Trash als Kunstgenuss

Else Buschheuer erkundet mit ihrem jüngsten Roman „Zungenküsse mit Hyänen“ das Klischee

Von Kay WolfingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kay Wolfinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die in Leipzig und Berlin lebende Autorin Else Buschheuer ist in literarischer Hinsicht seit dem Jahr 2000 immer wieder für Überraschungen gut. In den Bannkreis des Feuilletons geriet Buschheuer, als sie ihren Romanerstling „Ruf! Mich! An!“ veröffentlichte und damit – damals noch unkonventionelle Wetterfee bei ProSieben – zum gern gesehenen Gast in Talkshows und Kulturmagazinen wurde. Eine selbstbewusste weibliche Provokation, die wie aus einem Guss wirkte: ihr Hang zu skurrilen Themen und ihre literarische Darstellung von sexuellen Extremen, kombiniert mit überbordendem Witz, frecher Boshaftigkeit und einem Rausch an Unkorrektheiten.

Das Bild, das Else Buschheuer durch ihr Schreiben erzeugte, machte sie auch für sich selbst zur Attitüde als eine Vorreiterin des Internetbloggens, die ihren scheinbaren Alltag kommentierte, ihre jeweils aktuellen Film-Top-Ten präsentierte und Beobachtungen, beziehungsweise Fotos zu Kultur und Menschen ins Netz stellte. Buschheuer feierte sich insgesamt als Ausdruck von Individualität und verrückter Selbstschöpfung, als Autorin am Randausläufer einer besonders lesbaren Sorte der Popliteratur.

Besondere Bekanntheit erlangte Buschheuer schließlich, als sie für journalistische Arbeiten nach New York ging und die Anschläge des 11. September 2001 in Echtzeit begleitete. Zur unfreiwilligen Korrespondentin geworden, schilderte sie ihre Erlebnisse sehr emotional. Nach ihrem rasanten und für ein Debüt gewagten Erstling veröffentlichte sie bis 2008 drei weitere Romane, ehe die Resonanz nachließ. Insgeheim lag ihre Stärke ohnehin im schnoddrigen Ton journalistischer Kolumnen. Doch neben mehreren Moderationsgastspielen fand Buschheuer ein ideales TV-Format; die Kinogeherin moderierte fortan das Filmemagazin „Kino royal“ (bis 2013) auf MDR.

Literarisch allerdings meldete sie sich bereits 2012 wieder mit einer Art humoristischem Lebensratgeber, der an den turbulenten Stil der Anfangsjahre wieder anschließen konnte und immer noch als Leseempfehlung gilt („Verrückt bleiben! Mein Leitfaden für freie Radikale“ 2012). Im Sommer 2013 schließlich erschien ihr jüngstes Werk, wiederum ein Roman, der den Titel „Zungenküsse mit Hyänen“ trägt. Der Verlag hat sich einige Gedanken um die Gestaltung des Schutzumschlages gemacht. Er demonstriert mit seiner abgedruckten Comicdame und der gefakten abgewetzten Struktur bereits, dass man ein Stück Schund- und Trashliteratur in Händen hält. Auch ein eigentümliches Zitat von Peter Sloterdijk auf der Rückseite weist in diese Richtung: „Man liest weiter, obwohl man so etwas niemals lesen wollte.“ So schlimm allerdings ist es gar nicht, denn „Zungenküsse mit Hyänen“ ist eine kurzweilige und vergnügliche Lektüre. Buschheuer gibt sich sichtlich Mühe, den selbstgemachten Klischees gerecht zu werden und ihre Geschichte aus Schablonenfiguren und einer im schicken Milieu immer mehr an Rasanz aufnehmenden Story zu konstruieren. Sie erzählt von Michael Rothe, einem 33-Jährigen mit Mutterkomplex, der sich in einem komplizierten Abnabelungsprozess befindet. Mit geklautem Geld mietet er sich Hals über Kopf eine Wohnung in der Großstadt Rizz, der mondänen Metropole, in der das Leben pulsiert, das ihn aber auch völlig überfordert. Noch Jungfrau und sich unsicher durch die sexualisierten Bezirke der Großstadt tastend, gelangt Michael an den Job eines Klatschreporters bei dem Schmierblatt schlechthin, dem Mittagskurier. Er macht sich auf die Spur des unaufgeklärten Mordes an Felicitas Müller, der sogenannten roten Müllerin, einem ehemaligen Partygirl, das einen Erfolgsroman geschrieben hatte (dessen Cover wie Buschheuers „Ruf! Mich! An!“ knallrot war) und die mit Müller, dem berühmten Filmproduzenten, liiert war. Damit befinden wir uns auch schon mittendrin in einer abgefahrenen Welt aus Glamour, Sexorgien, Drogenräuschen und einer ganzen Armada an verkrachten oder durchgeknallten Gestalten: wie Müllers schleimigen Angestellten, den schwulen Mitbewohnern in Michaels Leuchtturm-Wohnhaus oder Gritli, der Kumpanin Michaels, die seit einem Fenstersprung aus Liebeskummer gehbehindert ist; wie dem Modedesigner David oder Kuki Bonito, der afrikanischen Schauspielerin, Superstar als Tatortkommissarin, keiner Party fern und keinem Abenteuer abgeneigt.

Else Buschheuer mutet ihrer Hauptfigur Michael Rothe einiges zu, schickt ihn, den von Muttern her scheinbar wohlerzogenen Spätzünder, durch einen ganzen Höllenkreis der Verdorbenheiten und durch Kapitel wie „Lustgreisengruft“, „Edelnuttenschicksal“, „Seltsames Früchtchen“ oder sein Entjungferungskapitel „Die schwebende Jungfrau“. Schnell wird Michael Rothe, im Roman oft Meikel genannt, klar, dass er sich im Sündenpfuhl der Großstadt befindet, der aber trotzdem mit seinem Herkunftsort, dem spießigen Grimmelshausen, wie sich erweisen wird, vielsagend verschränkt ist: „Die Gespräche in Rizz hielten sich nicht an den Grimmelshausener Code. Sie sprangen einen wie Tiere an, Frau Puvogel, David, Gritli, Big Ben, Kuki Bobito. Alle überschritten die Grenzen, taten und sagten Dinge, die man nicht tut und nicht sagt. Ich war nie zuvor unter Menschen gewesen, die Pissflaschen wie Gebäck reichten, mich ausfragten, anfassten, mit Zunge küssten, unter Droge setzten und in die Enge trieben.“ Dabei erfrischt Else Buschheuer ihre Leser immer wieder mit der ausgesprochenen Unkorrektheit ihrer Figuren gegenüber Prostituierten, Schwarzen, Homosexuellen und Behinderten, einer Verbotsreihe, gegen die die Autorin ihre Figuren mit Vorliebe verstoßen lässt.

„Zungenküsse mit Hyänen“ ist natürlich eine Art Trash-Bildungsroman, in dem Meikel seine Heldenreise antritt hin zur Selbstfindung und zur Aufklärung des Mordes. Am Schluss kommt er nach allen Versatzstücken aus Populärkultur und Bildungszitaten an der Spitze der Mediengesellschaft an. Bis dahin ist es aber ein weiter und verwinkelter Weg bis zu einer großen, von Meikel veranstalteten Party, auf der alle Gestalten seiner neuen Welt mit ihrem weitangelegten Beziehungsgeflecht und dem Mord konfrontiert werden, und bis zu einem Gefängnisaufenthalt, nach dem die ursprünglichen Verhältnisse nicht mehr Bestand haben. Else Buschheuer treibt ihre Romanhandlung Coup für Coup voran und macht aus ihrem Text ein modernes Medienmärchen der Oberflächlichkeiten und der Klischees; sie streut ihre Anspielungen auf legendäre Filmklassiker derart verschwenderisch, wie es nur eine Cineastin vermag. Leider erreicht sie nicht die boshafte Ungezwungenheit ihres literarischen Erstlings, aber „Zungenküsse mit Hyänen“ könnte dennoch der Auftakt zu einem neuen Abschnitt ihres Werkes werden, zu dem die Autorin wieder an Fahrt aufnimmt. Klar ist schon jetzt: Nirgends sonst in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur kann man eine solch ungezwungene Mischung aus Populärkultur, Krimielementen und Initiationsparodie finden wie bei Else Buschheuer.

Titelbild

Else Buschheuer: Zungenküsse mit Hyänen. Roman.
Aufbau Verlag, Berlin 2013.
352 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783351035365

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch