Symposien

Ursula Pia Jauchs Buch „Friedrichs Tafelrunde & Kants Tischgesellschaft“ entzaubert den einen als wirklichen Machiavel und erhebt den anderen zum radikalen Frühfeministen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Friedrich der Große und Immanuel Kant hatten etwas gemeinsam: Beide liebten es, ihre Tafelrunden mit geistvollen Gesprächen zu würzen, die in Männerkreisen geführt wurden. Gilt dieser dem gebildeten Bürgertum des 21. Jahrhunderts als Weltweiser und Alleszermalmer, so jener als Philosophen-König. Dass der für seinen Ausspruch, jeder solle nach seiner Façon selig werden, be- und gerühmte Herrscher nicht ganz so freundlich mit den um ihn versammelten Denkern umzugehen pflegte und nicht immer allzu viel von Gedankenfreiheit hielt, zeigt das jüngste Buch der Schweizer Philosophin Ursula Pia Jauch über „Friedrichs Tafelrunde & Kants Tischgesellschaft“.

Und noch eine zweite Vorliebe hatten Friedrich und Kant der Autorin zufolge gemein: homosexuelle Neigungen oder – im Falle Kants – doch zumindest ein unterschwelliges homoerotisches Faible. Letzteres bleibt ebenso spekulativ wie die Todesumstände von Friedrichs Tischgenossen Julien Offray de La Mettrie. Doch stellt die Autorin ihre Argumente nie allein auf die tönernen Füße einer bloßen Vermutung.

Trotz der Schwere des Gegenstands bietet Jauch eine nachgerade leichte Lektüre, die vielfach Freude bereitet. Geschieht es doch nur höchst selten, dass man so unterhaltsam belehrt wird, wie durch dieses anspielungsreiche Buch. Innerhalb weniger Zeilen lässt die „als Kosmopolitin und Citoyenne“ schreibende Autorin etwa, „‚kritisch’ denkende[n] thrakische[n] Mägde“ auftreten und „alte und neue Gängelwagen wieder fröhliche Urstände feiern“. Auch versäumt sie es nicht, bei passender Gelegenheit einen Seitenhieb auf die heutigen im Wettbewerb um „exzellente Anpasserei“ stehenden Universitäten zu führen.

Jauch gliedert ihr Buch in drei Abschnitte. Der erste blickt auf Friedrichs „Tafelrunde“ und behandelt die Gemeinschaft der dort speisenden und disputierenden „Epikureer“. Im zweiten zeigt sie Friedrich als Erfinder der „Propagandaabteilung“ und fragt, was sich von seiner Tischgesellschaft als bleibend erweist. Der abschließende Teil wirft einen Blick nach Königsberg und macht in „Kants Tischgesellschaft“ eine „gar nicht so bürgerliche Runde von Frühromantikern und Weltverbesserern“ aus.

Zunächst aber spricht die Autorin im Vorwort „vom freien Denken“. Das gewährte Friedrich den bei ihm versammelten „kühnsten Denkern Europas“ – es waren dies im Laufe der Jahre Francesco Algarotti, Jean-Baptiste d’Argens, François-Thomas-Marie de Baculard d’Arnaud, Jean-Baptiste DesCamps, Pierre Louis Moreau de Maupertius, La Mettrie und natürlich der berühmteste von allen: Voltaire – zwar immerhin in einem gewissen Rahmen. Doch habe Friedrich in Sanssouci und Berlin einen veritablen „Überwachungsstaat mit Gesinnungskontrolle“ geschaffen. Auch versuchte er „tunlichst zu vermeiden“, dass von den „radikalaufklärerischen“ Ideen seiner Philosophenrunde etwas nach außen drang. Dabei entstanden in Sanssouci und der deutschen Hauptstadt „bedeutende Werke der philosophischen und naturwissenschaftlichen Avantgarde“ des 18. Jahrhunderts.

In Deutschland, beklagt Jauch, sei das allerdings anders als in anderen europäischen Ländern heute kaum noch bekannt. Noch immer liege hierzulande eine „eigentümliche Geheimniskrämerei über Potsdam, über Sanssouci, über den realen Begebenheiten in Friedrichs Entourage“, die „selbstverständlich“ auch Friedrichs Homosexualität betreffe.

Doch nicht nur an den Tafeln des „Philosophenkönigs“ (Jauch setzt diesen Ehrentitel in Anführungszeichen), auch in Kants „Tischgesellschaft“ habe zwangsläufig eine „Aura des Klandestinen, des zu Verheimlichenden, der Tarnung“ geherrscht. Denn Friedrichs Arm reichte natürlich auch bis an die Pregel und nicht nur der Gastgeber war gefährdet, wessen sich Kant sehr wohl bewusst war, so dass sich nicht wenige seiner Publikationen „wie Kassiber lesen“. Schon hier, im Vorwort, zieht Jauch das nicht nur vorläufige und ganz gewiss zutreffende Fazit, der „preußische Untertan Kant“ habe mit seinem „Ewigen Frieden“ und seinem Weltbürgertum für Arkadien unendlich viel mehr getan als der sich hinter der philosophenparadiesischen Kulisse zu Sanssouci zum Krieg rüstende Friedrich.

Auf das Licht der Aufklärung fallen in Sanssouci überhaupt manch düstere Schatten, auf die Jauch im ersten Kapitel wiederum ein umso helleres Licht wirft. Zwar sei Friedrich zu Beginn seiner Amtszeit noch „am Denken der Gesellschaft seiner Freigeister interessiert“ gewesen und habe ihre Veröffentlichungen „geschützt“, doch „dass gerade Friedrich II. als Aushängeschild für die unendlich zögerliche und mehrheitlich von restaurativen protestantischen Pastoren verwaltete ‚deutsche Aufklärung‘ vorgeführt“ werde, entspringe einem „rezeptionsgeschichtlichen Denkfehler der deutschen Ideengeschichte“.

Ihr eigenes Urteil über Friedrich fällt demgegenüber vernichtend aus. Nicht ein Philosophen-König sei er gewesen, sondern ein ziemlich erbärmlicher „Philosophen-Imitator“ und recht eigentlich der „wirkliche Machiavel“. Zwar sei Friedrichs Religionskritik „in der Intimität des Kreises“ seiner Tafelphilosophen „um keinen Deut weniger brisant“ gewesen als die seiner Gäste. Als schlagendes Beispiel führt sie das von Friedrich 1772/73 verfasste „Totengespräch zwischen Made de Pompadour und der Jungfrau Maria“ an, in dem die Bibel als „Ammenmärchen“ verlacht und „eine alternative Dreifaltigkeitslehre von – on excuse – drei Huren vor[ge]stellt“ wird. „Dieses Triumfeminat diskutiert im Himmel den besten – excusez encore – aller Beischläfer.“

Ganz im Gegensatz dazu habe der „privatim häretische“ Herrscher die Moralgebote des Christentums öffentlich „mit machiavellischem Geschick“ benutzt, da sie „für seine Herrschaft überaus dienlich“ gewesen seien. Überhaupt sei „das Unaufrichtige, Verschlagene, absichtsvoll Fälschende und Lügnerische in Friedrichs Persönlichkeit“ angelegt gewesen. So habe er „nicht nur nicht an die Aufklärung [ge]glaubt“, sondern er habe auch nichts von ihr gehalten. Eine These, die Jauch mit dem Hinweis plausibilisiert, dass Friedrich „alle Menschen, die ihren Lebensunterhalt selbst verdienen müssen“ sowie darüberhinaus „alle Frauen“ für „unbildbar“ hielt. Zum Beleg zitiert sie einen Brief Friedrichs an Jean le Rond d’Alembert, in dem nicht nur sämtliche Frauen sowie alle „Bauern, Arbeiter, Handwerker und Soldaten“, sondern auch noch rund 95 % der restlichen Männer für unaufklärbar erklärt werden. Statt sein Volk aufzuklären, habe er es denn auch „durch und durch militarisiert“, konstatiert die Autorin.

Wiederholt zieht Jauch Parallelen zwischen Friedrichs „abgrundtief autoritärer, kontrollsüchtiger und misstrauischer“ Persönlichkeit und Denkart und dem Nationalsozialismus und seinen Protagonisten. In Hitlers Forderung, die deutsche Jugend solle „flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“ sein, erkennt sie Friedrichs „Stahl-Philosophie“ wieder, die alles Preußische anwies, sich „mit einem Herz aus Stahl zu wappnen“. „Passend“ sei auch die „deutlich antisemitische Familienähnlichkeit zwischen dem Kriegstreiber Friedrich und dem Kriegstreiber Hitler“. Schließlich hätte Hitler Friedrichs kriegerisches Werk mit dem Angriff auf Polen ‚fortgesetzt‘. Die „preußische Legendenschreiberei“ habe „aus dem rücksichtslosen Kriegsgewinnler“ Friedrich jedoch über die Jahrhunderte hinweg „eine milde Vaterfigur geschnitzt“. Genau darin sei die Ursache für den noch heute wirksamen „deutschen Paternalismus“ und die freiwillige Selbstentmündigung der Bürger in diesem oder jenem vorgeschnürten Sozial-, Bildungs-, Wirtschafts- oder Spar-Paket zu finden.

Was nun den Philosophen-Kreis um Friedrich betrifft, so sei die Rede von einer „repräsentativen Tafelrunde“ unzutreffend. Viel eher habe es sich um „intime Zirkel“ gehandelt. Zudem sei „ganz evident“, dass es sich bei den „Symposia um klassische Männerbünde im Blüherschen Sinn“ gehandelt habe. Die deutsche – und wie Jauch betont: „nur die deutsche!“ – Geschichtsschreibung habe es jedoch vorgezogen, „um dieses vor aller Augen liegende Faktum äußerst lange einen großen ‚Anstands‘- und Verlegenheits-Bogen zu schlagen“.

Die Philosophen der Tafelrunde aber hätten in den „frauenfernen Verhältnisse[n]“ Sanssoucis „alles andere als eine Gemeinschaft von strammen Rationalisten“ gebildet, sondern seien der Maxime „ein jeder liebe nach seiner Fasson“ gefolgt.

Nicht etwa der heute Prominenteste, Voltaire, war der Radikalste und Interessanteste unter ihnen. Vielmehr ringen zwei ganz zu Unrecht recht „Namenlose“ um diese Ehre: Maupertius und La Mettrie, wobei Jauch wohl letzterem den Lorbeer aufs Haupt setzen würde. Dabei hat Maupertius einiges vorzuweisen. Denn er hat nicht nur „frühe genetische[…], erbbiologische[…] und sexualphilosophische[…] Überlegungen“ angestellt, sondern zudem einige Erkenntnisse der Gender-Theorie des späten 20. Jahrhunderts vorweggenommen. Jauch konstatiert denn auch, wer ihn gelesen habe, habe „nicht bis 1990, bis Judith Butlers ‚Gender Trouble‘ warten“ müssen, „um zu bemerken, dass auch im Eros die Unordnung das kreativere Prinzip ist.“ Denn bereits in seiner 1745 erschienenen Schrift „Venus physique“ vertrat Maupertius die am Beispiel der Schnecken illustrierte These, „dass das biologische Geschlecht keine naturgegebene und einmal fixierte Tatsache ist, sondern eine Rolle, die man kurzzeitig wahrnimmt, je nach Gusto, erotischer Laune oder ästhetischer Wahl“.

Der „neo-antike Frühromantiker“ La Mettrie wiederum habe bis auf den heutigen Tag das Schicksal zu erdulden, sich philosophiegeschichtlich nicht von dem „Rezeptionsschicksal“ seines Buches „L’homme machine“ (1748) erholen können. Jauchs Interesse gilt hier allerdings eher seiner seit 1987 auch auf Deutsch erhältlichen Schrift „Die Kunst Wollust zu empfinden“, die eine „kluge, auf dem Lustdiskurs der Antike basierende[…] Befreiung des menschlichen Eros aus dem Verdacht der Pornographie, der Obszönität und des Pudentums“ biete. Erspart Maupertius die Lektüre Butlers, so lässt sich in La Mettries „Lob der Lust“ Jauch zufolge „weit vor der freudianisch okkupierten Moderne“ eine „Beschreibung nicht nur des männlichen, sondern auch des weiblichen Orgasmus“ finden. La Mettrie warnte – in den Worten Jauchs – zudem ausdrücklich vor den „Brutalitäten einer ersten Nacht“ sowie vor „groben und ungeschickten Liebhabern“. Überhaupt kritisiert er „Sex ohne Anteilnahme am seelischen Dasein des Anderen“ dafür, dass er „den Eros vertreibt und die Lust flach und leer macht“. Es lässt sich leicht erkennen, dass die Autorin La Mettries „Liebeskunst“ besonders zugetan ist. Und die Lesenden sollten es auch sein – oder aufgrund der Lektüre werden.

Nicht nur La Mettrie und Maupertius, die gesamte französische Aufklärung zieht Jauch der als „Pfaffen-Aufklärung“ attackierten deutschen Variante vor, die eine „Aufklärung ohne Aufklärung“ sei und gegen deren Untertanengeist, der die Faust allenfalls in der Tasche balle, aber gehorche, sie mit eloquentem Zorn zu Felde zieht. Überhaupt geißelt sie die Ordnungssucht in den „kostbar ausgetüftelten Systemen“ deutscher Philosophen von Gottfried Wilhelm Leibniz über Georg Wilhelm Friedrich Hegel bis Niklas Luhmann: „Die Felsenmelodie einer jenseits aller menschlichen Handlungen liegenden ‚prästabilierten Harmonie‘ (oder ‚überzeitlichen Vernünftigkeit‘ oder ‚systemisch austarierten Binnenlogik‘)“ ziehe sich „im deutschen Denken wie ein Hilfsgerüst durch Zeiten und Tragödien“. Dabei intoniere sie eine „schwarz-weiße Daseinsmelodie“ binärer Logiken, denen „das gute Maß, ein Abwägen, gar ein Augenzwinkern, humane Unordnung“ fremd bleibe.

Nun gab es Jauch zufolge in den deutschen Landen des 18. Jahrhunderts doch noch einen Philosophen, der radikaler war als der „skeptische ‚Atheist‘“ La Mettrie. Der aber saß nicht an der Tafel Friedrichs, sondern speiste an seinem eigenen Tisch, weit weg von Potsdam, Sanssouci und Berlin in Königsberg. Die Rede ist natürlich von Immanuel Kant, dem und dessen Tischgenossen das letzte Kapitel des Buches gilt.

Dabei – und das mag nach dem bisherigen überraschen – macht die Autorin zunächst einmal eine Gemeinsamkeit zwischen dem Schein-Philosophen Friedrich und dem „ebenso vorsichtige[n] wie listige[n] Königsberger Avantgardist[en]“ aus. Die betrifft aber eigentlich gar nicht sie selbst, sondern vielmehr die postume „deutsche Legendengeschichtsschreibung“, die Jauch zufolge hier wie dort fleißig zu Werke ging. Denn nach seinem Tode sei Kant von den deutschen „Schubladendenker[n]“ erfolgreich zum „skurrilen Alten mit mechanischem Großverstand und ansonsten pedantischen Ansichten flachmodelliert“ worden. So mutierte der „ geistreiche Königsberger Gentleman“ für die Nachwelt zum „körperlosen Vernunfttaliban“. Die Gemeinsamkeit zwischen Friedrich und Kant entpuppt sich also als eine des Unterschieds. Denn die Legenden über Kant und Friedrich wurden in gänzlich verschiedene Richtungen ausgebildet. Wurde dieser „philosophisch aufgeprotzt“, so wurde jener „um seine Originalität, seinen zivilisatorischen Mut und um seine manchmal bis zu Sternescher Ironie gehende Exzentrik gestutzt.“

Wie sich hier schon ahnen lässt, gilt Jauchs Interesse weniger Kants Transzendentalphilosophie als vielmehr seiner Aufklärungsschrift mit ihrer „weitsichtigen Deduktion der Selbstentmündigung“. Die Autorin liest Kants „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ nicht zuletzt als „Enttäuschungsschrift“. Denn sie ziehe „eine mehrheitlich bittere Bilanz über die Mühen, ein denkfaules und subordinationsbereites Volk zur Selbstverantwortung zu animieren.“ Kants Schrift sei dabei zwar einerseits „mit ironischen Sprengbomben gegen den preußischen Obrigkeitsstaat durchsetzt“, andererseits aber gleichzeitig „fatal anpasserisch“.

Jauch, die Kants Philosophie in engen Zusammenhang mit seiner Biographie und seinen (wechselnden) Freundschaften setzt, sieht in den Tischgesprächen im Hause des Transzendentalphilosophen „ganz eindeutig“ seinen „Lebensnerv“. Schließlich habe er einen „avantgardistische[n] think tank mit extravaganten Köpfen“ um sich geschart, dessen „unendlich kühne Radikaliskis“ sich gegenseitig an Geist und Witz überboten. Hervorgehoben werden namentlich Theodor Gottlieb von Hippel, der „mit Fug zu den größten Sozialrevolutionären und Vorreitern des Sturm und Drang gezählte werden darf“ und den Gastgeber „in entscheidenden Punkten radikalisierte“ sowie Johann Georg Scheffner, der „ein eroto-philosophisches Werk wie kein Deutscher vor ihm, Wieland eingerechnet“, verfasste. In Kants Gesellschaft hat Jauch zufolge nicht etwa kalte Systemphilosophie die Tischgespräche beherrscht, sondern „Affekte, Liebe, Leid und Gram wohin man schaut“. Nur der Engländer Joseph Green habe als „Kants Lehrmeister in Sachen Pflicht und Maxime“ über einen allzu langen Zeitraum hinweg einen schlechten Einfluss auf den Philosophen ausgeübt.

Gilt Friedrichs Homosexualität als unzweifelhaft, so lässt sich Jauchs These, Kant sei „homoerotisch orientiert“ gewesen, doch ungleich schwieriger plausibilisieren. „Kant in einem Königsberger Privatclub? Und weshalb nicht?“ meint sie leichthin und fordert: „Man beweise das Gegenteil“. Damit scheint sie unzulässigerweise die Beweislast umkehren zu wollen. Doch ist dies mitnichten der Fall. Denn sie fährt fort, man solle ansonsten „shandyesk in der Möglichkeitsform denken“. Jauchs These zu Kants sexueller Orientierung sollte nun nicht einfach abgetan werden. Denn tatsächlich trägt sie etliche „Puzzleteile“ zusammen, die seine Homosexualität nicht gar so abwegig erscheinen lassen. Und es ist fraglich, ob sich ebenso viele Indizien für seine gemeinhin als selbstverständlich unterstellte Heterosexualität finden ließen.

Nicht alle von ihr angeführten Argumente aber halten wirklich Stich. So führt sie aus, dass die „Bildungs- und Sozialstrukturen“ zu Kants Zeit bekanntlich weithin „verhinderten, dass Frauen im Leben und in eroticis als ebenbürtige Partnerinnen eines gebildeten Mannes erscheinen konnten.“ Wenn nun aber „der weibliche Mensch nur als Triebabfuhranstalt, Säuberungsgerät und Gebärutensil dressiert und benutzt“ wurde, konnte „eine Hinwendung zu einem auf gleicher Augenhöhe befindlichen männlichen Partner mehr als nur eine Verstandeswahl sein.“ Zumindest diesem Argument steht allerdings eine Notiz Kants entgegen, in der er meint, „für einen Gelehrten ist eine gelehrte Frau ein schlechtes Glück, weil es der Letzteren bisweilen einfällt, mit dem Ersteren zu rivalisiren.“ Ein solcher Standpunkt schwächt zumindest Jauchs grundsätzliches Argument nicht ganz unerheblich, Kant könnte sozusagen notgedrungen homosexuell gewesen sein, weil er keine Frauen auf Augenhöhe finden konnte.

Auch überschätzt Jauch Kants Haltung zum ‚anderen Geschlecht‘, so etwa wenn sie ihn ernstlich als „radikalen Frühfeministen“ apostrophiert, wie es zu seiner Zeit schwerlich einen anderen gegeben habe. Kant zum radikalen Frühfeministen hoch zu loben, tut ihm zweifellos zu viel der Ehre an. Jauch begründet ihre Auffassung mit einem Zitat aus Kants früher Schrift, „Über das Gefühl des Schönen und Erhabenen“. Dort schreibt der Pflichtethiker: „Die Tugend des Frauenzimmers ist eine schöne Tugend, die des männlichen Geschlechts soll eine edle Tugend sein. Sie werden das Böse vermeiden, nicht weil es unrecht, sondern weil es hässlich ist, und tugendhafte Handlungen bedeuten bei ihnen solche, die sittlich schön sein. Nichts von Sollen, nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit. Die Frauenzimmer sind aller Befehle und alles mürrischen Zwanges unleidlich. Sie tun etwas nur darum, weil es ihnen beliebt, und die Kunst besteht darin, zu machen, dass ihnen nur dasjenige beliebe was gut ist. Ich glaube schwerlich, dass das schöne Geschlecht zu Grundsätzen fähig sei“. Jauch veranschlagt zu gering, dass das die Frauen zur Tugend motivierende Gefühl, Unrecht sei unschön, nur ein mehr schlechtes als rechtes Substitut für ihre qua Geschlecht wesenhafte Unfähigkeit ist, Grundsätze und somit Maximen zu haben. Frauen können Kant zufolge daher nicht aus Moral handeln, sondern nur der Moral gemäß. Darum „nichts von Müssen, nichts von Schuldigkeit“. Sie können nicht, also sollen und müssen sie nicht. Anders die Männer. Die Frauen hingegen sind alleine dazu ,fähig’, von den Männern so manipuliert zu werden, dass ihnen das Gute beliebt.

Mag Jauch Kants Frauenbild auch allzu positiv zeichnen, den Erkenntnisgewinn und auch die Freude, die ihr Buch auf fast jeder seiner annähernd 400 Seiten bietet, schmälert das nicht. Es sei darum ganz ausdrücklich allen zur Lektüre empfohlen, die ein wie auch immer geartetes Interesse an (der) Aufklärung haben.

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Ursula Pia Jauch: Friedrichs Tafelrunde & Kants Tischgesellschaft. Ein Versuch über Preußen zwischen Eros, Philosophie und Propaganda.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2014.
374 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783882215892

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