Berliner Schießen

Ulrich Ritzel hat einen rasanten Politthriller geschrieben, in dem alles verarbeitet ist, was einen unterhaltsamen Krimi auszeichnet

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Politthriller hat eine gute Tradition, die allerdings in den vergangenen Jahren etwas vernachlässigt worden zu sein scheint. Dabei gibt die Engführung von politischem Establishment, Kapitalismus und Korruption – die eine der Themenlinien des Politthrillers ist – immer noch einigen Stoff her, mit dem man gute Romane schreiben kann. Stattdessen haben sich die Autoren anscheinend darauf verlegt, Industriekapitäne wegen ihrer sonstigen Aberrationen in die Pfanne zu hauen, zu denen die schmutzigen Geschäfte, die sie machen, fast schon akzidentell wirken. Das alles ist in der Tradition des Genres angelegt – siehe „China Town“, aber die älteren Lösungen ersetzen die Politik nicht durch Sexualität, sie gibt ihnen dadurch nur eine spezifische Note. Die eben heute zur Hauptsache geworden ist.

Ulrich Ritzel hat sich in „Trotzkis Narr“ dankenswerterweise gegen eine solche Konstruktion entschieden. Er beschränkt sich auf eine komplizierte Konstruktion von Motiven, Ereignissen und Handlungen, die Mord und Geld miteinander verbindet. Dies geht auf die Überlegung zurück, dass es, wenn man Motive und Täter herausbekommen will, vor allem sinnvoll ist, dem Geld zu folgen, also herauszubekommen, wer wem welches gegeben hat und wer von alledem am meisten profitiert. Dass daraus eben auch eine nie endende Spirale von Schuld und Sühne wird, ist eine andere Sache. Und Ritzel schildert genau das.

Ein junger Mann, Lutz Harlass, der bislang vergeblich versucht hat, in der rechtsradikalen Szene Anschluss zu finden, wird von ein paar geheimnisvollen Männern angeheuert, um einem Beamten der Berliner Baubehörde ins Knie zu schießen. Das geht allerdings schief. Statt der Warnung, die nach Mafia riechen würde, schießt der Mann dem korrupten Beamten in den Kopf. Tot.

Als die Männer (Hintergrund) versuchen, das Ganze wieder geradezurücken und den Amokläufer aus dem Verkehr zu ziehen, kommt es zum nächsten Toten. Und wieder ist es Harlass, der tötet. Nur ist der Mann, den er erschießt, weil er – mit gutem Grund – meint, er werde ihn zu beseitigen versuchen, ein Polizeibeamter. Womit das Ganze dann Fahrt aufnimmt.

Harlass ist auf der Flucht, und er nimmt Zuflucht bei einem Mann im Umland Berlins, dessen Name und Adresse er in den Unterlagen gefunden hat, die der getötete Polizist bei sich geführt hat. Ein gewisser Brutus Finklin – schöner Name – der sich bereits zu DDR-Zeiten unbeliebt gemacht hat, weil er aktiver Trotzkist war. Eine Eigenschaft, die einem im real existierenden Sozialismus wenig Anschlussmöglichkeiten gab und die auch nach 1989 wenig Erfolg zugeschrieben werden kann. Trotzki, wir erinnern uns, dem Stalin sogar noch im mexikanischen Exil hat nachspüren lassen, um ihn dann umbringen zu lassen. Der militärische Führer der Bolschewisten war selbst nach seiner Entmachtung und im Exil noch gefährlich genug. Was aber nicht für die Qualität seiner politischen Position spricht.

Da treffen dann ein glückloser und gewaltbereiter Jung-Nazi und ein zurückgezogen lebender Alt-Trotzkist aufeinander – und irgendwie funktioniert das sogar. Und irgendwie wird einem Harlass mit einem Mal ein bisschen weniger unsympathisch.

Der Mann ist offensichtlich nicht ganz Herr seiner selbst, unbeherrscht, unreflektiert, aber spontan und schnell. Es gelingt ihm eine ganze Weile sich von der Polizei fernzuhalten. Und selbst die freien Killer, die auf ihn angesetzt werden, sind mit ihrer Jagd nicht erfolgreich. Ganz im Gegenteil.

Es geht am Ende selbstverständlich um Korruption und Bereicherung im Amt, es geht um Rache und darum, dass ein der Behördenwillkür ausgesetzter Mann irgendwann seine Genugtuung will. Und es geht darum, dass dieser Mann seinerseits nicht ohne Schuld ist.

Das alles kommt heraus, aber nicht ohne jenen Katalysator, den der Autor in solche Geschichten einzupflegen beliebt, in diesem Fall Hans Berndorf. Denn um die ganze Geschichte noch etwas aufzupeppen und um seinen Ermittler Hans Berndorf ins Spiel zu bringen, muss Ritzel noch eine zweite Geschichte einbauen.

Berndorf darf nämlich nur deshalb ermitteln, weil die Frau eines leitenden Angestellten einer internationalen Planungsfirma merkt, dass sie beschattet wird und in ihrer Panik eine Kanzlei anheuert. Berndorf wird also erstmal auf diese Verfolger angesetzt (kleiner Auftrag), und da der Mann der Dame dieselbe Sauna am selben Tag und zur selben Zeit aufsuchte, an dem der Senatsmensch dort erschossen wird, darf er auch die Koinzidenz besichtigen. Weshalb er am Ende alles aufklären kann. Wer hätte das gedacht?

Nun ist diese Ermittlung nicht wirklich plausibel, aber sie hilft Berndorf in die Geschichte. Dennoch ist sie selbst ganz hübsch gebaut. Wie Ritzel insgesamt einen schlüssigen und professionellen Politthriller im Berliner Milieu konstruiert, dem man alles, nur nicht Piefigkeit nachsagen kann.

Dass am Ende alles ausgeht wie ein Berliner Schießen, ist dabei sogar noch konsequent. Denn hinter den großen Taten stecken zumeist doch nur kleine Geschichten. Das große Politrad wird eben von vielen kleinen Eitelkeiten und Selbstsüchteleien, und natürlich vom Geld, angetrieben.

Titelbild

Ulrich Ritzel: Trotzkis Narr. Roman.
Goldmann Verlag, München 2013.
461 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783442752980

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