„Sowas wie Heimweh. Oder so ähnlich.“
Uta Bierbaums „die schweizer krankheit.“
Von Nina Kiedrowicz
Uta Bierbaums Theatertext „die schweizer krankheit.“ wurde zu Recht von der Fachjury in die engere Wahl genommen. Er handelt – wie der Titel unschwer erkennen lässt – von Heimweh. Gemeint ist damit jedoch nicht die Sehnsucht nach einem spezifischen Ort, sondern nach etwas Unbestimmtem, das es vermag, die innere Leere der Figuren zu füllen – ein Thema, das bekannt scheint (vor allem in der Gegenwartsliteratur), jedoch erfreulich innovativ umgesetzt wird.
Abwechselnd wird von den Untiefen vergangener oder allzu langlebiger Beziehungen der drei Protagonist*innen erzählt: Von einer Schauspielerin, die die Trennung von ihrer Exfreundin nicht überwinden kann und eine leere Wohnung gegenüber anmietet, um sie in ihrer freien Zeit beobachten zu können; von einem Taxifahrer, dem es nicht gelingt, sein verhasstes Leben, die immer gleiche Stadt und seine Mutter hinter sich zu lassen; und von einem Mädchen, das unbedingt in einen Zustand gelangen möchte, in dem sie die Gefühle ihres depressiven Freunds nachvollziehen kann.
Man könnte Bierbaum vorwerfen, sie bediene sich stereotyper Figuren: Da gibt es das selbstzerstörerische Mädchen aus einer kaputten Generation, dem eh alles egal ist; den einsamen Mittvierziger, in dessen Leben die einzige Frau von Bedeutung die eigene Mutter ist; die Schauspielerin, deren Leben außerhalb der Bühne komplett aus den Fugen gerät. Vielleicht sind ihre Figuren tatsächlich ein wenig stereotyp, aber Bierbaum versteht es, den Eigenschaften, Ängsten und Zwängen dieser Charaktere aus unterschiedlichen Generationen auf den Grund zu gehen: Nicht zuletzt durch das emotionsgeladene Spiel der drei Essener Schauspielerinnen Sachau (als die Schauspielerin), Strestik (als Taxifahrer) und Schirmacher (als das junge Mädchen) begreift man den unerbittlichen Kampf der Figuren gegen die Alltäglichkeit und dringt ein in ihre Gefühlswelt. So wirkt das neunzehnjährige Mädchen nur auf den ersten Blick ‚tough‘ und unnahbar. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass sie nicht destruktiv und gleichgültig ist, sondern einfach nur Hals über Kopf verliebt, ein Zustand, mit dem sie heillos überfordert ist („ich will dich kaputtlieben. sagst du. du löst dich auf. sag ich.“).
Und auch das Klischee des soziopathischen Muttersöhnchens wird nicht einfach nur reproduziert. Er bekommt eine Geschichte und eine Stimme, erzählt, dass er nicht immer der Mensch war, der er heute ist. Sein Leben ist für ihn nur Nebenhandlung; was sein Denken bestimmt und sich zu einer Fixierung auswächst, ist sein Traum von einem weißen Porsche („ich träume von einem weißen porsche, der bringt mich raus aus dieser stadt. ich träumte, ich bin einfach los. irgendwohin, wo ich noch nie war.“) Anstatt diesen Traum zu verfolgen, versucht er ihn abzustellen, um endlich Zufriedenheit in seinem Alltag zu finden. Dazu setzt er sich bei minus 14 Grad in einen Schneehaufen und lässt seine Beine abfrieren. Dass ein Mensch sich selbst verstümmelt, um nicht mehr träumen zu müssen, macht die Verheerungen von Mittelmaß und Eintönigkeit greifbar: „ich träumte von einem weißen porsche. das ist jetzt endlich vorbei.“
Die Umsetzung der Textvorlage durch Moritz Peters gelingt großartig. Statt einer starren Lesung bieten sich dem Zuschauer überzeugende Darsteller, ein gelungenes Bühnenbild und eine kreative Einbindung des vorgelesenen Texts in die Requisiten. Die vielen Sprünge zwischen den Figuren, zwischen Gedanken und Dialog werden so arrangiert, dass man auch im Chaos stets folgen und sogar Ähnlichkeiten zwischen den doch grundverschiedenen Figuren entdecken kann.
Bierbaum geht in die Tiefe, leise und mit vielen Leerstellen. Sie erzählt eine Geschichte, die schon oft erzählt wurde, aber zeigt dem Leser/Zuschauer dabei, was ihm bisher verborgen blieb.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen