Das Zittern des Fälschers

Georges Perecs aus dem Nachlass veröffentlichter Roman „Der Condottiere“ in deutscher Erstübersetzung

Von Christof RudekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christof Rudek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kunstfälscherei ist nichts für schwache Egos. Seinen damit erworbenen Wohlstand genießen kann nur, wer sich nicht daran stört, selbst kein Künstler zu sein, und sich am besten noch einreden kann, mit seinem kriminellen Treiben eine verlogene Kunstwelt bloßzustellen, wie jüngst Wolfgang Beltracchi. Aber diese Kunstwelt ist eigentlich nur eine Kunstgeschäftswelt, und in der wahren Kunstwelt, in der Kunstgeschichte unter den Malern und Bildhauern aller Epochen, ist der Fälscher bestenfalls ein Parasit.

Georges Perec hat sich in seinem Werk häufig mit der Kunst, dem Täuschen und Fälschen, dem Verhältnis von Fiktion und Wirklichkeit auseinandergesetzt. Sein jetzt auf Deutsch erschienener Roman „Der Condottiere“ zeigt, dass ihn diese Themen schon früh beschäftigten. Denn das erst 2012, dreißig Jahre nach Perecs frühem Tod, im französischen Original erschienene Buch entstand bereits 1958/59, wie dem aufschlussreichen Nachwort des Übersetzers Jürgen Ritte zu entnehmen ist – ein paar Jahre vor seinem gleich mit dem „Prix Renaudot“ ausgezeichneten ersten veröffentlichten Roman „Die Dinge“. Eigentlich hatte der „Condottiere“ Perecs Erstling werden sollen. Der Autor hatte vom renommierten Verlag Gallimard bereits eine Zusage erhalten, doch trotz seines Eingehens auf Kürzungs- und Änderungswünsche überlegte man es sich dort schließlich anders.

Der Roman handelt von dem Kunstfälscher Gaspard Winckler, der schon in frühem Erwachsenenalter von einem erfahrenen Fälscher unter seine Fittiche genommen wurde und es bald selbst zu großer Meisterschaft im Fälschen von Gemälden, Skulpturen und Kunsthandwerk verschiedenster Epochen und Kulturen gebracht hatte. Nun, nach mehr als zehn Jahren eines von Arbeit, aber auch von Sorglosigkeit und Komfort erfüllten Fälscherlebens, ist er in eine Identitätskrise geraten. Er hat erkannt, dass der Fälscher, der nur von der Ausbeutung fremden Schaffens lebt, von der Wiederholung fremder Stile und Wesensarten, sein eigenes Leben verfälscht und verfehlt. Aus einem Impuls heraus ermordet er den Kopf der kleinen Bande, die seine Fälschungen in Umlauf brachte. Es soll ein Akt der Befreiung sein, nicht der äußeren Befreiung, denn er war nie ein Gefangener, sondern der inneren.

Der Roman teilt sich in zwei Abschnitte. Der erste besteht aus einem inneren Monolog Wincklers, der soeben den Mord begangen hat und nun durch einen Trick den Fängen des aufgeschreckten Dieners seines Opfers entkommt. Der zweite besteht aus einem offenbar einige Tage später stattfindenden Dialog mit einem befreundeten Maler. Der Roman hat kaum äußere Handlung, Reflexionen und Erinnerungen Wincklers stehen im Vordergrund. Häufig kreisen sie um Antonello da Messinas (auf dem Buchdeckel abgebildetes) Gemälde „Der Condottiere“, das Porträt eines Söldnerführers. Mit dem Versuch, einen falschen da Messina in der Art des „Condottiere“ herzustellen, beschäftigte sich Winckler in den Monaten vor seinem Mord. Mit dieser Arbeit verband er große Hoffnungen: Zum ersten Mal wollte er – paradoxerweise mit einer Fälschung – ein eigenständiges und ebenbürtiges Werk schaffen. Die Selbstgewissheit, Kraft und Ausgeglichenheit, die der „Condottiere“ ausstrahlt und die ebenso aus dem Stil da Messinas spricht, will auch Winckler erreichen – in der Kunst wie im Leben. Doch er scheitert, in dem überheblich und ängstlich wirkenden Gesichtsausdruck auf dem gefälschten Porträt erkennt er sein eigenes Spiegelbild.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich Perec nach dem Fehlschlag mit Gallimard nicht weiter um die Veröffentlichung des Buches bemühte. Denn so sprachmächtig und dringlich in seiner existentiellen Thematik der Roman auch ist, hat er doch seine Schwächen. Dass sich das Buch ein wenig im Kreis dreht, in seiner beengten Gedankenwelt verbleibt, mag man als passend empfinden, denn Winckler sieht sich selbst in einer ausweglosen Situation gefangen. Wenn Winckler am Ende des Romans diese Situation jedoch plötzlich überwunden glaubt und sich am Beginn eines neuen, wahrhaftigen Lebens wähnt, kommt das doch recht überraschend und unvermittelt. Auch der Auftritt des gesichtslos bleibenden Gesprächspartners scheint nicht recht motiviert. Man kann sich zwar an berühmte literarische Verhörszenen erinnert fühlen, etwa in „König Ödipus“ oder „Schuld und Sühne“. Aber im „Condottiere“ geht es nicht um Schuld, und der Fragesteller im zweiten Teil des Buches scheint seine Existenz eher der erzählerischen Notwendigkeit zu verdanken, Wincklers Lebensgeschichte für den Leser zumindest ansatzweise aufzurollen.

Gaspard Winckler taucht in späteren Romanen Perecs wieder auf, in seinem Hauptwerk „Das Leben. Gebrauchsanweisung“ und in der autobiographischen Erzählung „W oder die Kindheitserinnerung“. Dass nun auch das Buch, das seine Geschichte erzählt, endlich aufgetaucht ist, hat Perec vorhergesehen. Nach der Absage von Gallimard schrieb er mit mürrisch-augenzwinkerndem Trotz in einem Brief an einen Freund, irgendwann nach seinem Tod werde der Roman von einem treuen Exegeten in einem Koffer gefunden und dann endlich ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. So ähnlich ist es nun gekommen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Georges Perec: Der Condottiere.
Übersetzt aus dem Französischen von Jürgen Ritte.
Carl Hanser Verlag, München 2013.
160 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783446243446

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch