Der Werwolf von Iwano-Frankiwsk

Juri Andruchowytsch macht seine Gedichte hörbar

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit vielen Jahren gehört der 1960 geborene Juri Andruchowytsch zu den wichtigsten Schriftstellern der Ukraine – und wird auch international so wahrgenommen. Als intellektuelle Stimme seines Landes war er im letzten Jahr präsenter denn je, seit seine Heimat ins Chaos, ja in den Bürgerkrieg zu stürzen droht. So etwa mit dem Band „Euromaidan: Was in der Ukraine auf dem Spiel steht“, der, in wenigen Monaten entstanden und im Mai bei Suhrkamp erschienen, die aktuelle Lage im Land festzuhalten sucht. Aber Andruchowytsch ist schon lange in Deutschland präsent. So hat er den Herder-Preis der Alfred Toepfer-Stiftung erhalten, und 2005 hat ihn die Stadt Osnabrück mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis ausgezeichnet. Vor allem der Romancier Andruchowytsch hat bisher Aufmerksamkeit gefunden, und zwar mit drei Romanen, die ebenfalls Suhrkamp publiziert hat. Das ist aber nur ein kleiner Teil seines literarischen Werks – in der Ukraine gilt Andruchowytsch vor allem als Lyriker. Hier liegen seine Anfänge, und auch wenn er sich zeitweise vom Gedichteschreiben abgewandt hatte, ist er auf diesem Gebiet inzwischen wieder aktiv.

Bisher liegt auf Deutsch nur ein Band von ihm vor, das 2009 beim Heidelberger Wunderhorn Verlag erschienene „Werwolf Sutra“, das Gedichte aus der Zeit von 1985 bis 2004 versammelt. Damit hat Andruchowytsch, was schade ist, bisher deutlich weniger Resonanz gefunden, auch wenn die Schweizer Autorin Ilma Rakusa den Band in der „Neuen Zürcher Zeitung“ enthusiastisch besprach.

Kein Wunder, dass auch die Hörbuchversion von „Werwolf Sutra“ ein Schweizer Unternehmen ist. Bei Aufnahmen in Luzern hat Andruchowytsch eine kleine Auswahl seiner Texte vertont, wobei ihm zwei Schweizer Musiker zur Seite standen – die Keyboarderin Vera Kappeler und der Schlagzeuger Peter Conradin Zumthor. Man darf sich das nicht als verträumte Rezitation vor Wellnessgedudel vorstellen. „Andruchowytsch’s Werwolf Sutra“ ist das Anti-Rilke-Projekt. Musik und Text bilden eine Einheit, voll sperriger Schönheit, bisweilen an der Grenze zur Atonalität. Andruchowytschs Gedichte erzählen vom Bier, von Dieben in westeuropäischen Hotelzimmern, die Fahrkarten von Kiew nach Lemberg stehlen, und entwerfen surreale Momente, in denen Engel durch die Stadt wandeln. Der Autor rezitiert selbst. Kein Wunder, nicht nur spricht er sehr gut Deutsch, er ist unter anderem auch Rilke-Übersetzer. Er spricht und singt mit deutlichem Akzent, mal elegisch, mal mit einem aggressiven Timbre, das an den großen Peter Hammill erinnert, besonders dessen deutsches Album „Offensichtlich Goldfisch“. Dazu gibt es vier traditionelle ukrainische Lieder als Atempausen in diesem ambitionierten Album. Kappeler und Zumthor sind kongeniale Partner, die nicht nur spielen, sondern offenbar vor allem zuhören können und die Stimmung der Gedichte so erfassen, dass man sich ihre Umsetzung gar nicht anders vorstellen kann.

Neu ist die Kombination von Text und Musik für Juri Andruchowytsch nicht. Seinen Ruf in der Ukraine erarbeitete er sich vor allem mit zwei anderen Autoren in der Performance-Gruppe Bu-Ba-Bu, die auch musikalische Elemente verwendete. Mit der polnischen Band Karbido hat er 2006 ein gemeinsames Album veröffentlicht. Man kann nur hoffen, dass Andruchowytsch mit der Audio-Version von „Werwolf Sutra“ mehr Aufmerksamkeit als Dichter findet. In den Liner Notes zum Album ruft sich der Autor den Beginn der Proben mit Kappeler und Zumthor ins Gedächtnis und fügt hinzu: „Die Fortsetzung halten sie jetzt gerade in der Hand. Ich schreibe ‚Fortsetzung‘ und nicht ‚Finale‘ – und hoffe, dass Sie nichts dagegen haben.“ Bitte – gern mehr davon!

Titelbild

Juri Andruchowytsch: Andruchowytsch’s Werwolf Sutra.
Mit Musik von Vera Kappeler und Peter Conradin Zumthor.
Der gesunde Menschenversand, Luzern 2013.
1 CD, 18,50 EUR.
ISBN-13: 9783905825541

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