Rausch, Wahnsinn und die Suche nach Erlösung

Mit „Augen zu und durch“ ist der dritte und vorletzte Teil von Larcenets bildgewaltigem Comic „Blast“ erschienen

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Blast“ ist ein in jeder Hinsicht ungeheures Werk. Wegen des Umfangs: Jeder der bis dahin erschienenen Bände erreicht die für Comics epische Länge von ungefähr 200 Seiten. Wegen seiner Hauptfigur Polza Mancini: Als schwerer Alkoholiker, extrem fettleibig, aus klinischer Perspektive eindeutig psychotisch und darüber hinaus auch noch wegen einer abscheulichen Gewalttat inhaftiert, gibt er einen monströsen Antihelden. Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – zieht er den Leser in seinen Bann. Dafür verantwortlich ist vor allem die überwältigende, vielfältige visuelle Kraft der drei Bände, die darüber hinaus so differenziert daherkommt wie noch nie bei Larcenet.

Und das soll etwas heißen, denn Manu Larcenet gilt neben Comic-Künstlern wie Lewis Trondheim oder Joann Sfar als einer der wichtigsten Erneuerer des französischen Comics. Analog zur berühmten Film-Bewegung wurde diesen Künstlern das Etikett Nouvelle Vague verpasst, auf dass auch dem Letzten klar werde, dass Comics intelligent und anspruchsvoll unterhalten – sprich Kunst sein können. Manu Larcenets Arbeiten besaßen schon früh einen besonders hohen Wiedererkennungswert. Seinen Stil könnte man dabei als einen im postmodernen Gewand daherkommenden Romantischen Realismus bezeichnen. Der vormals vordergründig naive, kindliche Stil, der etwa  Larcenents „Die Rückkehr aufs Land“ und über weite Strecken auch sein ebenfalls vierteiliges Werk „Der alltägliche Kampf“ kennzeichnet, war Ausdruck einer zwar humorvoll reflektierten, aber doch unverkennbar positiven Lebenshaltung seiner Protagonisten, die allen äußeren Umständen trotzte.

Diese Haltung ist in Blast verschwunden. Nahezu zwangsläufig, denn Polzas Blick auf die Welt ist düster und hoffnungslos. Formal entfaltet sich die Erzählung als riesige Rückblende. Der inhaftierte Polza erzählt zwei Kommissaren seine Lebensgeschichte, die mit dem Auftreten des ersten ‚Blast‘ Fahrt aufnimmt. Als ‚Blast‘ bezeichnet Polza den ihn überfallartig überkommenden Zustand einer allumfassenden Klarheit, Reinheit und Transzendenz, den er seit dem ersten Auftreten mit Hilfe übermäßigen Ginkonsums erneut hervorzurufen versucht. Von nun an trachtet er nach nichts anderem als dem nächsten Blast. Polza gibt sein zurückgezogenes Leben eines Außenseiters auf, der schon zu jener Zeit seine Glücksmomente mehr durch Fress- und Alkoholexzesse herbeiführt als durch seine Arbeit als Schriftsteller oder die Liebe einer Frau. Er verlässt seine Partnerin und wählt das Leben eines Clochards, sucht die Einsamkeit, die Ruhe der Natur und natürlich den erneuten Blast. In „Augen zu und durch“ strandet Polza vorrübergehend in der Psychiatrie, bricht aus und findet eine fragile Idylle bei einem ehemaligen Mitpatienten und dessen Tochter.

Statt der knallbunten Farben der früheren Werke findet man in „Blast“ nun überwiegend schwarzweiße Bilder. Mal werfen die fein nuancierten Schattierungen einen geheimnisvollen Schatten über die Gesichter und das Geschehen, mal zeigen sie die Dinge in beinahe naturalistischer Klarheit. Immer liegt diese Ästhetik jedoch wie ein schwerer Schleier über der nur noch ansatzweise erkennbaren naiven Romantik der früheren Werke Larcenets, die sich noch am ehesten in den Gesichtern der Figuren wiederfindet. Allerdings findet man hier statt Nasen bei manchen Figuren auch Schnäbel, eine Art surrealen Symbolismus, der nicht zufällig an den Phönix-Mythos erinnert. Darüber hinaus bedient sich Larcenet gerade im dritten Teil von „Blast“ auch immer wieder bei der Malerei, um den schwarzweißen Kosmos hin und wieder aufzubrechen. Gegen Anfang der Erzählung stößt Polza in einem leer stehenden Sommerhaus auf grellbunte, in expressionistischer Tradition stehende Porträts leidender Gesichter, die ihn so sehr faszinieren, weil er sich in ihnen wiederfindet. Und einige Seiten später verweist Polza bei seinem größten Glück, der kontemplativen Betrachtung ihn umgebender Sommerlandschaften, auf Größen wie Monet. Am spektakulärsten geraten Larcenet jedoch die Darstellungen des Blasts: Knallbunte, surreale Kinderbilder, die tatsächlich von Larcenets Kindern stammen sollen. Hier findet sie sich in Reinform, die naive, unbeschwerte Authentizität des Ausdrucks, die Larcenet uns in „Blast“ sonst bewusst vorenthält. Kunstvoll webt Larcenet diese Bilder in seinen düsteren Kosmos ein und lässt erahnen, warum die sogenannte Outsider-Art, die Kunst psychisch Kranker, in ihrer Unmittelbarkeit so oft an Kinderzeichnungen erinnert, die ebenfalls die Gesetze von Form und Stil hinter ungezügelter Emotion zurücktreten lassen.

Vielleicht sind es vor allem diese Bilder, die uns Polza in seiner immensen Sensibilität und Verletzlichkeit nahebringen. Larcenet, der Polza als Schriftsteller wortgewandt, poetisch und teils ironisch erzählen lässt, schafft mit jedem seiner Bilder, vor allem aber mit denen des Blasts, eine der Sprache und der Logik gegenüberstehende Welt. Während die Sprache Polzas Handlungen und seine Motive erklärt, ihn in seiner eigenen Logik erfasst, stoßen uns die Bilder unmittelbar in die magische, mit Worten kaum beschreibbare Innenwelt der Figur. Wie Larcenet auch in „Augen zu und durch“ diese beiden Ebenen zu einem ungemein fesselnden und faszinierenden Ganzen verbindet, ist hohe Kunst. So bleibt eigentlich nur zu hoffen, dass die Veröffentlichung des vierten und letzten Bandes von Blast nicht allzu lange auf sich warten lässt und eine ähnliche Qualität aufweist. Larcenet selbst hat die Messlatte sehr hoch gelegt.

Titelbild

Manu Larcenet: Blast 1 - Masse.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock.
Reprodukt Verlag, Berlin 2012.
204 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783943143126

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Manu Larcenet: Blast 2 - Die Apokalypse des heiligen Jacky.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock.
Reprodukt Verlag, Berlin 2013.
204 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783943143416

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Manu Larcenet: Blast 3 - Augen zu und durch.
Übersetzt aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock.
Reprodukt Verlag, Berlin 2014.
208 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783943143812

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch