Pennälerhafte Fachprosa
Die neue „Kulturgeschichte der frühen Neuzeit“ ist nicht nur peinlich, sondern unverschämt
Von Johannes Schmidt
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseHin und wieder stößt man auf ein Buch, dessen stilistische Eigenheiten bei der Lektüre wie Nadelstiche wirken: Man kann sich zwar mit ihnen arrangieren, aber sie sind doch belästigend. In seltenen Fällen machen diese Eigenheiten die Angelegenheit sogar zur Qual, man fühlt sich wie in einen Ameisenhaufen geworfen, überall brennt und kribbelt es. Der werkseigene Duktus geht einem so gegen den Strich, dass man unter normalen – belletristischen – Umständen das Buch zuschlagen und weglegen würde.
Ein Roman mit solchen Charakteristika hat beim Leser verloren. Ein Sach- oder gar Fachbuch jedoch muss vorwiegend durch seinen Inhalt überzeugen und nicht durch seine Form (wobei natürlich gilt: Auch in der Fachliteratur sollte gute Form selbstverständlich sein). Ein schlecht geschriebenes Buch kann immer noch ein informatives, innovatives Buch sein und umgekehrt kann eine stilistische Meisterleistung den größten Unsinn vermitteln. Im zweiten Fall könnte man wie mit einem Roman verfahren, im ersten hingegen muss man sich wohl oder übel darauf einlassen.
Daneben gibt es noch eine seltene, dritte Möglichkeit, nämlich eine stilistische Entgleisung bei inhaltlicher Bedeutungslosigkeit. Dieses Meisterstück gelingt der frisch erschienenen „Kulturgeschichte der frühen Neuzeit“ der drei Autoren Anton Grabner-Haider, Karl Prenner (beide Graz) und Klaus Davidowicz (Wien).
Wo soll man anfangen? Mit der sonderbaren Angewohnheit, historische Personen in schönster Redundanz mit abgekürztem Vornamen zu nennen, so, als bestünde Verwechslungsgefahr? (Eine Angewohnheit, die übrigens so sonderbare Blüten treibt wie „F. Voltaire“ oder „J. Moliere“.) Oder mit dem Verzicht auf diakritische Zeichen, der zum Beispiel aus dem volonté générale den „volonte generale“ macht? Vielleicht auch mit dem bloßen Nennen des Todesjahrs statt vollständiger Lebensdaten bei der ersten Erwähnung einer Person? Mit eigentümlichen Verdeutschungen, die man so eigentlich seit mindestens 100 bis 150 Jahren nicht mehr gewohnt ist („Anthony von Shaftesbury“)? Mit dem wahllos gesetzten oder fehlenden Konjunktiv, der Beginn und Ende einer Paraphrase dem Sachverstand kundiger Menschen zu erkennen überlässt (die aufgrund ihrer Kenntnisse kaum auf dieses Buch zurückgreifen würden)?
Oder doch eher auf inhaltlicher Ebene? Sollte man anmerken, dass nicht Karl II. in der Glorious Revolution nach Frankreich floh – weil er da schon tot war – sondern sein Bruder Jakob? Hinterfragen, ob Spanien aus den Napoleonischen Kriegen tatsächlich „gestärkt“ hervorging (schließlich brach das Kolonialreich in den folgenden Jahrzehnten in sich zusammen)? Sich wundern, wer „Johannes Christian Gottsched“ gewesen sein könnte, der zehn Seiten später immerhin schon „Johann Christian Gottsched“ heißt (was immer noch nicht ganz richtig ist – Christoph, nicht Christian) und der sich offensichtlich im 17. Jahrhundert (!) das gleichermaßen ehrenhafte wie widersprüchliche Projekt vornahm, „Ideen der rationalen Aufklärung“ mit „feste[n] Regeln für das Theater“ zu vereinen? Oder einfach nur darüber sinnieren, welcher Erkenntniswert darin stecken soll, die niederländische Literatur der Zeit in einem einzigen Satz abzuhandeln (Aussage: die niederländische Literatur hatte „religiöse und politische Auseinandersetzungen zum Thema“.)
So viele Möglichkeiten! Vielleicht ist es einfacher, eine kurze Passage zu zitieren, um die ganze Pracht der pennälerhaften Fachprosa erfahrbar zu machen: „Die drei größten Häfen für den Sklavenhandel in Europa waren Lissabon, Nantes und Liverpool. Die Zahl der von Afrika in 300 Jahren entführten Sklaven wird von Historikern heute auf 25 bis 30 Millionen geschätzt. Dazu muss noch bedacht werden, dass bei der Überfahrt 30 bis 40 % der Sklaven gestorben sind. Die Menschen in Afrika wurden meist von Afrikanern gejagt und verkauft, aber es veranstalteten auch die Europäer große Menschenjagden. Die Sklaven in Europa wurden von Fürsten, Königen, Bischöfen und Päpsten gekauft und gehalten. Zu dieser Zeit betrieben auch die Moslems einen regen Sklavenhandel. Erst den Denkern der Aufklärung ist es auf mühsame Weise gelungen, den Sklavenhandel und die Sklaverei zu Beginn bzw. in der Mitte des 19. Jh. zu beenden.“
Selbst, wenn man den parataktischen Bau noch als Lesehilfe für kulturgeschichtlich interessierte Kinder durchgehen lassen will (wobei der Text ansonsten nicht um kindgerechte Vermittlung bemüht zu sein scheint – wo genau verorten die Autoren ihr Publikum?), kann man eine gewisse naive Banalität kaum verleugnen, die in diesen Worten zum Ausdruck kommt. Das setzt sich auch in den Personengruppen fort, die immer wieder aufscheinen: Die „Kleriker und Theologen“, die normalerweise die Entfaltung der Vernunft und des Fortschritts auf unmenschliche Weise behindern, und die „Denker“, deren „rationale Aufklärung“ alles zum Guten wendet.
Und als wären die stilistische Katastrophe und die sachliche Fehlerdichte nicht schon schlimm genug, findet sich auch im Aufbau weder Sinn noch Verstand. In grob umgrenzten Kapiteln werden religiöse, politische, gesellschaftliche und kulturelle – ja, was eigentlich? – verhandelt. Denn „Themen“ wäre zu viel gesagt. Ein Abschnitt etwa geht die Päpste des gewählten Zeitraums (1500-1800) durch, versehen mit einzelnen Taten oder Ereignissen, ohne allerdings größere Zusammenhänge herzustellen. Analog dazu gibt es später eine Liste der römisch-deutschen Kaiser, die sich ebenfalls mit wenigen Erlassen und Handlungen begnügt und es dabei sogar schafft, von „Prager Fenstersturz“, „Schlacht bei Lützen“ oder „Westfälischem Frieden“ zu reden, ohne einmal so etwas wie den Dreißigjährigen Krieg zu erwähnen.
So zieht es sich fast durch das ganze Buch: Mehr oder weniger chronologisch werden mehr oder weniger wichtige Daten abgelaufen, an denen mehr oder weniger wichtige Dinge geschahen. Keine Erzählung bindet alles zu einer „Kulturgeschichte“ zusammen, keine Fragestellung bringt Ordnung in die Jahrhunderte, kein Resümee setzt die einzelnen Aspekte in Beziehung. Eine Darstellung ohne Weg und Ziel, die sich liest, als habe man ohne jede Übung im Verfassen inhaltlich stimmiger Texte Exzerpte der Sekundärliteratur zusammengebunden.
Etwas besser sieht es nur in den beiden abschließenden Kapiteln zur jüdischen (Davidowicz) und islamischen (Prenner) Kulturgeschichte aus. Beiden gelingt trotz der Kürze ihrer Abhandlungen eine zumindest für Laien hilfreiche Darstellung des jeweiligen Themas, freilich in einer nur unwesentlich komplexeren Sprachgestaltung. Immerhin wagen sie es, Zitate in ihre Ausführungen aufzunehmen, ein im Vergleich zu den 170 vorangehenden Seiten geradezu revolutionärer Schritt.
Am fatalen Gesamteindruck kann dies allerdings nichts mehr ändern. Zu hoffen bleibt nur, dass der angesichts der fehlenden Qualität überaus dreiste Preis die meisten Käufer abzuschrecken vermag.