Erotik zum Gähnen

Die Neuausgabe der Liebesgeschichte „Sommer in Italien“ von Wilhelm Speyer rechtfertigt eine Neuentdeckung des Autors nicht

Von Tobias GunstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Gunst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wenn einer eine Reise tut, muss man nicht unbedingt davon erzählen. Das ist ungefähr der Fall mit der Reise des namenlosen Ich-Erzählers in Wilhelm Speyers Novelle „Sommer in Italien“: der Protagonist reist im Auto aus dem düsteren Berlin ins helle Italien, um der Langeweile und unglücklicher Liebe zu entfliehen. Dort, hin- und hergerissen zwischen Land und Liebe, trifft er andere Frauen, hat Affären, verliebt sich und fährt immer wieder in seiner ‚Maschine‘ herum.

Dass der Aisthesis-Verlag aus Bielefeld nun zu einer Neuauflage des Gesamtwerkes von Wilhelm Speyer angetreten ist – an „Sommer in Italien“ liegt es jedenfalls nicht. Speyer, 1887 in Berlin geboren, 1952 in der Schweiz verstorben, zählt zu den nahezu vergessenen Autoren aus der Weimarer Republik. Seine großen Publikumserfolge „Charlott etwas verrückt“ (1927) und vor allem „Aufstand der Tertia“ (1927) erreichten hohe Auflagen und machten Speyer berühmt, verdienen möglicherweise auch eine Neuentdeckung. Für „Sommer in Italien“, man muss es so deutlich sagen, gilt das nicht.

1932 ist die Erzählung im Rohwolt-Verlag in Berlin zuerst erschienen, viel Aufmerksamkeit wurde ihr nicht mehr zuteil, denn kurz nach der sogenannten Machtergreifung der Nationalsozialisten ging Speyer ins Exil über Österreich und Frankreich in die USA. Dort arbeitete er vor allem als Drehbuchautor und hatte einigen Erfolg, 1947 erschien in Deutschland sein Exilroman „Das Glück der Andernachs“. Nur eine Rezension widmete sich jedoch jenem letzten, vor dem Exil publizierten Text Speyers. Franz Hessel behauptete darin, bei „Sommer in Italien“ habe man es mit einer „erotischen Erkenntnistheorie in Märchenform“ zu tun. Das kann man möglicherweise so sehen, fest steht, dass man es mit großer Liebesliteratur sicher nicht zu tun hat. Dem kenntnisreichen und durchaus ambitionierten Nachwort Detlev Kopps in der Ausgabe zum Trotz bleibt Speyers Novelle nämlich ein über weite Strecken ermüdendes, langweiliges Abenteuer, das mit Erotik wenig, mit Erkenntnis gar nichts, und mit Märchen nur am Rande zu tun hat. Ein immer wiederkehrender Überbau von mythologischen und historischen Verweisen gehört zum Topos der Italienliteratur seit Goethe, die Hitze und Begierde sind seit Thomas Mann zum Klischee geronnen – Speyer scheut sich dennoch nicht, mit beiden im Übermaß zu arbeiten. Ständig begegnet der Protagonist an lauen Sommerabenden neuen bezaubernden Schönheiten, die er begehrt, aber nicht liebt, selbst wenn sie, wie im Fall einer jungen Nachwuchsdichterin, natürlich als „schöne Dienerin der Sappho“ gelten können. Zwar erblickt er allenthalben unter dem „Strahl der untergehenden Sonne“ die „Schönheit dieses [oder jenes] Hauptes“, allein, lieben mag er sie alle nicht, bis er „die Hälfe eines schräg geneigten, sinnenden, rötlich bestrahlten Mädchengesichtes“ sieht, das ihn, einem „rosafarbenen Blitz“ gleich, verzaubert. Das wunderbare Wesen entzieht sich ihm zunächst, er landet mit anderen in den Dünen, bis am Ende die wundersame Vereinigung ansteht, unter Tränen und Küssen, mythisch aufgeladen, modern inszeniert, brausen die Liebenden doch mit zwei Automobilen aufeinander zu.

In dieser Aneinanderreihung von sprachlichen und inhaltlichen Klischees einen Hauch von Erotik zu finden, ist eine Leistung, hat Erotik doch etwas mit Reiz, Prickeln, Aufregung zu tun. Speyers Prosa jedoch ist das Gegenteil davon: antiquiert, kitschig, mäandernd-breit und zähflüssig, kein hauchzarter Stoff, der Haut verdeckt, sondern ein schwerer, mächtiger roter Samtvorhang, der lieblos von der Decke baumelt. Der Protagonist schwelgt in Tagträumen und Phantasien von der „geheimnisvoll schreiende[n], negerhaft melodische[n] [sic!!!] Stimme des Bauernmädchens“ und hört sie schließlich bei der finalen Vereinigung tatsächlich, er reflektiert über die italienische Landschaft und das Klima:

„Spendeten die Nächte nicht reichlich Tau, bewahrten die harten Blätter nicht sorgsam und geizig die in der Nacht gewonnene Feuchte, und hätte nicht am Tag der unermüdliche Landmann dort hinten, mit seinem Esel am Brunnen, die flach strömenden Wasser in viel verzweigten, reinlichen Gräben zu den Wurzeln seiner Gewächse geleitet.“

Der sprachliche Duktus vermag also über die inhaltlichen Schwächen nicht hinwegzutrösten, im Gegenteil, wie Puder legt er sich über die vor Kitsch triefende Geschichte und ihre holzschnittartigen Protagonisten, die vor einem Italienbaukasten auf- und abmarschieren wie mechanische Puppen. So wenig das mit Erotik zu tun hat, so wenig hat die Erzählung mit guter Literatur zu tun.

Man hat Wilhelm Speyer also keinen Gefallen getan damit, diese Novelle aus der Vergessenheit zu heben. Er mag seine Bedeutung als Autor in der Weimarer Republik haben, mit „Sommer in Italien“ lässt die sich allerdings nicht begründen. Wenn wirklich große Texte des Autors noch zu heben sind: sehr gern – bleibt auch der Rest des Gesamtwerks allerdings auf diesem Niveau, dann wird die eminent wichtige Funktion der Praktik des Vergessens für das kulturelle Gedächtnis an Wilhelm Speyer ansichtig. 

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Wilhelm Speyer: Sommer in Italien. Eine Liebesgeschichte.
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Detlev Kopp.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2014.
116 Seiten, 14,50 EUR.
ISBN-13: 9783849810245

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