Dialektik des Eros
Rosa Mayreders Essay „Askese und Erotik“ in einer Neuauflage
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVor rund einem Jahrhundert war die Österreicherin Rosa Mayreder stets in vorderster Front zu finden, wenn es darum ging, dem patriarchalischen Staat und seiner Gesellschaft die ersten Frauenrechte abzuringen. Man geht wohl kaum fehl, wenn man in der Autorin noch immer eine der prominentesten Feministinnen der Alpenrepublik erblickt. Eben darum sind auch heute noch einige ihrer Bücher im Handel erhältlich. So etwa die beiden Essaybände „Zivilisation und Geschlecht“ und „Zur Kritik der Weiblichkeit“, ihre Lebenserinnerungen „Mein Pantheon“ sowie die philosophische Abhandlung „Der letzte Gott“. Sie erschienen im „mandelbaum Verlag“, dem „Philosophisch-Anthroposophischer Verlag am Goetheanum“ und im Wiener „Böhlau Verlag“.
Nun hat der Hamburger Severus-Verlag mit dem zuletzt im Jahre 2001 im „Verlag am Goetheanum“ erschienenen Essay „Askese und Erotik“ eine weitere ihrer Schriften neu aufgelegt. Der Severus Verlag allerdings ist kein eigenständiger Verlag, sondern ein Imprint des „diplomica Verlags“, der seinerseits wiederum dafür bekannt ist, universitäre Arbeiten zu veröffentlichen, ohne dass diese auch nur die geringsten qualitativen Ansprüche erfüllen müssten. Vielleicht erklärt das die zwar nicht unansehnliche, aber doch nachlässige Form der vorliegenden Veröffentlichung. So hat das nicht broschierte, sondern in einen Pappeinband eingebundene Buch zwar einen Schmutzumschlag und ist sogar mit einem Lesebändchen ausgestattet, was dem angesichts des Umfanges von 61 Seiten doch nicht ganz unbeträchtlichen Preises von knapp 20 Euro auch angemessen erscheint. Zugleich jedoch mangelt es ihm an editorischer Bearbeitung. Weder enthält es Angaben zur Autorin, noch Erläuterungen zum Text oder gar ein Vor- respektive Nachwort – sieht man einmal von der knappen Angabe „Nachdruck der Originalausgabe von 1926“ auf der Rückseite des Vorblattes und einem gerade mal 11 Zeilen umfassenden Text auf der Rückseite des Umschlages ab.
Aber vielleicht ist das ja ganz gut so. Denn bereits in den wenigen Zeilen auf dem Umschlag wird Mayreder fälschlicherweise als Soziologin vorgestellt und der vorliegende Essay irrtümlich als „Essaysammlung“ bezeichnet. So hat der auf dem Vorblatt abgedruckte Vermerk „Der SEVERUS Verlag übernimmt keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für evtl. fehlerhafte Angaben und deren Folgen“ denn auch seinen guten beziehungsweise wohl eher schlechten Grund. Zudem ist der auf Einband und Umschlag, nicht aber auf dem Titelblatt abgedruckte Untertitel „Ideen der Liebe Krise der Ehe“ nicht von der Erstausgabe aus dem Jahr 1926 übernommen, die ihn nicht aufweist, sondern von der 2001 erschienenen Neuausgabe, die von Tatjana Madeleine Popović besorgt wurde, die bis Ende 2008 die Rechte an Mayreders Schriften inne hatte. Bei dem von Popović herausgegebenen Band ist der dreigliedrige Titel allerdings dadurch gerechtfertigt, dass er anders als der vorliegende nicht nur Mayreders Text von 1926, sondern zudem deren 1927 und 1929 erschienene Essays „Ideen der Liebe“ und „Krise der Ehe“ enthält.
Doch zum Text selbst. Unter Verwendung eines heute Befremden auslösenden in den 1920er-Jahren allerdings nicht ganz unüblichen Vokabulars – so ist bereits auf der ersten Seite nicht nur von „primitiven Völkern“, „Der Kulturmenschheit“ und sexueller „Entartung“ die Rede – stellt Mayreder ihr Theorem von der menschheitsgeschichtlichen Entwicklung des Sexualtriebes zur Erotik vor, in deren Verlauf der dem individuellen Gegenüber gleichgültige Geschlechtstrieb zur personenbezogenen Geschlechtsliebe erhoben wird.
Diese Entwicklung erfolgt Mayreder zufolge in einem Dreischritt, in dessen Mitte die Askese liegt. Da nun die Askese das Gegenteil des sexuellen Triebes ist, somit also als dessen ‚Antithese‘ gesehen werden kann, Trieb und Askese in der Erotik aufgehoben sind, und zwar in dem Sinne, dass sie zugleich negiert wie auch auf einer höheren Ebene bewahrt werden, lässt sich in der Erotik die Synthese von Sexualtrieb und Askese sowie in Mayreders Theorem das Prinzip der Hegel’schen Dialektik erkennen. Erwähnt wird Hegels Verfahren von der Autorin allerdings nicht.
„Die Umwandlung der Sexualität zur Erotik“ aber ist Mayreder zufolge noch längst nicht abgeschlossen, sondern vielmehr noch immer „eine Erscheinung, die erst in ihren Anfängen begriffen ist.“.
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