Komparatistik für Anfänger?
Die neue Auflage von Angelika Corbineau-Hoffmanns „Einführung in die Komparatistik“ wurde trotz zunehmender Didaktisierung in den Geisteswissenschaften nur geringfügig verändert – ein kleines Aufbegehren gegen den Vereinfachungstrend?
Von Regina Roßbach
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn ihrem Vorwort zur dritten Auflage der „Einführung in die Komparatistik“ schreibt Angelika Corbineau-Hoffmann von einer stärker „didaktisch orientierten Darbietung“. Die Veränderungen dagegen fallen kaum ins Gewicht: In Sachen Anschaulichkeit oder Benutzerfreundlichkeit kann der Band mit vergleichbaren Einführungen nach wie vor nicht mithalten. Der kaum verhüllte Skeptizismus der einleitenden Worte legt indes nahe, die geringfügigen Neuerungen – Hervorhebungen im Text und kurze Zusammenfassungen in grauen Kästen – eher verlagspraktischen oder hochschulpolitischen Gründen zuzuschreiben als der Motivation der Verfasserin: „Zu beurteilen, ob die neue Fassung, verglichen mit der alten, ein Gewinn ist, überlässt die Autorin gerne den Lesern oder (Be-)nutzern, denn nützlich möchte das Buch schon sein …“ Die Hinweise auf das veränderte Verlagskonzept und die etwas ironisch wirkende Wiederholung der „Binsenweiheit“, dass die Zeiten sich ändern, in lateinischer Sprache („tempora mutantur“) lassen vermuten, dass Corbineau-Hoffmann nicht mit allen Erwartungen einverstanden ist, die gegenwärtig an wissenschaftliche Literatur gestellt werden. Am deutlichsten sprechen von dieser Unzufriedenheit die letzten Sätze des Buches, die bezeichnenderweise in der vorangegangenen Auflage nicht zu finden sind: „Steht uns angesichts des aktuellen Autoritätsschwunds der Geisteswissenschaften das unbehagliche Szenario einer Gesellschaft ins Haus, die über Massen von ‚Informationen‘ verfügt, aber das Denken und Verstehen verlernt hat? Doch weil die Geschichte, wie man weiß, Wenden kennt, ist das entworfene düstere Szenario vielleicht doch nicht das letzte Wort.“
Wenn auch eine Einführung für Erstsemester keine Streitschrift sein kann – und auch diese keine ist – so lässt sich doch in Corbineau-Hoffmanns Vorgehensweise erkennen, was sie dem von ihr kritisierten Innovationsdruck in der Wissenschaft entgegenhalten will. Es geht ihr darum, die immanente Komplexität von Gegenständen und Debatten beizubehalten statt zu reduzieren und Probleme aufzuzeigen statt sie durch einfache Antworten zu verwischen. Das schlägt sich auch in ihrer Sprachverwendung nieder, die Studienanfänger sicher zuweilen überfordert. Aber gehört es nicht gerade am Beginn eines Studiums dazu, den wissenschaftlichen Duktus rezipieren zu lernen, der den akademischen Diskurs nun einmal von Grund auf prägt? In jedem Fall schafft es die Verfasserin, Fragen aufzuwerfen und zum Denken anzuregen. Beides sind Voraussetzungen am Anfang jedes Studiums, das gelingen soll.
Die Gliederung der neuen Auflage bleibt gegenüber jener der vorangegangenen weitgehend gleich. Das erste Kapitel „Komparatistik – Eine Annäherung“ ist der Versuch, das Wesen der Komparatistik verständlich zu machen, indem sie vor allem durch ihr spezifisches Literatur- und Textverständnis charakterisiert wird. Während Corbineau-Hoffmann schrittweise zu den „Prolegomena zu einer Theorie literarischer Kontexte“ gelangt, diskutiert sie die Zusammengehörigkeit von Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft, die Offenheit literaturwissenschaftlicher Fragestellungen und das Verhältnis von Komparatistik und Weltliteratur und führt dabei in zahlreiche Diskussionen des Faches ein. Die theoretischen Vorüberlegungen vermitteln eine gute erste Orientierung, indem Corbineau-Hoffmann sehr konkret ihr Verständnis von einem Literaturbegriff erarbeitet, der die Komparatistik von anderen Disziplinen unterscheidbar macht.
Während der erste Teil eher die ‚Denkkategorien‘ umreißt, die für die Komparatistik grundlegend sind, widmet sich der zweite Teil „Konturen der Komparatistik“ ihrer Etablierung als wissenschaftliche Disziplin, wobei Fachverständnis und Fachgeschichte mit einer theoretischen Annäherung an den Vergleich verbunden werden. Sehr sinnvoll ist dem eine „Modellanalyse“ angeschlossen, die den komparatistischen Vergleich anhand dreier Gedichte von Hofmannsthal, Baudelaire und George erprobt. Nicht nur gelingt dieses Anwendungsbeispiel gut nachvollziehbar, ohne dabei an Komplexität einzubüßen; es ist auch in der Lage, Interesse anzuregen und deutlich zu machen, wie die Konfrontation verschiedener Texte im komparatistischen Vergleich neue und besondere Fragestellungen aufwerfen kann. Im dritten und vierten Kapitel werden einige Arbeitsgebiete des Faches umrissen, etwa Rezeptionsforschung, Thematologie, Gattungstheorie, literarische Übersetzung, Interkulturalität, Intermedialität und Periodisierung.
In einigen Punkten entspricht die Einführung längst nicht mehr dem neuesten Stand der Forschung. So könnte das Kapitel über „Komparatistische Imagologie“ getrost überarbeitet und um neuere Debatten über interkulturelle und internationale Literatur ergänzt werden; und auch die im Ausblick thematisierte Diskussion vom Tod des Autors wäre zu relativieren. Fraglich ist auch, warum den für die Komparatistik so wichtigen Theorien der Intertextualität erst im Schlusskapitel einige Bemerkungen gewidmet werden.
Trotzdem ist Corbineau-Hoffmann gerade für Studienanfänger ein sehr empfehlenswerter Einstieg. Überall ist der Kenntnisreichtum und die Erfahrung einer langjährigen Lehrpraxis zu spüren, in der es weniger um die Vermittlung einfacher Merksätze, sondern vielmehr darum gehen soll, komplexe Zusammenhänge verstehen zu lernen und die Ansprüche des literarischen Textes sowie theoretischer Ansätze nicht unverhältnismäßig herunterzuschrauben.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
|
||