Im Psycho-Labyrinth

„Die zwei Gesichter des Januars“ – Die Adaption eines Thrillers von Patricia Highsmith entdeckt die einstige Exotik Europas

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

In den 1960er-Jahren, als die Frauen noch ordentliche Frisuren, die Männer noch schicke Anzüge und beide einen Hut trugen, war Betrug bereits eine Kunst. Die freilich nicht jedermann beherrschte. Chester MacFarland (Viggo Mortensen) könnte die Ausnahme sein. Zusammen mit seiner jungen Frau Colette (Kirsten Dunst) reist der Amerikaner durch Europa, wirkt ebenso wohlhabend wie weltgewandt und ein kleines bißchen undurchsichtig. Das mondäne Paar erregt in Athen die Aufmerksamkeit von Rydal (Oscar Isaac), ebenfalls Amerikaner, der sich als Fremdenführer durchschlägt. Die Bekanntschaft mit den MacFarlands bringt ihm jedoch kein Glück. Eine scheinbar kleine Gefälligkeit für Chester zieht ihn in üble Machenschaften, an deren Anfang ein mieser Aktienschwindel und deren Ende drei Tote stehen.

„Die zwei Gesichter des Januars“ basiert auf dem gleichnamigen Buch „The Two Faces of January“ (1964) der amerikanischen Schriftstellerin Patricia Highsmith (1921-1995), dessen Titel leitmotivisch über ihrem Gesamtwerk stehen könnte. Als Meisterin des psychologischen Kriminalromans schrieb Highsmith statt ‘Whodunits’ à la Christie beklemmende ‘Whydunits’, in denen sich Durchschnittsbürger an Verbrechen versuchen, teils mit erstaunlichem Erfolg wie ihr amoralischer Lieblingsheld Tom Ripley. Highsmiths Interesse galt der sogartigen Unvermeidbarkeit des Bösen und der Faszination der Lüge, es galt gespaltenen Identitäten und zwanghaften, unberechenbaren Verhaltensweisen, die sie ohne ethische Wertung sezierte. Ihr Menschenbild ist extrem düster – und damit wie gemacht fürs Kino.

Duett

Mit einem solchen Menschenbild hat sich Regieneuling Hossein Amini bislang eher wenig auseinandergesetzt. Als Drehbuchautor von Klassikeradaptionen („Herzen in Aufruhr“, 1996; „Die Flügel der Taube“, 1997), exotischen Abenteuern („Shanghai“, 2010) und Thrillern der besonderen Art („Drive“, 2011) thematisiert er häufig die Konfrontation von privaten Interessen mit gesellschaftlichen Bedingungen, wobei eine gewisse Tendenz zum Elementaren, Symbolischen, auch Archaischen erkennbar ist. „Die zwei Gesichter des Januars“ konzentriert sich hingegen auf das Innenleben dreier Personen.

Aminis Inszenierung, sein Regiedebüt, besticht mit klassischer Stilsicherheit. Die Charakterisierung wie Psychologisierung seiner Protagonisten aber, denen ohnehin die Tiefe von Highsmith` Vorlage fehlt, bekommt er in der ersten Filmhälfte weder narrativ noch dramaturgisch in den Griff. Sie werden allesamt von unerreichbaren Sehnsüchten getrieben und von neurotischen Schwächen gebeutelt, doch deren Ursachen erschließen sich nicht. Warum Rydal den MacFarlands zur Flucht nach Kreta verhilft – aus Verehrung für Colette, aus Bewunderung für Chester, aus Geldgier, Langeweile oder Abenteuerlust? – bleibt ebenso diffus wie Colettes Naivität und Chesters Launenhaftigkeit. Klar ist nur, daß diese in vielen Nahaufnahmen eingefangene, überschaubare Dreiecksgeschichte der Attraktionen und Abhängigkeiten keinen Ausweg bietet. Sie wird übel enden. Für echte Krimispannung, gar psychologische Abgründigkeit reicht das kaum. Allein die Schauspielkunst von Viggo Mortensen als zwielichtiger, tückischer ‘man of culture’ und Oscar Isaac als hartnäckiger, gerissener ‘small-time crook’ hält das Interesse an diesen beiden Männern wach und daran, wessen bzw. wieviel Durchtriebenheit sich letztlich durchsetzen wird.

Solo

Anders als die wenig stimmigen Figuren und ihre Motivationen wissen das auf Eleganz statt Style setzende Productiondesign, der Soundtrack mit Hitchcock-Kolorit sowie die Atmosphäre zu überzeugen. Kameramann Marcel Zyskind läßt warme Mittelmeersonne die Bilder durchfluten, ohne sie an die heutige Konvention touristischer Hochglanzpanoramen zu verraten. Anfang der 1960er-Jahre, bevor sich ein Europa aus individuellen Nationen langsam in einen amerikanisierten Eurobrei auflöste, besaß der Kontinent noch diesen gewissen Reiz aus fremder Kultur und unvertrauter Lebensart. Jenes letzte herrliche Aufflackern des ‘Ausländischen’, das nichts mit der Banalität von Folklore gemein hat, liegt wie ein geheimnisvoller Schatten über dem Geschehen. Nur in solch einem ‘alten Europa’ mit seinen Grenzkontrollen werden Unbehaustsein und Unwohlsein von Flüchtenden greifbar; nur dort, wo man eben nicht überall mit Englisch durchkommt, herrscht Isolation; nur dort, wo keine standardisiert-anonymen Hotelblöcke stehen, ist die kleine Pension letztes Refugium.

Während der fesselnde Schauplatz ein Flair von Doppelbödigkeit in die ‘Mediterranean Noir’-Story einbringt, offenbaren in der zweiten Filmhälfte schließlich die Charaktere ihre Janusköpfigkeit. Es kristallisiert sich heraus, daß Rydal an Chester seinen Vaterkomplex abarbeitet, und Chester wiederum von verzweifelten Versagensängsten/-erfahrungen getrieben wird. Passenderweise irren sie einmal durch die Ruinen von Knossos, in denen das legendäre Labyrinth des Minotauros liegen soll. Zwei Suchende, die niemals zu Helden werden. Aber einer von ihnen wagt am Ende eine einzigartige, kathartische Rettungstat für den anderen. Ein würdiges Begräbnis ist ihm damit gewiß.

„Die zwei Gesichter des Januars“ (Großbritannien, USA, Frankreich)
Regie: Hossein Amini
Darsteller: Viggo Mortensen, Oscar Isaac, Kirsten Dunst, David Warshofsky
ab 29.5. im Kino

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz