Von den Eliten verehrt, von den Massen genossen: Pop

Charis Goer, Stefan Greif und Christoph Jacke versammeln im Reclam-Verlag „Texte zur Theorie des Pop“

Von Jana ScholzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jana Scholz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pop beginnt in den 1950er-Jahren mit der Pop Art – oder beginnt Pop bereits mit dem Dandytum des 19. Jahrhunderts? Ist Pop ein „Geheimtipp“ oder ein „Massenphänomen“? Bewirkt Pop kulturelle Transformationen oder etabliert er immer schon da gewesenes? Ironisiert er den Geschmack der Massen oder verehrt er ihre Ikonen? Definitionen des Pop geben Anhaltspunkte, doch vor allem werfen sie Fragen auf, die zeigen, dass sich Pop irgendwo zwischen Subkultur und Mainstream abspielt.

In der Ende 2013 erschienenen Anthologie „Texte zur Theorie des Pop“ stellen die Herausgeber Charis Goer, Stefan Greif und Christoph Jacke die Theorie des Pop mit Aufsätzen aus den vergangenen 50 Jahren dar. Von Theodor W. Adorno über Susan Sontag, Andy Warhol, Ralf-Rainer Rygulla bis zu Diedrich Diederichsen lassen sie kanonische Stimmen der Wissenschaft sowie die Pop-Akteure selbst zu Wort kommen.

Dass Pop nicht allein die Produktion von Kunstwerken eines bestimmten Stils meint, sondern einen gesamtkulturellen Kommunikationsprozess zwischen Rezipienten und Produzenten abbildet, wird bei nahezu allen Autoren des Sammelbandes deutlich. So schreibt Susan Sontag in ihren „Anmerkungen zu ‘Camp’“, dass Camp (als eine Strömung des Pop) eine „konsequent ästhetische Erfahrung der Welt“ sei. Pop steht damit nicht nur auf der Seite der künstlerischen Produktion, sondern er ist auch eine Art ästhetische Rezeption; er stellt eine „Erlebnisweise“ dar, die durch Theatralität bestimmt ist.

Dementsprechend bedeutet Pop die Ästhetisierung der gesamten Lebenswelt, da er sowohl traditionelle Kunstformen wie Literatur, Bildende Kunst und Musik als auch Mode, Design oder Werbung betreffen kann. Die Neuen Medien Fernsehen, Radio und Internet spielen hierbei eine wichtige Rolle. Kunstwerke der Hochkultur können etwa in der Reklame Zeichen zur Bewerbung des massentauglichen Produkts werden und umgekehrt kann aus einem Massenprodukt wie etwa „Campbell’s Tomato Soup“ bei Andy Warhol Kunst werden. Pop schließt die Lücke zwischen High und Low, und transformiert kulturelle Codes der Subkulturen und sozialen Eliten zu massentauglichen Alltagserfahrungen.

Pop entsteht also häufig in elitären Milieus und wird dann zum alltagskulturellen Massenphänomen. Damit steht er im Spannungsfeld von Innovation und Konvention, er bezeichnet den Prozess der Transformation vom elitären Geheimtipp zum allgegenwärtigen Phänomen, vom Moment der Differenz zu einem kulturellen Gegenstand, hin zur differenzlosen Vereinnahmung, zur undistanzierten Kongruenz der Massen mit dem kulturellen Produkt. So richtet sich Warhol mit seinem künstlerischen Werk gegen das Individuelle: Im „maschinenhaften“ Herstellungsverfahren seiner Siebdrucke sucht er die Serialität, die alles und alle gleich macht. Statt individueller Merkmale zu zelebrieren, nähern sich die Originale der Pop Art bereits ihren technischen Reproduktionen an.

Somit ist Pop auch nicht durch die Ironie geprägt, die man in den gesellschaftsaffirmativen Kulturphänomenen des Pop vermuten könnte. Zwar wird Pop häufig als ironische Haltung zur Kultur der Massen verstanden, doch vielmehr bedeutet er die distanzlose Verehrung von Namen, Marken und Ikonen. In diesem Sinne erzählt Andy Warhol in „POPism. Meine 60er Jahre“ von seiner ersten Begegnung mit der Sängerin Nico von Velvet Underground: „Sie hatte einen kleinen Sohn. Wir hatten Gerüchte gehört, dass Alain Delon der Vater sei, und Paul fragte sie sofort danach, denn Delon war einer seiner Lieblingsschauspieler, und Nico sagte, ja, das stimmte, und der Junge sei bei Alains Mutter in Europa. Kaum hatten wir das Lokal verlassen, meinte Paul, wir sollten Nico in den Filmen einsetzen und eine Rockgruppe für sie finden. Sie sei ‚das schönste Geschöpf, das es je gegeben hat‘. Nico war ein neuer Typus weiblicher Superstar.“

In seinem Aufsatz „Pop – deskriptiv, normativ, emphatisch“ wiederum beschreibt Diedrich Diederichsen ebendiese „positive Beziehung zur warhnehmbaren Seite der sie [die Pop-Akteure] umgebenden Welt, ihren Tönen und Bildern“ und charakterisiert Warhols Arbeit als „großes Ja“ zum modernen Leben. Warhol operierte „ohne Ironie mit den Codes, Gebräuchen und auch Werten der normalen US-Gesellschaft (Stars, Hollywood, Reichtum, Berühmtheit etc.).“

Pop ist dadurch – sichtbarer als andere künstlerisch-kulturelle Strömungen – ebenfalls ein wirtschaftliches Phänomen. Auch daher spaltet er die Gemüter – unter Umständen bedeutet er Kapital und ist ungeeignet zur kritischen Hinterfragung des Status quo. Er wird fraglos konsumiert und produziert, seine Verquickung mit modernen (digitalen) Medien macht ihn omnipräsent und die Entscheidung für oder gegen Pop obsolet.

Wenn man jedoch die Zeit der Prägung des Begriffs betrachtet, die 1950er- und 1960er-Jahre, wird deutlich, dass er als Jugendbewegung eine aus damaliger Perspektive sehr revolutionäre Wirkung auf die Gesellschaft hatte. Mods, Hippies und später die Rocker wurden in ihrer Zeit als Gefahr für die „gesunden“ sozialen Verhältnisse betrachtet. Dick Hebdige beobachtete 1979, wie Mitglieder einer Subkultur in Presse und Fernsehen präsentiert würden: „als ‚Tiere‘ zwar, aber doch ‚in den Kreis der Familie‘ und den ‚Feierabend‘“ eingegliedert. Damit werden Subkultur-Stile wie die der Mods und Hippies durch „Wiedereingliederung“ kommerzialisiert: „Wie Subkultur-Stile geschaffen und verbreitet werden, ist aber in Wirklichkeit mit der Produktion, der Veröffentlichung, der Werbung und Verpackung unlösbar verbunden. Insgesamt ist dies ein Vorgang, der unausweichlich zur Entschärfung der subversiven Kraft einer Subkultur führt. So konnten die Neuerungen der Mods wie der Punks letztlich direkt in die Haute Couture und die Mode der breiten Masse zurückgeleitet werden.“

Heute sind diese subkulturellen Strömungen essenzieller Bestandteil der Pop-Kultur – was veranschaulicht, dass Pop mehr noch als kultureller Transformationsprozess denn als Kunststil greifbar wird. Diese Spannung zwischen Konformität und Revolte, die der Pop aufmacht, stellt Warhol auch in der Findung seiner filmischen Sujets dar: „Ich begriff, die Tatsache, dass sowohl Hollywood als auch der Underground Filme über Stricher machten – selbst wenn beide Versionen total verschieden waren –, nahm dem Underground die Attraktivität, weil das Publikum die optisch bessere Version bevorzugen würde.“

Die „Texte zur Theorie des Pop“ polemisieren und machen zugleich Lust auf die Leichtigkeit, die die Popkultur verspricht. Die ausführlichen Literaturhinweise ermöglichen die weitergehende Auseinandersetzung mit diesem kulturwissenschaftlichen Feld; eingeleitet wird jeder Beitrag der Pop-Anthologie von den Herausgeber durch eine kurze Einordnung in den kulturgeschichtlichen Kontext sowie biografische Informationen. Die sehr unkonventionelle Komposition von mehr oder weniger bekannten Pop-Akteuren und viel beachteten Theoretikern bietet einen anregenden Diskussionsstoff über die Grenzen zwischen Underground und Mainstream.

Titelbild

Charis Goer / Stefan Greif / Christoph Jacke (Hg.): Texte zur Theorie des Pop.
Reclam Verlag, Stuttgart 2013.
294 Seiten, 9,80 EUR.
ISBN-13: 9783150190357

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch