Unerklärliche Zustände

Der serbische Autor Mihajlo Pantic widmet dem begehrtesten Gefühl der Welt einen Erzählband

Von Alexandra SauterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Sauter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Erklärungen sind alles andere als einfach, die Liebe ist einfach, Erklärungen der Liebe sind äußerst kompliziert,“ sagt der namenlose Ich-Erzähler in „Das Hochhaus, von dem ich immer träume“, „es ist ein sinnloses und vergebliches Unterfangen, die Liebe zu erklären.“ Er spricht die Losung aus, die alle Erzählungen über die Liebe des serbischen Schriftstellers Mihajlo Pantić durchdringt, und fährt fort: „Ich mag sinnlose und vergebliche Unterfangen“.

Sinnlos ist vor allem der literarische Erklärungsversuch. Die achtzehn Erzählungen des Bandes „Wenn es Liebe ist“ deuten es an oder sprechen unmittelbar aus, wie ziellos das Schreiben in unserer Wirklichkeit ist. Mihajlo Pantić, geboren 1957 und von Haus aus Literaturwissenschaftler an der Universität Belgrad, umkreist in kurzen, oft nur eine Handvoll Seiten zählenden Texten mit diesem Zweifel das älteste Thema der Welt. Seine Erzählungen, gehalten in der ersten oder dritten Person, beschreiben das dauerhafte Empfinden oder eine augenblickliche Befindlichkeit der männlichen und weiblichen Figuren, geben ihren Hoffnungen und Desillusionen Ausdruck oder erwischen sie im Moment einer Zufriedenheit. Pantić’ Figuren leben im Stadtteil Neu-Belgrad. Den Krieg der 1990er-Jahre haben manche intensiv erlebt und andere „vor dem Fernseher“ verbracht. Mehr als der Krieg und seine Folgen beschäftigt sie alle ihr Gefühlsleben – gleichgültig, ob die Liebe in ihrem Leben spürbar ist als Glück oder als Mangel.

In der Titel gebenden Erzählung „Wenn es Liebe ist“ erzählt die Übersetzerin Ivana von ihrer kurzen Ehe, deren Feuer bereits erloschen war, als ihr Mann sie ganz verließ. Der Jude Ogi zieht nach Israel, wohin Ivana ihm nicht folgen will. Schon während des Krieges lehnte sie das Angebot ihrer Mutter ab, nach Schweden zu kommen, und blieb beim Vater, der Stiefmutter und an der Universität in Belgrad. Im Rückblick weiß Ivana nicht, was genau das war zwischen ihr und Ogi – ein „Wenn“ schwebt über jedem Gedanken. Es begann als Studentenbeziehung und führte zu wenig mehr, vor allem nicht zu Kindern. Letztlich ist nur eines gewiss: Eine Geschichte in einer Reihe von Geschichten bleibt es, denn die vom Liebhaber, den Ivana drei Tage nach Ogis Abflug fand, ist bereits „eine andere Geschichte“. Die geschiedene Logopädin Alisa in „Die bestorganisierte Frau der Welt“ wiederum pflegt liebhaberlos ihre Mutter, nimmt die Verantwortungen des Alltags willig auf sich und plant ihre Tage minutiös. Verwirrung stiftet unvermutet ein neuer Patient, ein Professor der Verswissenschaft, dem die Stimme zunehmend versagt. Alisa fühlt sich zu dem älteren Mann hingezogen, reagiert aber verstockt auf seine galanten Avancen.

Die Einblicke in Lebensläufe wie Ivanas oder Alisas sind die fassbaren Erzählungen: Hier ereignet sich etwas, keine tragische Katastrophe, doch ein Alltag. Vor allem Figuren wie Alisa kommen einem allzu bekannt vor. Alisa hat den Glauben an die Liebe verloren und übertüncht die Leere mit Pflichterfüllung. Ebenso der jugendliche Ich-Erzähler in „Das Ende der Schulstunde“: Der im Zeichnen begabte und in Physik versagende Außenseiter Gorčin rückt der Gewalt im Tagtraum gefährlich nahe. Ihre Lebensumstände, die Gründe ihres Befindens legen Alisa und Gorčin in einer Vollständigkeit souverän selbst dar, die kein gängiges Motiv auslässt: Auch in der „bestorganisierten Frau der Welt“ schlummert eine Hoffnung, die sich dem Planbaren entzieht, und das vernachlässigte Einzelkind Gorčin entlarvt sich als Opfer eines autoritären Offizier-Vaters, der Slobodan Milošević nachtrauert und Frauen wie Ware behandelt. Es bleibt beim Wiedererkennungswert, neue, unbekanntere Wege geht Pantić mit seinen Figuren nicht. Gewiss, das Klischee kann kaum umschiffen, wer sich die Liebe als Thema wählt: Es ist „ein vergebliches Unterfangen“, das allseits Bekannte. Pantić macht sich mit seiner selbstreflexiven Erzählweise immun gegen Vorbehalte. Doch, wäre nicht doch etwas möglich gewesen? Pantić vermag es vor allem nicht, seinen Figuren eine individuelle, psychologisch glaubhafte Stimme zu geben.

Aufregender sind die Erzählungen, die ins Surreale kippen und offen lassen, was Tatsache ist oder wo das Bewusstsein der Figuren die Realität überformt. Die geschiedene Ljiljana, die sich nicht mehr schminkt („für wen auch“), greift im Supermarkt nach der letzten Packung eines Fertiggerichts und trifft den Finger eines unbekannten, älteren Mannes. Wenig später kommen beide in Ljiljanas Wohnung an. Er nimmt sie, sie gibt sich, den raschen Liebesakt genießt Ljiljana. Bis die Wahrnehmung der Begegnung plötzlich in ihr Gegenteil kippt: Dämonisch kommt ihr der Beischlaf im Nachhinein vor. Ljiljana verliert sich in der Folge innerlich völlig und erwägt auf dem Balkon ihrer Hochhauswohnung den Sprung. Pantić spielt in „Wie Ljiljana dem Teufel begegnete“ mit einem Weiblichkeitsklischee: Ljiljana entwirft er als Frau, die sich selbst nicht spürt ohne den männlichen Blick. Komplementär dazu verteufelt in „Schwarzer Samstag“ der Ich-Erzähler Kovač, Literaturkritiker und selbsterklärter Frauenfeind, seine Nachbarin Striganović – bis er schließlich mit ihr schläft, eines Abends, schnell im Badezimmer, er stehend, sie sitzend auf der Waschmaschine. Während ihr Sohn auf dem Wohnzimmersofa schläft, hört Kovač die Striganović keuchen: „Ah, endlich habe ich dich.“ Die Frau ist Hexe und Fängerin in Kovač’ männlicher Wahrnehmung – er begehrt sie trotzdem. Den Geschlechtsakt mit Frau Striganović „verträumt“ Kovač zu einer Geschichte, die er aufschreibt.

Doch auch hier bleibt letztlich nur das trockene „Aha“ wie beim Anblick des schon mal Gesehenen: Die Geschichten von der frustrierten Ljiljana und dem Zyniker Kovač – reproduzieren oder dekonstruieren sie extreme Geschlechterbilder? Pantić wagt sich nicht weiter. Er verbindet sein Thema Liebe in allen Erzählungen zum einen auf simple Weise mit dem Thema Schreiben und Literatur: Seine Erzähler oder andere Figuren gehen der Sprache auf allen möglichen Wegen nach. Sie dozieren an der Uni, rezensieren, übersetzen oder schreiben selbst. Zugleich kommentieren die Figuren selbst – wiederholt, deutlich und irgendwann überdeutlich – den Akt des Schreibens und Erzählens: Mancher „schreibt um des Schreibens willen“, der andere stellt seine Formulierungen in Frage und wieder andere müssen schlicht erzählen, auch wenn keiner zuhören wird. Die Fiktionalität wird zum eigentlichen Thema.

In der Liebe und in der Literatur stellt sich die Frage nach dem, was wahr und was erfunden ist: Wo verläuft die Grenze zwischen Tatsachen und subjektivem Bewusstsein? Diese Schwebezustände parallelisiert Mihajlo Pantić. Doppelbödig werden so die meisten seiner Erzählungen oder auch bodenlos. Pantić belässt es bei sich selbst beschauenden Figuren und Texten und viel Unerklärlichkeit. Über die Liebe zu lesen, mag dann ebenfalls ein vergebliches Unterfangen sein.

Titelbild

Mihajlo Pantic: Wenn es Liebe ist. Kurzgeschichten.
Übersetzt aus dem Serbischen von Margit Jugo.
Dittrich Verlag, Berlin 2013.
187 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783943941227

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