazu, die den Saarländer als Genießer zeigen, der die Roma-Wallfahrt von Saintes-Marie-de-la-Mer besucht und in der Stierkampfarena von Fréjus vor Tausenden Freidenkern einen Vortrag hält. Erstaunlich ist das geringe Verständnis des politischen Kämpfers Regler für jene Bewegung, die 1936 in Frankreich Léon Blums Volksfrontregierung trägt; dennoch scheint hier auch bereits eine Ahnung von den Defiziten der kommunistischen Strategie in Deutschland auf.

Bemerkenswert sind auch die Briefe Reglers aus den beiden Jahren, in denen seine Heimat zum Austragungsort des Widerstands gegen das Hitler-Regime wurde. Seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Berlin an die Saar zurückgekehrt, war der Schriftsteller pausenlos in Parteiarbeit und Publizistik involviert. Das Saargebiet trug seit 1919 bis zur Abstimmung 1935 das Statut eines vom Völkerbund regierten Territoriums und sollte von 1933 bis zum Abstimmungstermin der Ort der im Rest-Deutschland nicht mehr möglichen Gegenwehr gegen das Hitler-Regime werden. Zahlreiche aus Hitler-Deutschland exilierte Intellektuelle, Künstler und Politiker (von Manès Sperber und Arthur Koestler über Hanns Eisler bis zu Herbert Wehner und Margarete Buber-Neumann) nahmen an diesem „Saar-Kampf“ teil. Historische Details, die kaum jemand noch kennt, etwa Reglers Interpellation beim Völkerbund in Genf gegen die Drohungen Nazi-Deutschlands, präzise Zeichnungen der Situation der Arbeiter in den Dörfern und der Denkweise vieler Saarländer machen diese Briefe zu hoch interessanten Großaufnahmen historischer Konstellationen und Entwicklungen in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg. In jener Zeit schrieb Regler seinen heute noch lesbaren Saar-Roman „Im Kreuzfeuer“, in den viel von diesen Erlebnissen einfloss. Dieses Werk des Exils gilt heute vielfach als Beleg für die falschen Entscheidungen der KPD am Beginn des Hitler-Regimes, da anfangs im Saarkampf noch gegen eine Einheitsfront mit der SPD agitiert wurde. Dennoch lässt sich der literarische Gehalt des unter dem Druck der Entwicklungen geschriebenen Romans nicht allein auf diese Fragestellung verkürzen.

Mit dem desaströsen Ergebnis der Abstimmung, bei der über 90% der Abstimmenden für die Rückkehr nach dem bereits seit zwei Jahren von den Nationalsozialisten beherrschten Deutschland stimmten, war für Regler die endgültige Flucht nach Frankreich unumkehrbar. Er spielte eine exponierte Rolle am legendären Schriftstellerkongress in Paris von 1935, reiste in die Sowjetunion, wo er an den berüchtigten Debatten um Stalins Säuberungen beteiligt war. Während des Spanischen Bürgerkriegs erlangte er durch die Freundschaft mit Ernest Hemingway in den USA einen solchen Ruf, dass seine spätere Internierung in französischen Lagern bis zu den Ohren der Präsidentenehefrau Eleanor Roosevelt drang. Kaum genesen von den Verletzungen aus Spanien hatte Regler diese bereits auf einer „fund raising“-Tournee in den USA für die Opfer des spanischen Krieges kennen gelernt. Er kehrte nach Europa zurück und gelangte 1940 nach seiner Internierung in Le Vernet via New York nach Mexiko.

Regler lebte ein öffentlich wahrnehmbares Leben auf dem Vulkan, der seine Epoche ausmachte. In den vorliegenden Briefen, die bis 1940 reichen – die folgenden bis zu seinem Tod 1963 sollen noch in diesem Jahr erscheinen, ein besonderes Konvolut mit dem Briefwechsel mit Klaus Mann, dem Herausgeber der Exil-Zeitschrift „Die Sammlung“, erschien gesondert bereits 2013 – fehlen weitgehend konkrete politische Kontakte und Beratungen zwischen KPD-Kadern, wohl weil sie auch nicht für die Post geeignet waren. Umso eher wird in diesen Episteln der epochale Hintergrund plastisch und die Person Regler tritt konturiert hervor.

Der Band enthält 131 Briefe Reglers. Einige enthalten Kürzungen, von denen nicht mitgeteilt wird, aus welchen Gründen sie erfolgten beziehunsweise was der Inhalt dieser Briefstellen war. Die beiden Herausgeber, beide ausgewiesene Kenner des Werkes Gustav Reglers, haben sich die Kommentierung aufgeteilt: Günter Scholdt, früherer Leiter der Gustav-Regler-Forschungsstelle an der Saarbrücker Universität, kommentiert die Briefe bis 1933, die mehr als die in den folgenden Jahren einen sich erst politisierenden jungen Autor im Literaturbetrieb der Weimarer Republik zeigen. Als ausgewiesener Spezialist für die Exil- und Saarkampf-Jahre Reglers kommentiert kenntnisreich Ralph Schock, einer der kontinuierlichen Promotoren des saarländischen Autors und wie Scholdt Mitherausgeber der „Werke“, die Exiljahre. (Ein Lapsus entging der Schlussredaktion: Fritz Landshoff wird einmal als Leiter der deutschen Abteilung von Allert de Lange in Amsterdam genannt, während dies Walter Landauer war; Landshoff gründete mit dem Amsterdamer Verleger Querido einen eigenen deutschsprachigen Querido Verlag, wo unter anderem neben Klaus Manns Zeitschrift „Die Sammlung“ auch zwei Bücher Reglers erschienen).

Mit der Werkausgabe und den in ihr erscheinenden Briefausgaben ist nun erstmals eine umfängliche Lektüre jenes Schriftstellers Gustav Reglers möglich, der eine nicht unbedeutende Gestalt in jenen Eruptionen ideologischer Formationen abgab, die das 20. Jahrhundert zu einem katastrophischen Tanz auf dem Vulkan machten.

Titelbild

Gustav Regler: Werke Band 13.1. Briefe I: 1915-1940.
Herausgegeben von Ralph Schock und Günther Scholdt.
Stroemfeld Verlag, Frankfurt am Main 2013.
360 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-13: 9783878774488

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