Komplexe Welten in Serie

Die Texte eines von Claudia Lillge, Dustin Breitenwischer, Jörn Glasenapp und Elisabeth K. Paefgen herausgegebenen Sammelbandes beleuchten neue amerikanische Fernsehserien

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Immer wieder einmal werden die neuen US-Amerikanischen Fernsehserien als ‚Romane des 21. Jahrhunderts‘ gefeiert. Und tatsächlich ist dies nicht ganz von der Hand zu weisen. Nicht etwa, dass sie das Buch, den großen Roman gar, ersetzen könnten oder auch nur wollten. Aber ähnlich wie SchriftstellerInnen in den monumentalen Werken der Weltliteratur schaffen US-amerikanische AutorInnen des 21. Jahrhunderts Fernsehserien mit hochkomplexen Handlungen, in denen sich nicht weniger vielschichtige und entwicklungsfähige Figuren bewegen. So zielt der lobende Vergleich mit umgangssprachlich als Schinken oder auch Wälzer apostrophierten Romanen nicht etwa auf deren Herabsetzung, sondern grenzt die Fernsehserie vom Kinofilm ab, der in seiner Hollywoodvariante eher auf Special Effects denn auch Komplexität setzt, aber auch als anspruchsvollerer Autorenfilm für seine Handlungs- und Figurenentwicklung allenfalls zwei bis drei Stunden zur Verfügung hat. Auf Komplexität angelegte Serien können hingegen ihre Charaktere nicht selten über 100 und mehr Stunden hinweg entwickeln.

So haben zahlreiche der neueren Serien, wie etwa „Buffy“, „Gilmore Girls“ oder „Sex in the City“ wiederholt wissenschaftliches Interesse geweckt. Nun ist ein Sammelband erschienen, dessen Beiträge einmal mehr einzelne Aspekte verschiedener US-Amerikanischer Serien der jüngsten Vergangenheit beleuchten. Wie die HerausgeberInnen Claudia Lillge, Dustin Breitenwischer, Jörn Glasenapp und Elisabeth K. Paefgen darlegen, zielen die Beiträge vor allem auf ein Lesepublikum, das „eine erste intensive Beschäftigung mit den Serien, ihren ‚Erfindern‘ (,creators‘) sowie mit den jeweils entworfenen Figurenkonstellationen, Konflikt- und Themenfeldern“ wünscht. Ihm werden „13 großrahmige Lektüren“ zu ebenso vielen Serien geboten. Untergemischt ist dabei allerdings auch schon mal das eine oder andere close reading bestimmter Szenen oder wie im Falle von „Nip/Tuck“ des Vorspanns, den Lisa Gotto einer geradezu akribischen Analyse unterzieht, wobei sie in ihm nicht weniger als das Konzept der gesamten Serie entdeckt. Gerade ihr Beitrag ist nicht nur für eine erste intensivere Beschäftigung mit der Serie instruktiv. Dabei wartet sie zum Vergnügen der Lesenden sogar noch mit mancher geradezu aphoristisch anmutender Formulierung auf.

Die von den HerausgeberInnen aufgestellten Auswahlkriterien der Serien besagten, dass diese zum einen „einem gewissen Realismuskonzept“ folgen und somit weder Mystery- und Fantasy- noch SF-Elemente enthalten, und zum anderen, dass sie bereits abgeschlossen sind. Allerdings wurde hinsichtlich beider Auswahlkriterien eine Ausnahme gemacht. So enthält „Twin Peaks“ sehr wohl Mystery-Elemente und „Mad Men“ ist keineswegs abgeschlossen. Dagmar von Hoff und Elisabeth K. Paefgen untersuchen sie.

Letztere beleuchtet in ihrem erhellenden Beitrag die „traurige Existenzweisen“ vieler, im Grunde aller „Mad-Men“-Figuren bis hin zu den Kindern. Auf knappen Raum zeigt die Autorin eindrücklich, dass „einige der ‚männlichen‘ Traurigkeiten“ der Serie „sowohl zeitdiagnostisch als auch zukunftsweisend“ sind, da in ihr „all die vielen genderorientierten, ökonomisch-gesellschaftlichen und historischen Stereotype diskutiert werden, die dann bis zum Ende der 1960er-Jahre so heftige Kritik erfahren sollen.“

Zugleich aber scheint „die ‚weibliche‘ Traurigkeit jener Jahre noch auswegloser als die ‚männliche‘, weil sie weniger betäubt werden kann mit alkoholischen beziehungsweise sexuellen Exzessen und weil sie existentieller gebunden ist an Geburten und an die unmittelbare Verantwortung für Kinder.“

Paefgens instruktiver Beitrag bietet wenig Anlass zur Kritik. Allenfalls, dass es sich bei dem Hippie, den sie in einer Episode der ersten Staffel ausmacht, eher um einen Beatnik handeln dürfte. Auch ist nicht ganz zutreffend, dass die Werbetexterin Peggy Olson die „einzige Frau unter ihren Kollegen“ sei, die sich „zu behaupten versucht“. Denn gleiches gilt wenn auch auf andere Weise, so doch nicht minder für die Sekretärin Joan Holloway. Dies allerdings wird von Paefgen durchaus erkannt, wenn Sie etwa darlegt, dass Joan sich „nicht so leicht blenden lässt, von den kleinen Erfolgen, die Frauen“ – namentlich Peggy – „innerhalb der Agentur zugestanden werden.“ Wichtiger noch sei, dass Joan als einzige „die neuen Konflikte“ heraufziehen sieht, „die im Zusammenhang mit weiblichen Emanzipationsbestrebungen entstehen können“. Mehr noch, als Peggy sich einmal für sie stark macht, indem sie einem sexistischen Kollegen kündigt, der Joan wiederholt belästigte, erklärt die Sekretärin der ihr vorgesetzten Werbetexterin, dass sie selbst das Problem zuvor bereits weit besser gelöst habe. Durch die Kündigung habe Peggy den verbliebenen Machos hingegen nur klar gemacht, dass Joan eine machtlose Sekretärin und Peggy eine humorlose „bitch“ sei.

Jörn Glasenapps Beitrag über „Amerikanische Träume in ‚Gilmore Girls‘“ hingegen erweist sich als kritikwürdiger. Zwar trifft die zu übende Kritik nicht seine Analyse der infrage stehenden Serie, ist insofern also nur randständig. Zugleich aber ist sie grundsätzlicher, gilt sie doch seinen einleitenden Ausführungen zur Filmgeschichte und dem Geschlechterbild dass sich in ihnen offenbart. Wenn er zu Beginn seines Textes konstatiert, „während Männer schweigen und handeln […], reden ‚girls‘ beziehungsweise Frauen, und zwar unaufhörlich und schnell“, so klingt das in dieser Überzeichnung zwar etwas scherzhaft und bezieht sich wohl auch nur auf cineastische Figuren, doch zieht er aus diesem „Verhaltensmuster“ ganz ernsthaft den Schluss, es habe „der Erfindung des Tons beziehungsweise der Möglichkeit, die Figuren in realiter, also ohne Einsatz von Zwischentiteln, sprechen zu lassen [bedurft], um die Frau im Bereich Filmkomik dem Mann ebenbürtig werden zu lassen“. Dem ist mitnichten so, wie Claudia Preschl in ihrer unter dem Titel „Lachende Körper“ erschienenen Untersuchung über „Komikerinnen im Kino der 1910er Jahre“ auf beeindruckende Weise zeigt. Dass die „Großen Stars“ der Stummfilmära mit ihrer „hochgradig körperbetonten slapstick comedy […] ausschließlich männlichen Geschlechts“ gewesen seien, ist denn auch nicht, wie Glasenapp meint, dem Umstand anzulasten, dass die Stummfilm-Komikerinnen ihren Kollegen nicht ebenbürtig gewesen wären. Vielmehr erscheint dies nur so, da die patriarchalische Gesellschaft in allen Kunstformen – der Literatur, der Malerei, der Musik und so auch die des Films – zumindest bis in die jüngere Vergangenheit hinein vor allem Männer zu bejubeln und schließlich zu kanonisieren pflegte. Angeknackst wurde diese gläserne Decke für kunstschaffende Frauen erst im Gefolge der in den 1970er-Jahren hochaufschäumenden Zweite Welle der Frauenbewegung. Glasenapps Ausführungen über die Serie selbst sind hingegen durchaus plausibel. So bedarf es etwa keiner großer Anstrengung seinerseits, ihren screwball-Charakter aufzuzeigen.

Auch die von Claudia Maass und Marcus Schotte beleuchtete Anwalts-Serie „Boston-Legal“ zeichnet sich durch Sprachwitz und Situationskomik aus. Dass sie sich allerdings als „Hybridform“ der Genre Anwaltsserie und comedy-Serie von ihren „TV-Vorgängern“ entferne, verwundert denn doch etwas, scheint Maass und Schotte doch die ebenso wie „Boston Legal“ von David E. Kelley produzierte Serie „Alley McBeal“ unbekannt. Das ist sie natürlich nicht, und wenig später, nämlich auf der gleichen Seite, weist das AutorInnen-Duo selbst auf diesen Zusammenhang hin. Maass’ und Schottes Beitrag konzentriert sich ganz auf eine „exemplarische“ Episode der zweiten Staffel. Auf die gerade hinsichtlich der vielfältigen Sexualbeziehungen der Protagonisten Alan und Danny sehr problematische Konzeption der Geschlechterverhältnisse und das damit verknüpfte Weiblichkeitsbild gehen sie dabei allerdings kaum ein, sondern merken nur beiläufig an, dass die „Richterinnen entweder durch ihr hartes Durchgreifen oder als Sexualpartnerinnen von Alan und Denny auffallen“.

Zu den Beiträgen, die außerdem Eingang in den Band fanden, zählen etwa „The Sopranos“, in denen Hans Richard Brittnacher „ein Sittengemälde aus New Jersey“ ausmacht, „Six Feet Under“, das Claudia Lillge „jenseits des Serienprinzips“ verortet, und „The West Wing“, in dem Melanie Lörke „eine positive Gegenwelt“ erkennt.

Den Anspruch der HerausgeberInnen, „großrahmige Lektüren“ zu bieten, erfüllen die Beiträge ausnahmslos. Und manche der Texte, wie Lisa Gottos beispielhafte Analyse des Vorspanns von „Nip/Tuck“, leisten einiges mehr.

Titelbild

Claudia Lillge / Jörn Glasenapp / Dustin Breitenwischer / Elisabeth Paefgen (Hg.): Die neue amerikanische Fernsehserie. Von Twin Peaks bis Mad Men.
Wilhelm Fink Verlag, München 2014.
351 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-13: 9783770556908

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