Krieg und Frieden

Bernd Hüppaufs monumentale Kulturgeschichte des Krieges

Von Jonas NesselhaufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jonas Nesselhauf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg, das zeigt ein kurzer Blick in den „Duden“, ist ein „mit Waffengewalt ausgetragener Konflikt“, eine meist langwierige Auseinandersetzung zwischen mindestens zwei Staaten. Von einer solch knappen Behelfsdefinition ist Bernd Hüppaufs über 500 Textseiten starke „Grundlegung einer Kulturgeschichte des Krieges“ (so der Untertitel) jedoch weit entfernt, schließlich stellt der emeritierte Literaturprofessor bereits in seiner weitgefassten Einleitung klar, dass Krieg – trotz des einladenden Dualismus – nicht das bloße Gegenteil von Frieden ist. Zu viele Grauzonen liegen zwischen den scheinbar so klar abgrenzbaren Begriffen.

Auch wenn Kriege als Konstante in der Geschichte der Menschheit gelten könnten, ist kein Krieg wie ein anderer, er unterscheidet sich hinsichtlich der Ursache, Kriegsführung und Folgen und ist technischen, strategischen und nicht zuletzt moralischen Entwicklungen unterworfen. So betont Hüppauf bereits in seiner ausführlichen Einführung: Zur Annäherung – und keinesfalls endgültigen und definitiven Beantwortung – der titelgebenden Frage „Was ist Krieg?“ muss eine ausführliche „Kulturgeschichte des Krieges“ hinzugezogen werden. Das Phänomen Krieg kann nur definieren, wer die Zusammenhänge des Systems erkennt, das bei Bernd Hüppauf aus vier Bereichen (Theorie, Methodenfragen, Praxis, Ausblick) besteht.

Im Theorie-Kapitel widmet sich der Autor verschiedenen Kriegstheorien seit der Antike. Fest steht, dass es zwar nie eine Gesellschaft ohne Gewalt gab oder gibt, doch haben sich die Bestandteile des „Kriegsdiskurses“ im Laufe der Jahrtausende zwangsläufig verändert und weiterentwickelt. Der Bezug auf konkrete Beispiele – exemplarisch etwa Clausewitz und Delbrück oder an anderer Stelle die Ilias bei Homer und Weil – bereichern Hüppaufs oft sehr abstrakte Analysen, machen sie anschaulicher und konkreter. So zeichnet er auf etwa 20 Seiten und mit viel Weitsicht den Kriegsdiskurs in der Geschichte nach, stellt Fragen nach „Erlebnis und Erfahrung“, dem Zusammenhang zwischen Krieg und Kapitalismus, selbst nach der Darstellbarkeit von Schrecken und Zerstörung oder dem Krieg im (kulturellen) Gedächtnis. Keine dieser Aspekte untersucht Hüppauf dabei ohne eine ausführliche theoretische Fundierung – so stellt er etwa seinem Unterkapitel „Krieg und Emotionen“ eine breite kulturgeschichtlich-philosophisch-soziologisch-neurowissenschaftliche Einführung voran. Eine solche vielleicht perfektionistisch anmutende Argumentationsweise macht diese monumentale Kulturgeschichte des Krieges (thematisch durchaus passend) zu einem ‚Kampf‘, wohlgemerkt aber zu einem lohnenswerten, nutzt Hüppauf doch hier die Gelegenheit, zu einer Wanderung durch das Denken der westlichen Welt einzuladen.

Im anschließenden Kapitel geht der Autor Methodenfragen einer Kulturgeschichte des Krieges nach, weiterhin immer darauf bedacht, seine Theorien abzugrenzen, zu vergleichen und schließlich anzuwenden – exemplarisch etwa in einem kurzen Unterkapitel, in dem die ‚Kriegskultur‘ von der ‚Kulturgeschichte des Krieges‘ unterschieden wird: „Im Krieg entstand eine Kriegskultur, aber aus ihr kann die Kulturgeschichte nicht die Kategorien für die Interpretation des Krieges ableiten.“  Einen Schwerpunkt legt Hüppauf in diesem Teil auch auf das Verhältnis von Krieg und Medien; hier geht es nun sowohl um die Darstellung des Krieges als auch umgekehrt um die Interpretation (das Herauslesen sozusagen) des Abgebildeten – Medien als „Vermittlungsfunktion“.

Der Krieg bleibt aber nicht nur konkret auf Fotografien oder Zeichnungen, auf Film oder auf Papier gebannt (im folgenden Praxis-Kapitel werden diese Ansätze nochmals aufgegriffen), sondern vor allem im kulturellen Gedächtnis. Hüppaufs Blick geht hierbei auf eben jene „Entscheidungen, welcher Krieg erinnert wird und was von einem Krieg ins Gedächtnis eingeht“. Doch nicht nur das Erinnern (etwa in Denkmälern oder Museen, an Feiertagen oder durch künstlerische Werke), sondern auch das Vergessen und Verdrängen spielt eine ebenso zentrale Rolle als methodologischer Ansatz in dieser Kulturgeschichte des Krieges.

Das schlicht mit „Praxis“ überschriebene Kapitel beschäftigt sich mit allgemeinen und anschließend spezifischen Ausprägungen des Krieges. Zunächst entwirft Hüppauf eine ausführliche ‚Typologie‘, von den vermeintlich „archaischen Kriegen“, dem Krieg des „Verderbens“ in der Frühen Neuzeit, den Revolutionskriegen der Moderne bis zu den hochtechnologischen Medienkriegen des frühen 21. Jahrhunderts. Die hier skizzierten Entwicklungen und Tendenzen sind längst noch nicht zu einem Ende gekommen, denke man nur an Drohnenangriffe oder den sogenannten ‚Cyberwar‘. Zwei weitere Kategorien spielen in diesem Kapitel eine bedeutende Rolle: Zunächst die Frage nach dem Verhältnis zwischen Krieg und Moral (oder Ethik) – ein zugegeben ‚verworrenes‘ Problem, das direkt zum mit Krieg assoziierten Schlagwort der Brutalisierung (oder besser: Grausamkeit) führt: „Kein Ereignis gleich dem Krieg, wenn es darum geht, dass der Mensch den Menschen fürchtet.“ Nochmals und nun unter dem Aspekt der Praxis untersucht Hüppauf den Krieg im Bild – von der Fotografie zum Comic und dem Kriegsfilm, den er hier als quasi „in den Köpfen der Zuschauer“ geschaffenen „Kriegsraum“ sieht.

Abgeschlossen wird die Untersuchung nun durch einen verhältnismäßig knappen Ausblick; hier werden bereits angedeutete Tendenzen der modernen und modernsten Kriegsführung wieder aufgegriffen und weitergeführt – konkret am „Zukunftsszenario“ eines ‚Krieges ohne Tote‘, ja selbst einem „Krieg ohne Schlachtfeld“, dem sogenannten Lawfare, sowie ethischen und nicht zuletzt juristischen Fragen bei Drohneneinsätzen. Ergänzt wird der Band um ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie ein hilfreiches Personenregister.

Die theoretische und wissenschaftliche Untersuchung des Phänomens ‚Krieg‘ erfolgte in den vergangenen Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und aus verschiedenen Perspektiven und Disziplinen heraus. Es ist keine Untertreibung, bereits vorliegende Untersuchungen zu einzelnen Kriegen, allgemeinen Militär- oder vergleichenden Kulturgeschichten als schier unüberblickbar zu bezeichnen. So erscheint selbst eine im Untertitel angekündigte „Grundlegung einer Kulturgeschichte des Krieges“ als – vorsichtig formuliert – anspruchsvolles Unternehmen.

Das von Bernd Hüppauf vorlegte, insgesamt über 560 Seiten starke Mammutwerk auf stets hohem wissenschaftlichen Niveau, ist zweifelsfrei eine substantielle Erweiterung der einschlägigen Forschung und mit dem Potential zum Standardwerk. Vor allem aber ist diese Kulturgeschichte selbst ein mittelschwerer Kampf, der – von einigen Leseknicken am Rücken des Pappbandes abgesehen – allerdings ohne weitere Verluste auskommt. Die vorgeschlagenen Kategorien (Theorie, Methode, Praxis, Ausblick) erweisen sich als sinnvoll und hilfreich, auch wenn Wiederholungen nicht ausbleiben. Fachkundig schickt der Literaturwissenschaftler seine Leser durch das vielleicht konstanteste und doch immer wieder variierte Phänomen der menschlichen Geschichte und scheut dabei keinen Theorieansatz, von der Kulturwissenschaft bis zur Psychologie, der Soziologie zur Kunstgeschichte, der Anthropologie zur Philosophie. Und so ist die Anwendung dieser unterschiedlichen Theorien hin zu einer Kulturgeschichte des Krieges auch immer ein Kennenlernen neuer Theorien oder eine Relektüre bereits bekannter Ansätze.

Titelbild

Bernd Hüppauf: Was ist Krieg? Zur Grundlegung einer Kulturgeschichte des Kriegs.
Transcript Verlag, Bielefeld 2013.
562 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783837621808

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