Der impressionistische Blick

Eine Max-Slevogt-Publikation zeigt „neue Wege des Impressionismus“ auf

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er war in Bayern aufgewachsen, in Berlin zu Ruhm und Ehre gelangt, und die Sommerzeit verbrachte er meist im pfälzischen Gadramstein und auf seinem Landgut Neukastel bei Leinsweiler, dem heutigen Slevogthof, wo er auch 1932 verstarb. Allein drei Stätten machen heute im Land Rheinland-Pfalz auf den Maler Max Slevogt, einen der Hauptvertreter des Impressionismus, aufmerksam. Teile seines umfangreichen Nachlasses – vor allem die Gemälde – werden in der seit 2013 umgestalteten Max-Slevogt-Galerie im Schloss Villa Ludwigshöhe gezeigt, während das grafische Œuvre im Landesmuseum Mainz betreut wird. Nach dem Tod der Enkelin Slevogts wird nun auch der Slevogthof mit den einstigen Wohnräumen des Malers als Künstlergedenkstätte eingerichtet.

In der ersten umfassenden Slevogt-Retrospektive seit mehr als 20 Jahren zeigt das Landesmuseum Mainz (bis 12. Oktober 2014) nicht nur viele seiner berühmten Gemälde, die ihn zu einem der populären Künstler des 20. Jahrhunderts machten, sondern erstmals können auch die Studien und Skizzen in großem Umfang vorgestellt werden, mit denen Slevogt im Atelier arbeitete. So wird sein Weg nachgezeichnet, der von den akribisch vorbereiteten Werken des noch jungen Künstlers zu den reifen, aus dem „Handgelenk“ spontan und schnell entstandenen Gemälden des „Meisters“ führte.

Sigrun Paas zeichnet für die Konzeption von Ausstellung und Katalog verantwortlich, und sie steuert auch einen grundlegenden Aufsatz über Slevogt, die Lenbach-Doktrin und München vor 1900 bei. Die Anfänge Slevogts standen ganz im Zeichen der „Lichtmalerei“, die gegen die „braune Soße“, das Altmeister-Rezept Franz von Lenbachs, gerichtet war. Durch die Künstlergruppierung „Freie Vereinigung“ wurden Slevogt und Lovis Corinth in die neu entstehende Stilrichtung des Jugendstils hinübergezogen, in der Franz von Stuck als neuer Malerfürst neben Lenbach aufsteigen sollte. Diese Wendung lenkte die Aufmerksamkeit auf Arnold Böcklin, der als „Vorläufer“ des Jugendstils galt. Slevogts Hauptwerk von 1894, „Frau Aventiure“, das Thema des Geschlechterkampfes, ist ohne Böcklin, schreibt die Autorin, nicht zu denken. Slevogt entdeckte das Thema des Tanzes, wobei ihn die Wirkung des künstlerischen Lichts interessierte, das einzelne Farbpartien der Malerei aus dem Dunkel aufglühen lässt. Seine Objektivität, die bis zur mitleidlosen Realistik der physischen Analyse ging, ist an den knochigen, ausgemergelten, ältlichen „Schaubudentänzerinnen“ beobachtet worden. Mit der „Danae“ (1893) provozierte Slevogt einen Riesenskandal in München: Eine fast unbekleidete Frau, in perspektivischer Verkürzung von den Füßen her gemalt, als Prostituierte, die bei ihr sitzende Alte, die mit ihrer Schürze von oben herab fallende Goldstücke auffängt, ist als Kupplerin dargestellt. Mit seiner Kombination von menschlicher Gestalt und Landschaft im Freilicht war es ihm 1897 in Neukastel gelungen, dem Gegner Lenbach Paroli zu bieten und „das Licht auf die Palette zu spritzen“.

Der Maler Walter Leistikow hatte 1899 von Slevogt für die kommende Ausstellung der „Berliner Secession“ das Triptychon des „Verlorenen Sohnes“ (1898/99) erbeten, das dann in Berlin zum Erfolg wurde. Der Kunsthändler Paul Cassirer holte nun auch die „Danae“ nach Berlin, nahm Slevogt unter Vertrag und stellte 1899 35 Werke von ihm in seinem Salon aus. Bevor Slevogt nach Berlin zog, malte er 1901 im Zoo zu Frankfurt am Main. Er hatte endlich das gefunden, wonach er solange gesucht hatte: Freiheit in der Behandlung des Gegenstandes bis zur Abstraktion, Spontaneität in der Komposition, flüssige, oft ungestüme Pinselschrift, Transparenz der Farbe, gesteigerte Leuchtkraft. Die Mittel des Impressionismus waren ihm nun uneingeschränkt zugänglich und wurden zu seinem ureigenen Ausdrucksmittel.

Zum Impressionismus Slevogts äußert sich Miriam-Esther Owesle. Die seit dem Umzug nach Berlin 1901 entstandenen Werke Slevogts waren durch den französischen Impressionismus inspiriert. Doch mit seiner geistig-emotionalen Verarbeitung des direkten Natureindrucks ging der Maler über den Primat des Optischen weit hinaus. Er hielt die Einmaligkeit der jeweiligen Situation fest, „als sähe er dergleichen zum ersten Mal“. Nach Slevogt – so 1928 im Entwurf zu seinem Katalog-Vorwort – suchten die französischen Impressionisten „eine vollkommene künstlerische Form für das Gesehene“, die deutschen Impressionisten eine künstlerisch adäquate „Form für das beim Sehen Gefühlte“. Bei dem „Gewittersturm im Frühherbst bei Neukastel“ (um 1920) geriet ihm die Natur zum Schauspiel: Dramatisch aufgeladen erscheint die Szenerie angesichts der unermesslichen Lichtfülle, die die Wolkendecke über der verschatteten Pfälzer Landschaft durchbricht.

Brigitte Schoch-Joswig behandelt in ihrem Beitrag, wie Slevogt in seinem grafischen Werk neue Wege zum Impressionismus betritt, während Eva Brachert sich mit der Farbe als Material im Œuvre Slevogts beschäftigt und Armin Schlechter den schriftlichen Nachlass von Slevogt im Landesbibliothekszentrum Rheinland-Pfalz beschreibt. Äußerungen Slevogts zur Kunst, eine Biografie in Stichworten und Literaturhinweise schließen den so gehaltvollen Band ab.

Der Katalogteil gliedert die ausgestellten Werke, jeweils mit kurzen Einführungen versehen, in Selbstbildnisse, Bildnisse der Familie in Neukastel, Porträts der Freunde und Weggefährten, Slevogts Arbeiten der Münchener Akademiezeit, das Gemälde „Ringerschule“ (1893) mit seinen Vorarbeiten, thematische Kompositionen, die Tanz-Darstellungen, die Darstellungen von Francisco d’Andrade als Don Giovanni, die Studien im Frankfurter Zoo, die Themen Sport und Landschaft, die Stillleben sowie die befreundeten Konkurrenten Max Liebermann und Lovis Corinth.

Als Slevogt 1901 von München nach Berlin gezogen war, hatte er die dunkeltonige Farbigkeit abgelegt und sich konsequent den impressionistischen Bildmitteln zugewandt. Mit einem an Edouard Manet und Pierre Auguste Renoir geschulten Pinselstrich und einer farbig differenzierten Palette setzten 1902 die Rollenporträts als Momentaufnahme ein, jene virtuos gemalten Darstellungen von Tänzerinnen und Opernsängern, die ihn berühmt gemacht haben. Die Flamenco-Tänzerin Marietta di Rigardo dreht sich in schwungvoller Bewegung um die eigene Körperachse, während Anna Pawlowna als Bajadere während des Todestanzes posiert. Die Schauspielerin Tilla Durieux wiederum hat Slevogt als Weib des Pontiphar in katzenhaft schleichender Bewegung, von hellem Scheinwerferlicht erfasst, wiedergegeben. Eine ganze Werkgruppe ist um den portugiesischen Sänger Francisco d’Andrade in der Rolle des Don Giovanni entstanden, deren Genese durch eine Vielfalt von Zeichnungen und Studien nachvollzogen werden kann. Die Individualität des Sängers ist mit der Rolle – im höchsten Moment des Spiels – zur vollkommenen Deckung gelangt („Das Champagnerlied“, 1902).

In seinen Porträts wollte Slevogt das Individuelle, Persönliche festhalten, aber auch das Vorübergehende einer Stimmung. Den Kunsthistoriker Karl Voll, der ihn fördernd begleitet hat, stellte er im lichterfüllten Garten von Godramstein dar (1911), das flimmernde und irisierende Spiel der Sonne lotet die seelische Grundstimmung des Porträtierten aus. Wiederholt hat der Maler in Selbstbildnissen auch den Dialog mit dem eigenen Ich gesucht und sich Rechenschaft über seine Arbeit und seine jeweilige Befindlichkeit gegeben.

Die Impression von der flüchtigen Erscheinung etwa eines Pferderennens („Trabrennbahn in Ruhleben“, um 1920) verband er mit der ihm eigenen Freude am Erzählerischen. Auch die späten Stillleben und Landschaften aus der Pfalz („Der Garten in Neukastel mit der Bibliothek“, 1930/31) zeugen von koloristischer Raffinesse und zugleich fester Komposition. Die Farben blühen auf, der Bildraum weitet sich. Die Kompositionen sind durch die Unterteilung in Vorder-, Mittel- und Hintergrund klar strukturiert. 1914 war Slevogt nach Ägypten gereist, wo Bilder entstanden, die das Erleben in reine malerische Qualitäten verwandeln und sich die Szene wie das Gegenständliche im gleißenden Licht sich fast auflösen lassen.

Im Gegensatz zu den Figurenbildern machte er zu den weitgehend menschenleeren Landschaftsgemälden keine Vorstudien und malte vor dem Motiv „alla prima“, er setzte Ton neben Ton, Farbfleck neben Farbfleck, wie die Farbe in der Schlusswirkung stehen sollte. Seine Vorliebe galt dramatischen Naturschauspielen wie Gewitter, Abendstimmungen, durch Wolken brechenden Sonnenstrahlen, überhaupt dem Licht. Licht zur Wahrnehmung von Farbe – das war sein Thema. Der wie zufällig wahrgenommene Blick, so hielt Slevogt die Einmaligkeit der jeweiligen Situation fest. Noch im letzten Lebensjahr schuf er in nur zwei Wochen eine Serie von zehn kleinformatigen Herbstbildern.

Ein wichtiger Schwerpunkt seiner künstlerischen Tätigkeit lag auf dem Gebiet der Grafik, in der er unter Einbeziehung aller gängigen Techniken sowohl Illustrationen zu literarischen Stoffen wie auch freie Themen schuf, sich Fantasien und Träumen hingab. Auch hier verbindet sich das Darstellungsprinzip des erzählerischen, lebensvoll schildernden Bildes mit momenthaften Bewegungen, das in seiner stimmungshaft ausmalenden Erscheinung, dem mit dichten Strichlagen erzeugten lebhaften Hell und Dunkel einem innigen und zugleich freien Versenken in den Stoff gleicht. Es herrschen prägnante Bewegungen vor, verwirklicht durch eine fabulierende Kunst der skizzierenden Andeutung, die jede Aktion auf dem höchsten Punkt des Geschehens fixiert. Der Betrachter wird in seiner sinnlichen Aktivität angesprochen, er muss „das Produktive, Erregende des Künstlers auffangen und in sich weiter schaffen können“, sagte Slevogt.

Die beeindruckende Mainzer Schau und der sie begleitende Katalog vermögen es, die besondere Leistung Slevogts herauszuarbeiten: der Befreiung der künstlerischen Subjektivität den Weg bereitet zu haben.

Titelbild

Max Slevogt. Neue Wege des Impressionismus.
Herausgegeben von der Direktion Landmuseum Mainz.
Hirmer Verlag, München 2014.
288 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-13: 9783777422237

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