„Alice im Wunderland“ meets „Hello Kitty“

Ein Band erläutert, wie sich die Kinder- und Jugendliteratur im Medienzeitalter darstellt

Von Kirsten KumschliesRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kirsten Kumschlies

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Zeiten, in denen uns Literatur, in diesem Fall speziell die Kinder- und Jugendliteratur (KJL), primär in gedruckter Form begegnete, sind lange vorbei, das braucht eigentlich nicht mehr erwähnt zu werden. Der Begriff „Kinder- und Jugendmedien“ löst mehr und mehr den der „Kinder- und Jugendliteratur“ ab. Was sich hinter diesem Wandel verbirgt, lotet der Tagungsband „Kinder- und Jugendliteratur in Medienkontexten“mit sehr heterogenen Beiträgen aus.

Aufgrund der Heterogenität der einzelnen Beiträge, die von höchst unterschiedlicher Ausrichtung und auch Qualität sind, erscheint es nahezu unmöglich, in einer Besprechung alle Facetten des Buches zu erfassen: Fokussiert seien hier deshalb die besonders lesenswerten Artikel (deren Lektüre auch in universitären Seminaren lohnenswert sein kann).

Christine Lötscher und Ingrid Tomkowiak untersuchen die musikalische Untermalung in verschiedenen medialen Adaptionen von „Alice im Wunderland“, mithin einem der wichtigsten Klassiker der Kinderliteratur und einem Ur- und Prototyp literarischer Fantastik. Lötscher und Tomkowiak stellen fest, dass sich der Übergang in allen „Alice“-Filmen musikalisch ankündigt und kommen zu dem Ergebnis, dass die Musik die Funktion hat, „Alltag und Wunderland als Gegenwelten für das Publikum sinnlich fühlbar zu machen“.

In allen Adaptionen entdecken die Autorinnen eine „referentielle Verspieltheit“, die mit der Musikalität von Lewis Carrolls Sprache selbst korrespondiert. Impliziert ist in diese Beobachtungen der intermediale Vergleich. Ein solcher steht auch im Mittelpunkt, wenn in weiteren Beiträgen Felix Giesa Graphic Novel-Adaptionen von erfolgreichen und kanonisierten Kinderbüchern vergleicht, André Kagelmann Überlegungen zum Prozess der filmischen Aktualisierung von Erich Kästners „Emil und die Detektive“anstellt oder Sonja Müller Aspekte der Adressierung, Modernisierung und Kommerzialisierung in Erich Kästners „Konferenz der Tiere“ und ihren Verfilmungen untersucht.

All dies sind spannende intermediale Vergleiche, die auch für Didaktiker lesenswert sind, da sie Spielräume für medienreflexive Unterrichtsprojekte eröffnen. Noch stärker tun dies die Artikel im zweiten Teil des Bandes, in dem es um ausgewählte kinderliterarische Medienverbünde geht: Gina Weinkauff bezieht sich hier auf Paul Maars „Sams“, Karin Vach auf Tomi Ungerers „Die drei Räuber“und Anna Six auf „Prinzessin Lillifee“und „Hello Kitty“. Zentrum und Scharnierstelle ist der Beitrag von Iris Kruse zu ihrem Unterrichtskonzept der intermedialen Lektüre, das die Autorin bereits an anderer Stelle dargelegt hat und hier noch einmal in besonderer Weise theoretisch begründet und ausformuliert. Es handelt sich bei der intermedialen Lektüre nach Kruse um ein didaktisches Lehr- Lernarrangement, das im Grunde auf alle kinderliterarischen Medienverbünde übertragbar und im Unterricht der Grundschule realisierbar ist, indem Kindern verschiedene mediale Präsentationen gezeigt und durch Übergangsmoderationen der Lehrperson miteinander verbunden werden. Vor diesem Hintergrund leuchtet die Positionierung dieses Artikels in der Mitte nicht ganz ein: Sinnvoll wäre es gewesen, Kruses Beitrag an den Anfang zu stellen oder ans Ende, um abschließend zu den einzelnen Überlegungen eine Zusammenführung zu schaffen. So fehlt dem Leser latent der rote Faden, der sich durch Kruses Konzept der intermedialen Lektüre eigentlich leicht herstellen ließe.

Der letzte Teil versammelt Aufsätze zum Handlungssystem KJL im Zeichen der Medienkonvergenz. Hier werden theoretische Grundlagen gelegt: Thomas Möbius erläutert Implikationen des Begriffs Medienkonvergenz, woran Petra Josting direkt mit beispielhaften Überlegungen zur Medienkonvergenz in der KJL anschließt, wobei sie sich vorrangig auf die Analyse der Internetpräsenz von Autoren wie Kirsten Boie und Zoran Drvenkar konzentriert. Damit wird ein bislang eher randständig beachtetes Feld der KJL-Forschung erschlossen. Desiderata offenbaren sich auch im Folgenden, wenn Iris Schäfer Kinder- und Jugendkulturen im Internet unter die Lupe nimmt oder Elisabeth Hollweger und Angelina Probst sich dem in Deutschland bislang kaum wahrgenommenen Phänomen der Handy-Literatur annehmen.

Summa summarum beleuchtet der Band viele Facetten der Thematik, streift sie, deutet sie an, eröffnet Ausblicke und zeigt auf, dass noch erhebliche Forschungslücken im Bereich der Kinder- und Jugendmedien bestehen. Für einen Tagungsband typisch ist sicher die Heterogenität der Beiträge, die teilweise ein wenig unverbunden nebeneinander stehen. So vermag er Einblicke zu geben in unterschiedliche Forschungsrichtungen, die sich mit der KJL in Medienkontexten befassen. Das ist in Teilen sehr lesenswert.

Titelbild

Thomas Möbius / Ute Dettmar / Gina Weinkauff / Ingrid Tomkowiak (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur in Medienkontexten. Adaption - Hybridisierung - Intermedialität - Konvergenz.
Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2014.
302 Seiten, 57,95 EUR.
ISBN-13: 9783631626887

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch