Anti-Helden der Arbeit

Philipp Schönthalers Debütroman zeigt die Berufswelt als Geisterbahn

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Literatur und Arbeitswelt: Das klingt nach 1970er-Jahre-Schreibern und Bitterfelder Weg. Aber mit deren Miefigkeit hat die Gegenwartsliteratur zum Thema nicht mehr viel gemein. Denn vielleicht lässt sich nirgendwo der Puls der Gesellschaft so genau nehmen wie dort, wo sich ohnehin viele Millionen an fünf Tagen der Woche aufhalten: im Büro. Das ist per se nichts Neues, spätestens Bret Easton Ellis hat es 1991 vorgemacht mit der Groteske American Psycho, die den smarten Wall Street-Manager als Massenmörder mit Wahnvorstellungen und einer Vorliebe für Phil Collins zeigt. Die deutsche Literatur geht nicht ganz so weit, aber auch sie nutzt die Schilderung von Bürowelten, man denke an den paranoiden Hochstapler Eric in Daniel Kehlmanns letztjährigem Roman F, an Kathrin Rögglas Wir schlafen nicht, Annette Pehnts Mobbing oder das polemische McKinsey kommt von Rolf Hochhuth.

Auch für den 1976 geborenen Philipp Schönthaler ist dies bisher der Stoff, aus dem die Texte sind. Schon sein Debüt, der mit dem Clemens-Brentano-Preis ausgezeichnete Erzählband Das Leben ist nach oben offen (2012), bot so etwas wie eine Anatomie der Leistungsgesellschaft. Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn nimmt sich dieses Themas nun auf Romanlänge an. Das Buch erzählt aber nicht stringent einen einzigen Handlungsbogen, sondern funktioniert wie ein Episodenfilm, der um einen zentralen Ort angesiedelt ist, in diesem Fall eine fiktive Kosmetikfirma im Stuttgarter Speckgürtel. Da ist die Unternehmensberaterin mit Glasauge und Schlafstörungen, der von sich selbst überzeugte Jungschnösel, den ein britischer Headhunter abwerben will, die promovierte Wissenschaftlerin, die Fortbildungsseminare für andere Wissenschaftler gibt, der Psychologe, der seine Patienten nicht zu Wort kommen lässt – kurz, es ist eine wahre Geisterbahn des Arbeitslebens, die Schönthaler vor unseren Augen erstehen lässt.

Auf McKinsey zu schimpfen oder pauschal die „Amerikanisierung“ der Geschäftswelt zu verteufeln, ist natürlich einfach. So leicht macht es uns Schönthaler nicht. Zumindest zu Beginn des Romans hält der Erzähler sich bei der Charakterisierung seiner Figuren durchaus zurück, lässt sie lieber selbst zu Wort kommen. Man muss ihre Phrasen nicht als Phrasen bezeichnen, sie verraten sich ganz von selbst. Und es zeigt sich, dass der Versuch, die Welt in Diagramme und vermeintlich objektive ökonomische Gesetze einzukasteln, vor allem den Figuren dabei helfen soll, ihr risikoreiches Leben berechenbar zu machen. Und genau dabei scheitern sie grandios.

Nach und nach verlässt Schönthalers Erzähler die Neutralität, die beschriebenen Ereignisse nehmen an Absurdität zu, und der Blick auf die Figuren gewinnt an Sarkasmus und Schärfe, ohne je in billige Satire umzuschlagen – ist es Zufall, dass der Literaturwissenschaftler Schönthaler unter anderem über den Misanthropen Thomas Bernhard promoviert hat? Dabei schlägt der Roman nie in billige Satire um. Dass das System kaputt ist, das Schönthaler beschreibt, merkt man auch so. Allerdings zeigt er auch keine Auswege aus dem Hamsterrad. THIS IS NOT AN EXIT, der letzte Satz von American Psycho, könnte als Motto auch über Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn stehen. Auch wenn seine Figuren in existenzielle Krisen geraten – sie versuchen, einfach weiterzumachen wie bisher. Darin liegt ihre Tragik. Nicht einmal außerhalb des Arbeitslebens gibt es eine Zuflucht, denn die von Schönthaler beschriebene Welt ist bis ins letzte durchökonomisiert – die Witwe eines Toten soll in einem Evaluationsbogen festhalten, wie gut sie von der Oberschwester betreut worden ist, die junge Bewerberin mit Angststörung bekommt ihre Behandlung in der psychiatrischen Klinik nur in vorher festgelegten Dosen, und selbst die spontane sexuelle Begegnung, der vermeintliche Augenblick der Befreiung, ist in Wirklichkeit ein abgekartetes Spiel.

Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn besticht durch schwarzen Humor und völlige Ausweglosigkeit. Dabei ist das Buch virtuos und lebendig geschrieben. Dies ist erst Schönthalers zweites Buch, wenn man von einer wissenschaftlichen Monografie absieht, aber hier schreibt jemand bereits auf der Höhe der Gegenwartsliteratur, subtil und maliziös zu gleichen Teilen. Wenn das eine Wette auf weitere gelungene Texte sein soll, ist sie angenommen.

Titelbild

Philipp Schönthaler: Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn. Roman.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2013.
224 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783882210743

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