Von Heirat, Liebe, List und Tücke

Jessica Quinlan beschäftigt sich mit Eheschließungsszenarien im Artusroman

Von Lea EiseleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lea Eisele

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Töchter, die fremde Gäste verführen, Väter, die ihre Töchter für sich behalten wollen, Burgherren, die um ihre Herrschaft fürchten, und Helden, die durch ausgeklügelte Strategien als Schwiegersohn gewonnen werden sollen – Jessica Quinlan untersucht die erzählerische Ausgestaltung von konfliktbeladenen Konstellationen von Vater, Tochter und (potentiellem) Schwiegersohn im Artusroman französischer und deutscher Sprache um 1200. „Vater, Tochter, Schwiegersohn“ ist 2013 in der Reihe „Studien zur historischen Poetik“ des Universitätsverlags Winter Heidelberg erschienen und beruht auf der Dissertation Quinlans von 2008. Im Sinne der Reihe bietet der Band einen literaturwissenschaftlichen, auf die Ästhetik der Texte gerichteten Blick auf das Thema, bezieht aber auch eine historisch-anthropologische Perspektive mit ein.

Die Eheschließungspraxis in Europa um 1200 dient als Folie, vor der die Erzählungen untersucht werden. Quinlan begreift die literarische Umsetzung als „Ausspekulierung“ der Wirklichkeit, als zugespitzte, pointierte Darstellung von tatsächlich bestehenden konfliktträchtigen Verhältnissen. In diesem Rahmen konzentriert sie sich auf eine bestimmte familiale Gruppierung. Gegenstand ihrer Untersuchung ist die Beziehung, die sich auf unterschiedliche Weise zwischen der immer gleichen Figurenkonstellation von herrschendem Vater, Erbtochter und dem Helden, der von außen mit diesen in Beziehung tritt, entfaltet, und die Quinlan zufolge stets einen dynastischen Konflikt beinhalte. Diese Konflikte sind zwar nicht zentral für die Haupthandlung, finden aber in den Nebenhandlungen ihren Platz.

In neun ausgewählten Beispielen aus der Artusepik wird ein breites Spektrum an Varianten von durch endogames Verhalten geprägten Vater-Tochter-Beziehungen und der Überwindung dieser Verhältnisse durch den Helden gezeigt und analysiert. Wer nicht weiß, was „endogam“ bedeutet, oder über wenig Vorwissen verfügt, was den arthurischen Versroman betrifft, kann die Studie dennoch mit Gewinn lesen. Die Einleitung bietet sowohl eine Erklärung von Endogamie – Heirat innerhalb der eigenen sozialen Gruppe – und Exogamie – Verbindung mit einem Ehepartner aus einer fremden Gruppe –, zu der die literarischen Schilderungen von Eheschließung in Beziehung gesetzt werden.

Quinlan setzt sich als Ziel ihrer Studie, „zu klären, wie dieses Konfliktfeld (Vater, Tochter, Schwiegersohn) in der fiktionalen Literatur verarbeitet wurde“ und dabei „die Wichtigkeit dieser Thematik im Artusroman […] herauszustellen“. Sie grenzt das Forschungsfeld durch Auswahl der Textbasis genügend ein, um nicht vom Thema abzuweichen und zu fundierten Erkenntnissen zu kommen. Auch der Aufbau der einzelnen Abschnitte, die sich den verschiedenen Beispielen widmen, ist leserfreundlich gestaltet. Ein kurzer einführender Abschnitt zum jeweiligen Werk und eine vorangestellte Zusammenfassung der behandelten Episode ermöglichen es, sich gut zu orientieren. Die mittelhochdeutschen oder altfranzösischen Zitate sind zur Erleichterung des Verständnisses immer mit einer neuhochdeutschen Übersetzung der Autorin versehen. Drei Beispiele stammen aus dem „Lanzelet“ von Ulrich von Zatzikhoven, ein Beispiel aus Raoul de Houdencs „La Vengeance Raguidel“, außerdem werden Episoden aus „Le Chevalier à l’epée“, den Yvain- und Erecromanen von Chrétien de Troyes und Hartmann von Aue sowie Wolframs von Eschenbach „Parzival“ untersucht.

Die untersuchten Szenen der Begegnung zwischen dem von außen kommenden Helden mit Vater und Tochter, die aus unterschiedlichen Gründen in einem endogamen System leben, werden im Detail betrachtet und das Verhalten der agierenden Personen analysiert. Dabei werden je nach Besonderheit der Episode verschiedene Schwerpunkte gesetzt. Jede der neun Untersuchungen enthält auch eine Zusammenfassung der Episode, die Schilderung der endogamen Situation und deren exogame Lösung. So trifft beispielsweise der Held Lanzelet in den ersten drei analysierten Episoden auf Väter, die ihre Töchter und damit auch die Herrschaft über ihr Reich für sich behalten wollen, dabei aber verschiedene Strategien anwenden, vom strikten Verbot sich der Tochter zu nähern bis zum ausgeklügelten Hinterhalt, der dem Helden zum tödlichen Verhängnis werden soll. In anderen Episoden, so bei Wolframs „Parzival“, treten auch Vaterfiguren auf, die durch äußere Umstände dazu gezwungen sind, die Tochter im endogamen Regime festzuhalten. Quinlan analysiert ausführlich die Erzählverfahren, mit denen beispielsweise die Väter als bedrohliche Wächter ihres Besitzes entlarvt oder ihre Burgen als für Ritter gefährliche Orte gezeigt werden. Sie stellt auch Bezüge zwischen den Beispielen und zu anderen literarischen Werken her, zu Vorbildern oder ähnlich aufgebauten Erzählungen. So wird zum Beispiel der Paradiesgarten, der im „Lanzelet“ Kulisse der endogamen Beziehung von Iweret und Iblis ist, mit einem ähnlichen Garten, Behforet, aus dem „Erec“ Hartmanns von Aue verglichen.

Quinlan arbeitet mit der Terminologie des französischen Ethnologen Claude Lévi-Strauss. Dieser hat sich zwar nicht mit dem Mittelalter beschäftigt, aber Forschungen zu endogamen und exogamen Systemen bei Naturvölkern durchgeführt, auf deren Erkenntnisse Quinlan zurückgreift. Mit ihrer Arbeit stellt sie sich in die Forschungstradition ihrer Doktormutter Elisabeth Schmid, die ausgiebig zu den arthurischen Romanen, unter anderem zu den Familienverhältnissen im „Lanzelet“ geforscht hat. In ausführlichen Fußnoten nimmt sie auch zu weiterer Forschungsliteratur Stellung und präsentiert ihre eigene Interpretation der untersuchten Texte dadurch reflektiert und schlüssig.

Man lernt im vorliegenden Werk also verschiedene Variationen endogamer Familiensituationen und konfliktbeladener Eheschließungen kennen. Was ist nun das Verbindende der Analysen? Quinlan deutet das Zusammentreffen des Helden mit dem jeweiligen Vater-Tochter-Paar und das damit verbundene Aufbrechen der endogamen Verhältnisse als Grenzüberschreitung, die Vater und Tochter wieder in die Gesellschaft eingliedert, von der sie vorher abgeschottet waren. Über die rein literarische Ebene hinaus sieht sie die Episoden als eine bewusste Inszenierung der zeitgenössischen Verhältnisse der Familien- und Heiratspolitik. Das Potential dieser spannungsreichen Konstellationen wird in der Literatur ausgeschöpft. Die Bedeutsamkeit dieser Themen für das damalige Publikum zeige sich in der wiederholten Schilderung solcher Konfliktsituationen, die in der Literatur natürlich verdichtet und überzeichnet dargestellt sind. „Vater, Tochter, Schwiegersohn“ konzentriert sich auf ein genau abgegrenztes Thema, das sehr ausführlich untersucht wird. Quinlan behält ihr Ziel, die Untersuchung der erzählerischen Umsetzung der Dreierkonstellation, immer im Blick und kann zumindest in den von ihr ausgewählten Beispielen ihre These bestätigen, dass stets ein dynastischer Konflikt in der Begegnung zwischen Vater, Erbtochter und Helden entsteht. Durch den übersichtlichen Aufbau und verständliche Erklärungen kann auch der Leser mit wenig Vorwissen der Deutung der Beispiele folgen und Einblicke in die Familienkonstellationen im Artusroman gewinnen.

Titelbild

Jessica Quinlan: Vater, Tochter, Schwiegersohn. Die erzählerische Ausgestaltung einer familiären Dreierkonstellation im Artusroman französischer und deutscher Sprache um 1200.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2013.
308 Seiten, 39,00 EUR.
ISBN-13: 9783825358396

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