Mission Grönland

Kim Leine schreibt mit „Ewigkeitsfjord“ einen Roman über die Erlebnisse eines Missionars im Grönland des 18. Jahrhunderts

Von Elisabeth BökerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Elisabeth Böker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Marcel Reich-Ranicki sagte einst im Literarischen Quartett: „Was interessiert mich Grönland!“ Vermutlich würde sein Urteil bezogen auf Kim Leines vierten Roman nicht derart vernichtend ausfallen. Denn in „Ewigkeitsfjord“ überzeugt der dänische Autor mit seiner Geschichte über einen jungen Mann, der im Jahr 1787 als Missionar nach Grönland reist.

26 Jahre ist Morton Falck alt, als er auf ein Schiff nach Grönland steigt. Mehr schlecht als recht hat er sein Theologiestudium bestanden. Alles andere als die Bibelstudien – seien es praktische Lehren in der Medizin oder das Ergründen des Liebeslebens – interessierten den jungen, in Norwegen aufgewachsenen Herrn in Kopenhagen mehr. Eine Verlobung hat er vor seinem Weggang aufgelöst, denn er wollte seine Stelle als Missionar im hohen Norden ungebunden antreten.

Auf der Reise begleitet ihn ein Satz Rousseaus: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“ – und eine lebendige Kuh. Etwas bizarr erscheint das, wenn man bedenkt, dass er ins Land des ewigen Eises aufbricht. Zu Recht staunen daher die Bewohner der kleinen Siedlung bei seiner Ankunft über das Tier. Es wird weitere befremdliche Begebenheiten in den Jahren seines Aufenthaltes geben. Dazu zählen besonders die Begegnungen mit den Einheimischen, deren naturnahe und manchmal harte Lebensweise mit der der Kolonisten aufeinanderprallt.

Eben in diesem Aspekt der Lebensschilderung liegt die Stärke des Romans. Kim Leine beschreibt mit einer beindruckenden Präzision das Leben in Grönland. Zu erwähnen als Beispiele, die die Spannbreite seiner Detailschilderungen aufzeigen, sind etwa die Läuse, die auf der Perücke, die neben dem Essen auf dem Tisch liegt, herumkrabbeln sowie brutale sexuelle Übergriffe, die die Kolonisten begehen, weil sie ihre Begierde nicht in Zaum halten können.

Im Roman Leines finden sich diverse Thriller-Elemente. Im Prolog wirft der Autor etwa die Frage auf, wer eine Frau, die „die Witwe“ genannt wird, von der Klippe stieß. Aus diesem Grund lässt sich Leines Werk in die Tradition von Peter Høeg und dessen Roman „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“ stellen. Allerdings nehmen die Thriller-Elemente keinen zu großen Anteil in dem Roman ein. Es überwiegen die Schilderungen des Lebens des Protagonisten in Kopenhagen und Grönland am Ende des 18. Jahrhunderts. Größtenteils werden sie aus Falcks Perspektive erzählt. Historische Quellen dienten dem Autor als Grundlage, auch deswegen ordnet sich der Roman stärker im historischen Segment als im Thriller-Genre ein.

Eine Szene, die hervorzuheben ist, ist der Kontakt mit einer egalitären Siedlung, die der Protagonist besucht. Habakuk und Maria Magdalena, zwei Personen, die nachweislich gelebt haben, haben einen Ort geschaffen, an dem Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, noch bevor sie von den Grundgedanken der Französischen Revolutionen hörten, praktiziert werden. Morten Falck findet Gefallen an ihrer Lebensweise. Doch die dänischen Kolonisten, mit denen er herreiste, betrachten Habakuk und Maria Magdalenas Handeln als Affront. Die Situation eskaliert. Nur in Ketten liegend kommt Morton Falck davon und spürt damit die Bedeutung von Rousseaus Satz am eigenen Leib. Allerdings hätte Leine den Bezug auf den Satz gegen Ende des 600-Seiten-Werkes deutlicher herausarbeiten können.

Sehr gelungen ist die Vorausstellung der zehn Gebote zu Beginn jedes Kapitels im zweiten Teil des Romans, jener Teil, der vom Leben in der Kolonie handelt. Gerade weil der Pfarrer die Gebote, die er vermittelt, selber bricht, bekommen sie eine zynische Note. Den Scharfsinn der Missionsschüler lässt Leine aufblitzen, indem er sie mit der inkonsequenten Auslegung des Bibeltextes durch Pfarrer Falck konfrontiert. Somit zeichnet Leine ebenfalls ein gelungenes Bild von den Schwierigkeiten und Grenzen der Missionierung.

Leines Roman „Ewigkeitsform“ wurde vom Feuilleton gefeiert und mit mehreren Preisen, darunter dem des Nordischen Rates, ausgezeichnet. Zu Recht, denn selten findet man einen historischen Roman, der tragisch und höchst komisch zugleich ist.

Titelbild

Kim Leine: Ewigkeitsfjord. Roman.
Übersetzt aus dem Dänischen von Ursel Allenstein.
Carl Hanser Verlag, München 2014.
637 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446244771

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