Persönlichkeitstrauma und Gesellschaftsneurose

Oskar Kokoschkas Bildnisse werden erstmals geschlossen präsentiert

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Ausstellungsdebüt dieses expressiven „Oberwildlings“ 1908/09 in Wien hatte gehässige, verständnislose Reaktionen zur Folge. Er galt als Bürgerschreck und Provokateur. Gemeinhin erwartet man ja auch von einem gegenständlichen Bild Stellungnahme und Entscheidungen. Oskar Kokoschka aber fügte dem Bekannten Unbekanntes hinzu und führte den Betrachter so unversehens in seine geistige Provinz, in der Spiel und Traum die Wirklichkeit verdrängen und uns von Zerrissenheit und Unruhe befreien sollen. Er ist im Grunde der abstrakteste unter den gegenständlichen Künstlern gewesen.

Die suchende, bekenntnisartige Intensität seiner Porträts, die immer zu einem Teil auch Selbstporträts sind, hat ihre traumatische Wirkung bis heute nicht verloren. Zwischen 1909 und 1914 verschaffte sich der junge, noch unbekannte Künstler mit einer einzigartigen Folge von Bildnissen das Entréebillett in die Kunstwelt. Diese frühen, in die ganze Welt verstreuten Porträts, dazu eine Fülle von Porträtzeichnungen, stellt das Kunstmuseum Wolfsburg anlässlich seines 20jährigen Bestehens ebenso geschlossen vor wie die der Dresdner Zeit von 1917/18 bis 1923, der anschließenden Wanderjahre Kokoschkas mit wechselnden Orten, der Emigrationsjahre in Prag und London bis zu denen, die entstanden, nachdem er seinen Alterssitz in Villeneuve in der Schweiz bezogen hatte. Insgesamt 55 Gemälde und 138 Arbeiten auf Papier werden gezeigt (bis 17. August 2014).

Der die Ausstellung begleitende opulente Katalog enthält neben dem Vorwort des unerwartet verstorbenen Direktors des Wolfsburger Kunstmuseums, Markus Brüderlin, drei Essays, die mit der Werkwelt des Künstlers vertraut machen: von Beatrice von Bormann, der Gastkuratorin der Wolfsburger Ausstellung, über Kokoschka als Rebell und Humanist, von Régine Bonnefoit, Hochschullehrerin in Neuchâtel und Konservatorin der Fondation Oskar Kokoschka in Vevey, über Kokoschkas Bildnis des Menschen und von Katharina Erling – sie erstellt zurzeit als Autorin den Band 2 des Werkkataloges der Gemälde Kokoschkas – über die besondere Rolle der Tierbilder im Werk Kokoschkas.

Der Tafelteil ist in den 11 – jeweils kurz kommentierten – Kapiteln der Ausstellung unterteilt: Kokoschkas Lehrjahre, Frühe Bildnisse, Herwarth Walden und „Der Sturm“, Alma Mahler, Die Macht der Musik (Kokoschkas Arbeiten zur Musik, seine Musiker- und Komponisten-Porträts), Kinderbildnisse, Kokoschka in Dresden, Tierporträts, Allegorische Frauenbildnisse (Bildnisse mit Landschaftshintergrund und allegorischem Gehalt), Humanistisches Engagement (Kokoschkas Proteste gegen den Krieg, sein Eintreten für Comenius’ revolutionäre Erziehungsprinzipien, seine Appelle an das Gewissen des Menschen, seine politischen Allegorien und Politiker-Porträts), Selbstbildnisse (vom ersten gemalten erhaltenen Selbstbildnis mit Alma Mahler (1912/13) bis zum letzten von 1971/72, in dem er sich mit seiner eigenen Sterblichkeit konfrontierte).

Schon der junge Kokoschka hat die Porträts der Intellektuellen, Künstler, Geschäftsleute, Aristokraten und Mäzene so neurotisch in Einzelteile zerlegt, auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt, dass sie alle Versuche einer psychologischen Porträtmalerei seit Vincent van Gogh übertreffen. Sein lebenslanger Freund, der Wiener Architekt Alfred Loos, verschaffte ihm die ersten Porträtaufträge und verpflichtete sich zugleich, all jene Bildnisse zu übernehmen, deren Besteller die Annahme verweigerten. Loos’ eigenes Porträt entstand 1909, Kokoschka suchte „scharfkantig“ die Ingenieurgesinnung des Architekten herauszuarbeiten, den Kontrast zwischen dem müde wirkenden Antlitz und den überproportional großen Händen. „Vater Hirsch“ (1909), ein Wiener Geschäftsmann, wird vom Künstler, die Zähne entblößend, vor einem leuchtenden Hintergrund als eine geschlossene Silhouette dargestellt, während in der psychogrammatischen Wiedergabe Ludwig Ritter von Janikowskis (1909), eines Schöngeistes, der dann in geistiger Umnachtung starb, das Kalligrafische dominiert: Mit dem Pinselende hat Kokoschka tiefe Furchen und Falten in das eingefallene Gesicht eingegraben, das zur Larve verzerrt ist. Wie van Gogh ist auch der junge Kokoschka von den Zeitgenossen als Maler der Karikatur erlebt worden.

Das Konterfei des Malerkollegen Felix Albrecht Harta (1909), des Sohnes von „Vater Hirsch“, kratzte Kokoschka mit wilden Hieben in die Farbmasse ein; übergroß ragen auch hier die Hände ins Bild. Den markanten Schädel des Wiener Autors Peter Altenberg hat er vor einer dunklen Aura ins Bild gesetzt. Um die Figur, die im Bild zu schweben scheint, breitet sich ein immaterielles Spannungsfeld aus. Das Doppelbildnis des Kunsthistorikerpaares Hans Tietze und Erica Tietze-Conrat (1909) hatte Kokoschka mit dem Pinsel zu malen begonnen, dann kratzte er mit den Fingernägeln weiter. Obwohl die beiden im Bild nicht direkt zugewandt sind, kommunizieren ihre Hände umso nachhaltiger. Kokoschkas transluzide Maltechnik, bei der Zeichnung und Malerei ihre äußersten Möglichkeiten ausschöpfen, korrespondiert mit der leicht nach vorn geneigten Erscheinung Herwarth Waldens (1910), des Begründers des Berliner „Sturms“. Dem kühlen Akkord der Blau-Weiß-Schwarz-Töne im Gewand antwortet das Strohgelb der Haare, die leuchtend roten Akzentuierungen in Gesichtspartien und Hand charakterisieren Waldens Angriffslust. Mit wenigen gebrochenen Farben hat Kokoschka die Schauspielerin Tilla Durieux (1910), jene „raubkatzenartig-dramatische Frau“ (so nannte sie der Malerfreund Max Oppenheimer) gemalt – und nicht vollendet. Dagegen bleibt das farblich leuchtend-helle Bildnis Alma Mahlers (1912), das im Bildtypus Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ folgt, der leidenschaftlichen, spannungsreichen Beziehung der beiden vieles schuldig. Die schweren, dunklen Farben und unheimlichen Glanzlichter im Porträt des Schönberg-Schülers Anton von Webern (1914) sollen dagegen Bezüge zu der Straffheit und Strenge von dessen Musik herstellen.

Ablehnung und Selbstbehauptung hat Kokoschka in seinem Selbstbildnis von 1910 verarbeitet, das er als Plakatentwurf für den „Sturm“ gestaltete und das heute als Inkunabel expressionistischer Druckgrafik gilt: Es zeigt ihn mit kahlem Schädel und mächtigem, vorgeschobenem Unterkiefer, mit der Linken verweist er – den Leidensgestus Christi konterkarierend – auf die Wunde an seiner Brust. Der Maler wird in diesen frühen Arbeiten schon zum Komplizen des Gemalten. Als er dann, von Kriegsverletzungen gezeichnet, nach Dresden verschlagen wurde, wo er 1919-1923 eine Professur an der Kunstakademie innehaben sollte, wird in dem „Selbstbildnis“ von 1917 ein fremder Mann immer mehr die eigenen Züge des Künstlers annehmen. Der fahrige, intuitive Pinselstrich macht deutlich, dass der Porträtierte und Kokoschka nicht nur geistig verwandt, sondern beide auch Außenseiter sind, beide unter der gleichen Gesellschaftsneurose leiden.

Auf anderen Bildnissen der Dresdner Jahre, wie auf seinen Porträts der Mutter „Romana Kokoschka“ (1917), „Katja“ (1918/19), gemeint ist die Dresdner Schauspielerin Käthe Richter, oder „Gitta Wallerstein“ (1921), wird die Bildoberfläche so transparent und flackernd, als ob der dargestellte Charakter zu sensibel wäre, um bloßgelegt zu werden. Seinem Porträt in Kokoschkas Gruppenbildnis „Die Freunde“ (1917/18) suchte der expressionistische Dramatiker Walter Hasenclever noch 14 Jahre später „täglich ähnlicher“ zu werden. Der wie ein Röntgenbild anmutende, Alma Mahler darstellende „Stehende weibliche Akt“ von 1918 diente der Münchner Puppenmacherin Hermine Moos als Modell für eine lebensgroße Puppe, die ihr Kokoschka in Auftrag gegeben hatte. Von diesem missglückten „Puppenfetisch“ verabschiedete sich der Künstler in dem Bild „Maler mit Puppe“ (um 1922), das ihn als genarrten Pygmalion vor seiner Muse, dem plump wirkenden Puppenkörper, als obskurem Objekt der Begierde zeigt. Das Bildgerüst wird nicht von der Zeichnung getragen, sondern von der farbigen Form, die selber Zeichen ist. Kokoschka baut – wie auch in den Aquarellen – die monumentalen Farbgefüge aus nebeneinander gesetzten Flächen teppichartig auf, und damit wird die Ausgangsform weitgehend aufgelöst.

Im Unterschied zur Ölmalerei machte Kokoschka die Kontur zu einem wesentlichen Träger der Zeichnung. Durch die Linie wird die Körperlichkeit gleichsam nachvollziehbar. Auch scheinbare Verzeichnungen transportieren die Bewegung und Veränderung der körperlichen Position. Wie er in den Zeichnungen zu einer spröden, reduzierten, nahezu abstrahierten Bildsprache findet, kommt seinem Ausdrucksvermögen auch die spontane, ungeheuer spannungsvolle Arbeit mit der Kreide auf Umdruckpapier ungemein entgegen. Dem Zeichner, dem der spontane, temperamentvolle, ungehemmte, auch unreflektierte Ausdruck der Skizze wichtiger war als das ausgewogene, vollendete Werk, hat im Dialog Freunde, Modelle, Schauspielerinnen, Kunsthändler, Verleger und Autoren konterfeit. Immer wieder sah er in den Gesichtern der anderen das eigene oder das Alma Mahlers, lebte er seine eigene Tragödie und seine Geschichte weiter, stellte er sich in den Konflikt der realen und konkreten Situation und übertrug sie dadurch erst in eine allgemeingültige Ebene.

Titelbild

Oskar Kokoschka. Humanist und Rebell. Katalogbuch zur Ausstellung in Wolfsburg.
Herausgegeben von Markus Brüderlin.
Hirmer Verlag, München 2014.
280 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783777422503

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