Viel Liebe, viel Illusion

„Was ihr wollt“ (1996) – Shakespeares Komödienklassiker als stimmige, luftig-charmante Kinoadaption von Trevor Nunn

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Gerade hat Viola (Imogen Stubbs) ein schreckliches Schiffsunglück überlebt, bei dem sie von ihrem Zwillingsbruder Sebastian (Steven Mackintosh) getrennt wurde, da steckt sie schon in den nächsten Schwierigkeiten. Als Mann getarnt tritt sie unter dem Pseudonym ,Cesario’ in die Dienste des Herzogs Orsino (Toby Stephens). Frauen duldet jener nicht am Hofe, hat er doch bereits genug Mühe mit einer einzigen Dame, nämlich mit der wunderschönen Olivia (Helena Bonham Carter), die sein Liebeswerben einfach nicht erhören will. Also schickt er seinen neuen Diener Cesario, um das Herz der eigensinnigen Gräfin doch noch zu erweichen. Aber stattdessen entbrennt Olivia für den feschen Boten. Dieser, besser: die verkleidete Viola entwickelt ebenfalls Gefühle, freilich für Orsino. Kurzum, die Bootshavarie war noch die geringste aller Strapazen.

„Was ihr wollt“ („Twelfth Night, or What You Will“, um 1601) greift einen im 16. Jahrhundert sehr populären Stoff auf, dessen Historie bis zu Plautus‘ „Menaechmi“ (200 v. Chr.) zurückreicht. Unmittelbare Quelle ist die Novelle „Of Apolonius and Silla“ (erschienen 1581) von Barnaby Rich. Somit ist Shakespeares Werk nicht nur seit über 400 Jahren im Theater präsent, sondern besitzt auch eine imposante literarische Ahnenreihe. Vor allem beeindruckt, dass das Stück mit all seinen emotionalen wie gesellschaftlichen Verwicklungen und seinem Wortwitz bis heute als heiter-kluge Unterhaltung funktioniert. Selbst ohne aufgesetzte Modernisierungsmätzchen. Das beweist Trevor Nunns werknahe filmische Adaption. Zwar werden die Geschehnisse ins Viktorianische Zeitalter gegen Ende des 19. Jahrhunderts gesetzt, ansonsten aber Text (gekürzt), Dramaturgie und Stil mit minimaler Variation bei maximaler Wirkung von der Bühne in den Kinosaal verschoben. Die Original-Sprache behält ihr Recht, das Bild prononciert sie nur voller Leichtigkeit.

Wirrungen und Irrungen

„Was ihr wollt“ wird von der Forschung als Übergang zwischen Shakespeares ,happy comedies’ und ,dark comedies’ bzw. ,problem plays’ angesehen. Explizit lässt sich das an der Figur des Malvolio (Nigel Hawthorne) festmachen, des Haushofmeisters von Olivia. Weil er stets etwas zu selbstherrlich und anmaßend auftritt, wird von der Kammerzofe Maria (Imelda Staunton) und zwei närrischen Junkern (Mel Smith, Richard E. Grant) eine Intrige angezettelt, an deren Ende der manipulierte Malvolio als Dummkopf dasteht. Das hat mit der eigentlichen Geschichte nur wenig zu tun, verleiht ihr jedoch eine tragische Nuance. Trevor Nunn, der auch das Drehbuch geschrieben hat, lässt solchen Nebenhandlungen ihren angestammten Platz im ,Turnier der Irrungen und Wirrungen’. Sie beleben nicht nur das Geschehen, das sich primär um die Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und echtem Wesen dreht, sondern führen es trotz aller märchenhaften Liebeskomplikationen auf den oft recht harten Boden der Realität zurück.

Darüber hinaus bieten sie Raum für schauspielerische Kabinettstückchen. Überhaupt glänzt die cineastische Adaption von „Was ihr wollt“ mit herrlichen britischen Künstlern, die eine präzise Theaterdarstellung wie -intonation mit filmischer Dynamik verbinden. Unterstützt werden sie von einer hübsch lebendigen, gleichwohl konzentrierten Inszenierung. Diese hat den fiktiven Schauplatz ,Illyrien’ ins herbstlich-traumhafte Cornwall verlegt, um die emotionalen Grundierungen durch eine Drinnen-/Draußen-Dramaturgie zu akzentuieren. Shakespeares Gestaltungsprinzip, mit Hilfe von Kontrasten und Parallelen sowohl Handlung wie Charaktere zu differenzieren, erfährt dieserart eine räumliche Ausformung. In Wohnbereichen werden Ränke geschmiedet und wehmütige Reden geschwungen, in Gärten wird hingegen den Gefühlen freien Lauf gelassen. Unter freiem Himmel.

Schein und Sein

Wenige Close-ups sind in der Verfilmung von „Was ihr wollt“ verwendet, meist wird eine der klassischen Theatersituation ähnelnde Distanz gewahrt. Deren Statik wiederum ist von Clive Tickners wendiger Kamera untergraben, die den Personen unaufgeregt folgt und immer einen Blick für Architektur wie Natur reserviert. Gelegenheit bieten hierfür explizit jene über die Originalvorlage hinausreichenden Szenen, etwa ein Ritt zu Pferde am Meer oder eine launige Fechtszene im Apfelgarten. Beiläufig sind sie zwischen die Dialogpassagen gestreut und wirken ebenso auflockernd wie die diversen Musikeinlagen, schon bei Shakespeare ein Grund für die Beliebtheit des Stückes. Speziell die Lieder des Hofnarren Feste (Ben Kingsley) sind nicht nur übermütig-bissiger Spaß, sondern teils melancholischer Unterton eines ansonsten vergnüglichen Verwirrspiels um Lug und Trug und natürlich um die Liebe.

Dieses (Schau-)Spiel lässt Trevor Nunn, ehemaliger Intendant der ,Royal Shakespeare Company’ und des ,Royal National Theatre’, frisch und kurzweilig über die Leinwand perlen. Am Ende, wenn die Brisanz der Geschichte und die Verwechslung von Sozial- wie Geschlechteridentitäten sich stetig potenzieren, bricht er schließlich die bislang eher lineare Theaterinszenierung zugunsten häufiger Szenenwechsel auf. Alles gerät in Bewegung, während sich endlich sämtliche Täuschungen und Verblendungen mehr oder weniger in Wohlgefallen auflösen. Die natürliche Ordnung der Dinge ist wieder hergestellt, das Sein hat über den Schein triumphiert. Obwohl… deutet der Landesname ,Illyrien’ nicht auf eine beständige Nähe zur ,Illusion’ hin? Der Narr würde sagen: „But that’s all one“.

„Was ihr wollt“ (Großbritannien, USA 1996)
Regie: Trevor Nunn
Darsteller: Imogen Stubbs, Helena Bonham Carter, Toby Stephens, Ben Kingsley, Nigel Hawthorne
Laufzeit: 127 Min.
Verleih: S.A.D. Home Entertainment
Format: DVD

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

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