Das Silber des Meeres
Holger Teschke schreibt über Heringe
Von Georg Patzer
Besprochene Bücher / Literaturhinweise„Der Hering ist Hegelianer, indem er dem Weltgeist im Schwarm folgt, und Freigeist, indem er als Weltenbummler lebt. So ein Kunststück gelingt nur ausgeprägten Individualisten“. Denn: „Unbeirrbar folgt er den Wegen, die die Natur ihm vorschreibt. Aber er ist zugleich frei in einem scheinbar unendlichen Meer, das den gesamten Planeten umspannt. Er besitzt jene Freiheit, die nach Hegel aus der Einsicht in die Notwendigkeit entspringt.“
Und er ist ein Wunder der Natur. Bei dem gestandene Männer zu schwärmen beginnen: „Wie aus dem Nichts erscheint plötzlich eine silberblau schimmernde Heerschar […]. Unter Wasser erstrahlt sein schlanker Körper je nach Lichteinfall von stahlblau bis violett. Mitunter kann man sogar einen goldenen Schimmer erkennen. Sein Rücken glänzt smaragd- bis dunkelgrün […]. Alte Wörterbücher hielten für die Benennung der Schönheit des Herings im Schwarm ein eigenes Wort bereit: den ‚Heringsblick‘, der dem ‚blitzenden Glanz‘, den die Heringe von sich werfen, wenn sie in Scharen schwimmen“, einen Namen gab.
Die meisten werden die Heringe nur als Nahrungsmittel kennen, vor allem auf dem Fischbrötchen. Jahrtausende hat der Hering aber vielen Menschen ihr Einkommen und ihre armselige Nahrung gesichert, die Hanse wurden damit reich und gründete Städte mit dem Geld, das sie mit dem Heringsfang verdient haben. Es gab sogar handfeste Auseinandersetzungen wegen dieser eminent wichtigen Einnahmequelle, so 1463 die berühmte Heringsschlacht von Dragör zwischen deutschen und dänischen Fischern. Und als die dänische Königin Margarete I. sich anschickte, nach dem größten Teil von Schweden auch Stockholm zu erobern, ließen sich die verbündeten Städte Rostock und Wismar auf einen Pakt mit den Vitalienbrüdern ein, die Lebensmittel nach Stockholm schmuggeln sollten. Einer von ihnen war Klaus Störtebeker. Der später gegen seine früheren Unterstützer und Ausrüster kämpfte. Man kennt das heute von Osama Bin Laden.
Ein Buch über Heringe, das „Silber des Meeres“, hat Holger Teschke geschrieben, auf Rügen geboren, Maschinist auf Fischereikuttern, Dramaturg am Berliner Ensemble. In Kürze streift er Zoologie und Biologie, aber auch Geistes- und Kunstgeschichte. Denn auch die hat, von Bruegel bis Tucholsky, immer wieder etwas zum Hering zu sagen gehabt. Leider greift Teschke auch immer wieder auf seine Familiengeschichte zurück – das sind dann oft Geschichten, die nicht so besonders interessant und auch zu sehr ausgewalzt sind. Zu bemängeln sind auch ein paar andere Kleinigkeiten – dass er ausgerechnet das grandiose Grimm`sche Wörterbuch in falscher Rechtschreibung zitiert, dass er ein wenig konfus von einem Thema zum anderen springt und keines richtig vertieft, dass er manche Fachbegriffe nicht erläutert (welche Landratte weiß denn schon, was „vor dem Wind schleppen“ heißt) und dass sein gesamter Stil keinen Rhythmus hat, unrund klingt, unruhig – hier hätte ein Lektorat doch schon sehr wichtige Arbeit leisten müssen.
Dafür hat er, was bei deutschen Sachbuchautoren selten ist, eine große Portion Humor. So ergänzt er ein Stück von Shakespeare mit einer Heringsszene, freut sich mit dem Leser, dass einer der wichtigsten Kochbuchautoren ein Herr Hering ist (Standardwerk: Richard Herings „Lexikon der Küche“!), dass man den Bückling nach einem Bischof benannt hat und weiß schöne, norddeutsche Anekdoten. Insgesamt reicht sein Buch, auch wegen zu knapper biologischer Fakten zum Hering, zum Schwarmverhalten, zur Kommunikation, nicht an das „Krähen“-Buch aus derselben schönen und schön gestalteten Reihe heran. Besser als das völlig misslungene Esel-Buch ist es aber allemal. Und natürlich gibt es auch ein paar Fischrezepte am Schluss.
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