Gentrifizierung in München

Über Gerhard Polts Hörspiel „Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau“

Von Sandra HeppenerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Heppener

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dachs wird im Volksmund Meister Grimbart genannt und gilt als mürrisches Fabeltier, das gerne alleine lebt. Allerdings zeigen wissenschaftliche Untersuchungen, dass dies für den Dachs so gar nicht stimmt. Fühlt sich der Dachs wohl in seiner Umgebung, dann ist er auch gesellig. Nur müssen es die Verhältnisse seines Lebensraumes auch zulassen. Die Verhältnisse des „Lebensraumes Amalienstraße“ sind im München der 1970er-Jahre für die Bewohner bedroht. Für die Erweiterung der Universitätsgebäude wurden Wohnungen geräumt, obwohl sich Gegenbewegungen wie das Bündnis „Aktion Maxvorstadt“ bildeten. Was die fiktiven Bewohner dieser älteren Straße von den Räumungen der Stadtverwaltung hielten, verarbeitete Gerhard Polt authentisch zu einem 57 Minuten dauernden Hörspiel.

Der Titel des Hörspiels wagt den Vergleich zwischen Schädlingsbekämpfung und Luxussanierung. „Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau“ ist als Titel Leitmotiv des Hörspiels: Mieter werden wie unliebsame Schädlinge aus ihrer Wohnung vertrieben, wenn Hauseigentümer einen hohen Verkaufspreis erzielen können. Wenn Investoren, Stadtplaner und Immobilienmakler durch die Umstrukturierung eines Wohnviertels mehr Geld verdienen können als mit Menschen, die dort einfach „nur“ wohnen möchten, wird der Mensch schnell zum Menschen zweiter Klasse: „der Mieter ist heute wie ein Hausschwamm, er ist buchstäblich nicht mehr herauszukriegen. […] Der Mieter ist ein ökonomisches Desaster“ sagt uns die Stimme des Eigentümers in Polts Hörspiel. Doch Polt geht es nicht nur um die Vertreibung aus einem Wohnviertel. Er verbindet das Thema Stadtplanung darüber hinaus kunstvoll mit der bayerischen Mentalität, um das kleinbürgerliche Denken der Gemütlichkeit zu entlarven. Wird den Bayern im Volksmund eine gewisse Grimmigkeit nachgesagt, so sind sie eben auch urgemütlich, wenn sie sich in ihrem Umfeld wohlfühlen. In diesem Sinne stehen die „Meister Grimbarts“ der Amalienstraße für eine Generation „vom alten Schlag“, für eine Generation, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt hat. Diese Mentalität findet sich in feinen wie deutlichen und politisch unkorrekten Formulierungen wieder. Polt vertont alle Bewohner und Bewohnerinnen der Straße selbst. Der besondere satirische Reiz wird durch Polts Sprachgefühl mit seinem Können, verschiedenste Stimmlagen einzunehmen, kombiniert. Alle Beteiligten am „Projekt Amalienstraße“ kommen zu Wort: Vertreter der Stadtverwaltung, Bürgerinitiativen, Studenten, Pensionäre, ein Wirt, ein Philosoph, Hausverwalter, ein Schwarzafrikaner und viele mehr. Zu Tage tritt Kleinbürgertum, gepaart mit Spießigkeit; 68er-Revolutionäre knüpfen Kontakte mit Wutbürgern. So wird zu allen Seiten hin das Phänomen der Gentrifizierung aufgezeigt.

Akustisch werden die politischen Panoramen von der Mikroebene bis zur Makroebene gespannt, wenn beispielsweise ein Urbayer und seine Nachbarin über Karl Marx und die APO sprechen, und dazu im Hintergrund eine Zither leise die „Internationale“ spielt. Das geht dann so: „Ich meine, ich habe Karl Marx nicht persönlich gekannt, und ich kenne seine Bücher jetzt nicht persönlich, aber der Napoleon hat schon immer gesagt, des is der schlafende Riese, gell, den soll man nicht aufwecken, oder.“ Im Hintergrund hört man die Studentenunruhen. Dazu begegnet uns die „Internationale“ akustisch immer wieder in Variationen, mal schneller, mal langsamer.

Polt zeigt ebenso die Spuren der Nazirhetorik im alltäglichen Sprachgebrauch auf, wenn im Hörspiel die Hausbesitzer-Stimme den Mieter zum Schädling erklärt oder die Zimmervermieterin von „Herr[n] Tschabobo aus Tschurangrati“ als einem „Neger“ spricht, der sich überraschenderweise wäscht und pünktlich seine Miete zahlt, und „dass der junge Mensch ein Neger ist, hat nichts damit zu tun, dass er ein Neger wär, er ist ausgesprochen sauber, und was dazu kommt, er ist auch ausgesprochen gelehrig. Herr Tschabobo, er ist nicht katholisch, aber wenn er sauber ist, warum soll man diesen Leuten etwas entgegensetzen? Ich hab ihn schon gefragt, ob er bekehrt ist“ – so lautet der freundliche Rassismus, der Herrn Tschabobo das höchste, dafür aber auch zweifelhafteste Kompliment von seiner Zimmervermieterin angedeihen lässt: „Er ist hochanständig – wenn er kein Schwarzer wär, er könnt’ a Deutscher sein.“

Außerhalb der Gespräche in einem leerstehenden Mietshaus sind akustische Darstellungen der Stadt mit typischen Klängen versehen, die seit der Industrialisierung den urbanen Sound kennzeichnen. Wir hören Autohupen, die Geräusche der Baustelle mit Presslufthämmern und die unvermeidliche Rückkopplung eines Mikrofons, das der regionale, kommunalpolitische Sprecher des „Urbanen City-Plannings“ bei einer Versammlung benutzt: „City-Planning ist natürlich keine Sache von bösen Buben […], aber dennoch möchten wir darauf hinweisen, dass auch wenn manches vertraute Element verschwunden ist, doch sehr viel getan wurde für den Bürger […] Wir haben Begrünungseinheiten geschaffen, die dazu angetan sind, aufzulockern. […] Grasplattenensembles geben ihm das Gefühl, nicht ganz von der Natur abgeschnitten worden zu sein […]. Selbstverständlich haben wir auch etwas dazugetan, um dieser Stadt eine Note der Heiterkeit zu verleihen, und deshalb haben wir Kunststoffparzellen errichtet aus Buntglas und Farbigbeton mit Plastikstrukturelementen, die eben eine ästhetische Note der Heiterkeit und des Frohsinns verbreiten. Ich muss sagen, diese Stadt von heute für morgen geplant, wird weiterhin die Möglichkeit einer menschlichen Existenz gewährleisten.“

Das Zitat zeigt anspielungsreich Polts berüchtigten Humor. Atmosphärisch verdichtet sich durch die Nachahmung der Rückkopplung als Begleitgeräusch das Provinzielle, das kleinbürgerliche Denken. Wegen dieses bissigen und treffsicheren Humors und des Ansporns, sich aktiv mit der Entwicklung seiner Heimat vor Ort auseinanderzusetzen, lohnt sich das Hören von „Als wenn man ein Dachs wär’ in seinem Bau“. Leider können die Einzelaussagen der Mieter nicht in einzelnen Stücken angespielt werden, denn das Hörspiel wurde als ein zusammenhängender Track gespeichert. Dafür gibt es aber ein Inhaltsverzeichnis, das durch die einzelnen Aussagen der Bewohner führt.

Titelbild

Gerhard Polt: Als wenn man ein Dachs wär' in seinem Bau [Tonträger].
Kein & Aber Verlag, Zürich 2014.
60 Min., 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783036912936

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