In dunklen Gassen und Kinosälen

Julia Reifenberger geht den radikalfeministischen Ermächtigungsfantasien im Rape-Revenge-Film auf den Grund

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im wirklichen Leben geschieht es höchst selten, dass sich das Opfer einer Vergewaltigung an dem Täter für die Untat rächt. Im Kino, in dem bekanntlich so manches ganz anders ist als dort, hat sich hingegen sogar ein eigenes Genre herausgebildet, das unter dem Etikett Rape-Revenge firmiert. Ihm hat die Filmwissenschaftlerin Julia Reifenberger nun einen als kleine Monografie erschienenen Aufsatz mit dem Titel „Girls with Guns“ gewidmet, in dem sie die Frage erörtert, ob das Genre den KinogängerInnen „radikalfeministische Ermächtigungsfantasien“ offeriert.

Zur Einführung in das Genre legt die Autorin zunächst dar, dass sich cineastische Rape-Revenge-Narrationen „vor dem Hintergrund eines Weltentwurfs hierarchischer Geschlechterverhältnisse entfalten“, was an sich wenig überraschend ist. Einschlägige Filme entwerfen Szenarien eines „sprichwörtlichen Geschlechterkampfes“, wobei die „be- und verhandelten“ Themen stets auf die „Grundfrage der Geschlechterdifferenz“ zulaufen. Die Genre-Filme inszenieren ihre „weiblichen Protagonistinnen“ [sic!] als „geschlechtliche Grenzgängerinnen“, die der Autorin zufolge vor der Vergewaltigung nicht der „tradierten weiblichen Geschlechterrolle“ entsprechen. Weitere gemeinsame Merkmale der Filme bestünden darin, dass den Männern die „Fähigkeit zur Gewaltanwendung“ „genuin“ innewohnen zu scheint, während Frauen sie sich erst nach der Vergewaltigung aneignen müssen, sowie in der „Auslöschung des weiblichen Subjekts durch die Vergewaltigung“, sodass die Protagonistinnen nach der „Vergewaltigungserfahrung“ an mangelnder „Artikulationsfähigkeit“ leiden. Daher „haftet der Figur des zur Rächerin transformierten Opfers häufig der Beigeschmack des Monströsen an.“ Vor allem aber ist die „inhärente Definition von Geschlecht als sozialem Konstrukt“ den Filmen aus dem Rape-Revenge-Genre gemein.

Doch prägen nicht nur Gemeinsamkeiten diese Filme. Denn wie Reifenberger feststellt, „divergieren“ sie untereinander „sehr“, „wenn es um die Reflektion oder gar Kritik von patriarchalen kulturellen Strukturen und ihrer Diskurse geht“. [sic!]

Auf den rund 110 Seiten des Bändchens beleuchtet Reifenberger rund fünfzig Filme oder erwähnt sie doch zumindest. Das ist eine ganze Menge. Und dass sich die Autorin dem Genre-Film „Descent“ sowie dem Pre- und dem Remake von „I Spit On Your Grave“ besonders ausführlich widmet, mag durchaus berechtigt sein. Sicher lassen sich auch nicht alle einschlägigen Filme berücksichtigen, dass aber „Death and the Maiden“ ganz außen vor bleibt, während „Hard Candy“ für seine Uneindeutigkeit gelobt wird, die er doch von diesem komplexen Kammerspiel entliehen hat, verwundert schon. Dass der Genre-Klassiker „Lady Snowblood“ ebenfalls fehlt, mag der besonderen Zuwendung anzulasten sein, der sich der US-amerikanische Film in dem Band erfreuen darf.

Der Text setzt mit einem Kapitel zur Geschichte des Genres ein. Ihm schließen sich „Betrachtungen zur Figurenzeichnung, zu Motiven und Darstellungskonventionen“ an, die ein besonderes Augenmerk auf die jeweiligen „geschlechterpolitischen Implikationen und ideologischen Ambivalenzen“ der Filme legen. „Im Rape-Revenge-Film reagieren die Täter mit sexualisierter Gewalt auf die verwirrend uneindeutige Geschlechterposition ihrer Opfer“, konstatiert Reifenberger und selbstverständlich fällt es ihr nicht schwer, hierfür das eine oder andere Beispiel vorzuweisen. Ebenso einfach aber ist es allerdings auch, Gegenbeispiele wie etwa „Hannie Caulder“ zu nennen – ein Film und eine Protagonistin, die von der Autorin in diesem Zusammenhang nicht diskutiert werden.

Die Täter versuchen ihre von Reifenberg als geschlechtlich uneindeutig charakterisierten Opfer durch die „gegenderte“ Gewalttat „in eine eindeutig weibliche Geschlechterrolle zu zwingen.“ Dies erinnert an die in Südafrika allzu realen ‚korrigierenden‘ Vergewaltigungen von Lesben. Dass die südafrikanischen Vergewaltiger ihr Ziel verfehlen, versteht sich. Ebenso verfehlen es auch die cineastischen Täter, wenn auch auf andere Weise. Denn der „psychischen und physischen Zerstörung der weiblichen Opfer folgt die Auferstehung als Zwitterwesen, das sich beliebig zwischen den Geschlechtern bewegt, um seine Rache zu vollziehen.“ Das allerdings lässt sich wiederum nur unter Beibehaltung der gängigen männlichen Konnotation von Gewalt behaupten. Tatsächlich aber kann allenfalls höchst selten einmal davon die Rede sein, dass sich die vergewaltigten Rächerinnen beliebig zwischen den Geschlechtern, zwischen Erotik und Gewalt bewegen. Ebenso uneinsichtig wie unbegründet bleibt Reifenbergers These, dass „die Vision der geschlechtlich uneindeutigen Frau noch zusätzlich potenziert wird, wenn sich Opfer von sexualisierter Gewalt verbünden.“

Die „Transformation des weiblichen Opfers zur Täterin“ wird Reifenberger zufolge in den Genre-Filmen „durch eine Steigerung und Ausweitung der geschlechtlichen Uneindeutigkeit der Protagonistinnen inszeniert“, welche die Protagonistinnen „maskulinisiert und feminisiert/erotisiert“. Somit „verkörpern“ sie eine „geschlechtliche Undifferenziertheit, der gegenüber sich Täter wie Zuschauer_innen nicht positionieren können.“ Woher Reifenberger weiß, dass die Menschen vor der Leinwand außerstande sind, sich gegenüber diesen Figuren zu positionieren, bleibt ihr Geheimnis.

Wie die Autorin darlegt, spielt das Genre in den letzten Jahren zunehmend mit „selbstreflexiven Elementen, die metafilmische Verhandlungen über die eigenen narrativen und ästhetischen Strategien eröffnen und so ideologische Aspekte einer Lust an der Gewaltdarstellung problematisieren.“ So „setzt“ Reifenberger zufolge etwa das inzwischen fast schon gängige „Motiv des ‚Zurück-Vergewaltigens‘“ „die Dynamik der Transgression von Geschlechtergrenzen logisch fort“. Damit verfehle der Täter das mit der Vergewaltigung ins Visier genommene Ziel „der geschlechtlichen Festschreibung und Differenzierung der Frau“, die ganz im Gegenteil seine Tat mit einer qua Revenge-Rape erfolgenden „Erneuerung und Steigerung der Unklarheit“ vergelte. Der im Zuge der Gegenvergewaltigung zum Opfer gemachte Täter werde so in eine „weibliche Geschlechterrolle“ gezwungen. Die „Rache“ des Opfers bestehe also vor allem darin, dass es dem Täter seine „eindeutig männliche, privilegierte Identität nimmt“ und den Geschlechtsunterschied nivelliert. Denn „die Umkehrung der Opfer und Täterposition geht nicht mit einem simplen Gendertausch der Protagonist_innen einher, sondern bewirkt ein Gleichwerden beider in der geschlechtlichen Indifferenz.“

An seiner Oberfläche, so lautet das ambivalente Resümee der Autorin, biete der „moderne, weiblich-zentrierte Rape-Revenge-Film“ die „ultimative Fantasie eines feministischen Empowerments“, doch weise vieles „auf eine Instrumentalisierung der Ermächtigungs-Erzählung im Dienst einer traditionellen hierarchischen Geschlechterordnung hin“. Dennoch wohne ihm letztlich ein „geschlechterpolitisch subversives Potential“ inne.

Ähnlich ambivalent fällt das Resümee des Rezensenten aus. Zwar kennt sich die Autorin ganz offenbar bestens im cineastischen Rape-Revenge-Genre aus und bietet zahlreiche anregende Überlegungen, doch nicht immer mag man mit ihr d’accord gehen, vielleicht auch nur darum nicht, weil sie nicht alle ihre Thesen hinreichend plausibilisiert.

Titelbild

Julia Reifenberger: Girls with Guns. Rape & Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien?
Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2012.
115 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783865057211

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