Frauenfußball unterm Funktionärspatriarchat

Ein von Annette R. Hofmann und Michael Krüger herausgegebener Sammelband untersucht den Frauenfußball aus pädagogischen und sozialwissenschaftlichen Perspektiven

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anlässlich runder Jahrestage oder regelmäßig wiederkehrender sportlicher Großereignisse wie etwa Fußball-Weltmeisterschaften füllen sich die Regale der Buchhandlungen mit jeweils einschlägigen Büchern populären wie wissenschaftlichen Charakters. Bei letzteren dauert es allerdings gelegentlich etwas länger, bis sie auf den Markt kommen. So verstrichen rund drei Jahre, bis ein anlässlich der Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 konzipierter Band „Rund um den Frauenfußball“ erschien, der die zunehmend beliebtere Sportart aus „pädagogischen und sozialwissenschaftliche Perspektiven“ in den Blick nimmt. Dass er nicht bereits während des Turniers oder gar in dessen Vorfeld erscheinen konnte, hat seinen Grund darin, dass er auf eine während der Sportveranstaltung gehaltene Ringvorlesung zurückgeht, die an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt wurde.

Die HerausgeberInnen des Bandes, Annette R. Hofmann und Michael Krüger, haben die Beiträge der Vorlesungsreihe für das Buch unter die vier Themenkomplexe „Geschichte und Kultur des Frauenfußballs“, „Die Frauenfußball-WM 2011 – ein journalistischer Rückblick“, „Frauenfußball aus der Sicht der Genderforschung“ und „Frauenfußball – sportpädagogische Aspekte“ rubriziert. In letzterem werfen Silke Sinning und Jonathan Pargätzi einen „trainingspädagogischen Blick auf die Trainerinnen im Frauenfußball“, Yvonne Weigelt-Schlesinger beklagt, dass „Fußball für Mädchen in der Schule“ zwar „wichtig“ sei, „aber oft wenig beachtet“ werde. Nina Stecher fragt das Wissen über Frauenfußball von Realschülerinnen ab und Kai Nörrlinger kommentiert zusammen mit der Herausgeberin „Einstellungen von Grundschülern und -schülerinnen zum Frauenfußball“. Doch dürfen nicht nur die mit ihren Vorträgen vertretenen SportwissenschaftlerInnen und JournalistInnen in dem Band ihre Sicht auf den Frauenfußball darlegen, sondern auch GrundschülerInnen, die ihre „Meinungen und Erfahrungen“ zum Thema in kleinen Aufsätzen und Zeichnungen festhielten.

Eröffnet wird der Band mit einem Rückblick auf die „Geschichte des populärsten deutschen Sports“ von Michael Krüger, dessen Ausführungen nicht ganz widerspruchsfrei sind. So betont er eingangs nachdrücklich, dass es „kein weibliches oder männliches“, sondern „nur ein Fußballspiel“ gebe, um wenige Seiten darauf beide Varianten des Sports voneinander abzugrenzen, indem er erklärt, „dass Frauenfußball heute in Deutschland eine anerkannte Sportart ist“ und seine Popularität mit der des „Männerfußballs“ vergleichbar sei. Zwar sei, so fährt er fort, Fußball „vielleicht ein bisschen weiblicher geworden, aber trotz aller Anstrengungen eine Männerdomäne geblieben, auch und obwohl inzwischen viele Frauen Fußball spielen (dürfen) und auch als Konsumenten und Fans des Männer- und Frauenfußballs gern gesehen sind“.

Es ist fast schon müßig, kritisch anzumerken, dass Krüger das generische Maskulinum benutzt, um eine Gruppe von Personen zu adressieren, die ausschließlich aus Frauen besteht. Und wenn der Autor „keine Hinweise“ dafür finden kann, „dass sich Fußball spielende Mädchen und Frauen auf den Fußballplätzen (und auch auf den Tribünen) grundlegend anders verhalten als Männer“, könnte das an seiner persönlichen Wahrnehmung liegen oder aber daran, was ihm als grundlegend gilt. Jedenfalls dient der Ausdruck der Immunisierung seiner Behauptung. Denn so lassen sich alle empirisch nachweisbaren Unterschiede als eben nicht grundlegend abtun. Und von ihnen gibt es einige. Mögen sie auch früher deutlicher und zahlreicher gewesen sein als heute, so sind Frauen beispielsweise nach erlittenen Fouls doch noch immer weit weniger weinerlich als Männer. Die Konsumentinnen des Spiels wiederum sind weit weniger und nicht, wie Krüger behauptet, nur „vielleicht ein bisschen weniger aggressiv“. Nach solchen nicht eben überzeugenden Einschätzungen bietet der Autor allerdings einen kenntnisreichen und fundierten Abriss der Entwicklung des „‚Strauchballspiels zum Frauenfußball“.

Auch die Journalisten Daniel Küchenmeister und Thomas Schneider werfen einen Blick zurück, jedoch nicht in die Historie des (Frauen-)Fußballs, sondern auf die „gesellschaftspolitische Debatten“ rund um die Frauenfußball-Weltmeisterschaft von 2011. Abgesehen von den nur wenige Zeilen umfassenden Texten der Kinder handelt es sich bei dem „kritischen Rückblick“ der beiden Autoren um den kürzesten Beitrag des Bandes. Doch dürfte er manchen noch immer zu lange sein. Denn sein ganzer Tenor ist herablassend und despektierlich. Kenntnisreich ist der Text hingegen nicht. So insinuiert das Autorenduo, der „werbewirksame, aber arroganten, Anspruch“, „dritte Plätze seien etwas für Männer“, sei derjenige der Fußballerinnen selbst gewesen. Tatsächlich aber war er von den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten zu eigenen Werbezwecken erdacht und plakatiert worden, ohne dass die Fußballerinnen darauf hätten Einfluss nehmen können. Stellungnahmen von Spielerinnen, die sich von ihm distanzierten, verschweigen die Autoren geflissentlich. In ihrer unterschwelligen Kritik entlarvend ist auch die Formulierung, der DFB habe „eine beispiellose Anstrengung unternommen, um bereits im Vorfeld der WM Vorfreude zu schüren“.

Gemeinhin wird nicht Vorfreude geschürt, sondern Hass. Zudem ist die Behauptung inhaltlich haltlos. Unternahm der DFB doch im Vorfeld der Frauen-WM nur einen verschwindend geringen Bruchteil der – beispielsweise finanziellen und für das Ereignis werbenden – Anstrengungen, die er für die Männer-WM fünf Jahre zuvor unternommen hatte. Weiter klagen Küchenmeister und Schneider, „im Vorfeld der WM“ sei „nicht nur die Geschichte des Frauenfußballs in allen Facetten ausgeleuchtet“ worden, „sondern auch so ziemlich jeder Gegenstand thematisiert, der sich mit dem Frauenfußball in Verbindung bringen lässt“. Das ist ihnen offensichtlich allzu viel des Aufhebens um ein paar kickende Frauen. Mit einem geradezu hörbaren Seufzer der Erleichterung resümieren sie denn auch: „Am Ende blieb zudem von alledem auch nicht viel übrig.“

Lesenswert, da erkenntnisstiftende Einblicke in die Arbeit von SportjournalistInnen während der Frauen-WM gewährend, ist hingegen der Beitrag, der in diesem Berufsfeld tätigen Eva Hammel über ihre „Reise in die neuen (Medien)Welt“ während der Frauenfußball-Weltmeisterschaft, auf der sie etwa erfahren musste, dass manche Männer – auch aus den Reihen ihrer Kollegen – „gerne noch eine ernsthafte Antwort auf die Frage bekommen, ob bei den ‚Mädels eigentlich auch der Physiotherapeut mitduscht‘“. Wer derlei Fragen stelle, konstatiert sie lapidar, habe „selbst eine kalte Dusche verdient“. Insbesondere nach dem frühen Ausscheiden der Frauen sei zudem „in dem einen oder anderen Kollegen der Macho erwacht“.

Nicht weniger erhellend ist der Beitrag der Sportwissenschaftlerin Daniela Schaaf über „mediale Inszenierung von Weiblichkeit im Frauenfußball“, in dem sie zu Beginn bedauert, dass „der nackte Fußballnachwuchs“ im Vorfeld der Weltmeisterschaft 2011 für das „Männer-Magazin Playboy „posierte“, während „die langjährige Nationalspielerin“ Birgit Prinz nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft von 2003 für ihr Team noch betont hatte: „Wir wollen unseren Sport vermarkten, nicht unseren Hintern“. Steffi Jones, die Präsidentin des Organisationskomitees für die Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 meinte anlässlich der nackten Hintern der Nachwuchsspielerinnen, wenn sie sich für den „Playboy“ ausziehen, sei das „die ganz persönliche Entscheidung einer jeden Einzelnen“. Der DFB habe „viele Mädels, die das Aussehen dazu hätten. Warum sollten wir da einen Riegel vorschieben?“

Einer der von der von Schaaf befragten Sportjournalisten dürfte die Antwort kennen, kommentiert er Jones’ Ausspruch doch mit der Bemerkung, er klinge „wie eine Aufforderung, sich für jeden mit herzugeben“. Die im Playboy-Auftritt ihren schärfsten Ausdruck findende Sexualisierung und Erotisierung der Spielerinnen wird von Funktionärinnen wie Doris Fitschen noch vorangetrieben, die von der Autorin mit den harmlos klingenden Worten zitiert wird, das „Lifestyle-Thema“ sei „sehr wichtig“, „da wollen wir die Spielerinnen noch besser platzieren“. Dies geschah dann etwa durch Modestrecken in der Zeitschrift „Brigitte“ oder durch möglichst ‚weibliche‘ Inszenierungen der Spielerinnen in Werbespots. Denn „Manager und Spielerinnenberater hatten erkannt, dass eine Betonung der Weiblichkeit hilft, das Klischee des deutschen Frauenfußball als kaum vermarktbaren ‚Lesbensport‘ aufzupolieren.“

Für die journalistische Seite wiederum sind „Personalisierung und Prominenz“ ein besonders wichtiges „Selektionskriterium“ der Berichterstattung, wobei die „physische Attraktivität ein wesentliches Kriterium im redaktionellen Auswahlprozess darstellt“. Denn „ein Großteil der Entscheidungen im redaktionellen Auswahlprozess erfolgt nach den Präferenzen des journalistischen Patriarchats, das eine Medienrealität konstruiert, die sich primär an männlichen Präferenzen orientiert“. Weichen Spielerinnen von der „männlich konstruierten Norm von Weiblichkeit“ ab, werden sie „jedoch nicht nur mit redaktioneller, sondern auch mit kommerzieller Ausgrenzung gestraft“.

Im Hauptteil ihres Beitrags fasst Schaaf die Ergebnisse einer von ihr durchgeführten qualitativen Befragung von 23 SportjournalistInnen zum Thema zusammen, diente herauszufinden, „wie die Sportkommunikatoren das Schönheitshandeln einzelner Spielerinnen bewerten und inwiefern eine erotische Medienpräsenz auch im Sportressort als berichterstattungswürdig gilt.“ Die im Vorfeld der Weltmeisterschaft Interviewten waren als MitarbeiterInnen der Sportredaktionen unter anderem der Tageszeitungen „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ der „Süddeutschen Zeitung“, der Sportzeitschriften „Sportbild“ Kicker“ „11Freunde“ sowie der inzwischen eingestellten Frauenfußball-Illustrierten „FFMagazin“ tätig. Hinzu kamen JournalistInnen der TV-Sender ZDF, WDR, HR und Sky TV. An Online-Medien waren VertreterInnen der sich mit Frauenfuß ballbefassenden Web-Seiten Womensoccer.de, spielfeldschnitte.blogspot.de, soccerdonna.de, sowie spox.com vertreten. Ebenfalls befragt wurde jemand aus der Redaktion der Nachrichtenagentur „Sport-Informations-Dienst“.

Die Auswertung der Interviews führte zu teils voraussehbaren, teils doch überraschenden Ergebnissen. Erwartbar war etwa, dass „Vertreter der Boulevardmedien die ‚neue Weiblichkeit‘ im Frauenfußball loben wollen“, ihre „Kollegen der Qualitätsmedien“ hingegen eine „kritische Auseinandersetzung“ damit ankündigen, oder dass „die Mehrheit der männlichen Sportjournalisten die Aufhübschung des Fußballerinnenkörpers begrüßte“, während „älteren Kolleginnen“ der Herren „eine solche Aufmachung während der Sportausübung“ kritisierten. Die „Pioniere der Frauenfußball-Berichterstattung“ monierten darüber hinaus „den Umgang der Verbandsverantwortlichen mit der Sexualisierung des Sportkörpers als produktpolitische Ästhetisierungsstrategie“, da sie damit „eine unkritische Haltung gegenüber dem in den Männermagazinen verbreiteten softpornoartigen, herabsetzenden Bild von Sportlerinnen einnehmen“. Das überrascht in dieser Deutlichkeit doch etwas. Überraschend ist auch, dass die Befragten „Nackt- oder Bikinifotos übereinstimmend als wenig geeignetes Selbstvermarktungsinstrument geschlechts- und medienübergreifend ablehnten“. Auch wurde nicht etwa der vor der WM vom „Funktionärspatriarchat“ des DFB in sämtliche Medien gehypte Lira Bajramaj ein „hoher Nachrichtenwert und entsprechendes Vermarktungspotential“ zugesprochen, sondern als „Vertreterin der neuen Generation“ der „jungen Wilden“ eher der ein wenig burschikosen Alexandra Popp. Bajramaj hingegen wurde selbst von einem Sportjournalisten, der beklagt, die Fußballerinnen der letzten beiden Jahrzehnte hätten „nicht wirklich nach Frauen ausgesehen“, als Fußballerin verspottet, „die ja hauptberuflich eigentlich Model“ sei. Beides ist natürlich diffamierend. So ganz unschuldig ist Bajramaj an ihrer Außenwirkung allerdings nicht. Stilisiert sie sich doch „als Frauchen“, wie eine Sportjournalistin formuliert.

Unter den Beiträge sehr unterschiedlicher Qualität sind die wissenschaftlichen insgesamt von größerem Interesse. Positiv ragt hier insbesondere derjenige von Daniela Schaaf heraus. Unter den Beiträgen journalistischer Provenienz wiederum fällt der von Küchenmeister und Schneider sehr deutlich gegenüber demjenigen von Eva Hammel ab.

Titelbild

Annette Hofmann / Michael Krüger (Hg.): Rund um den Frauenfußball. Pädagogische und sozialwissenschaftliche Perspektiven.
Waxmann Verlag, Münster 2014.
189 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783830930143

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