Szenerie mit Hölderlin

Uta-Maria Heim hat mit „Wem sonst als Dir“ einen ambitionierten Krimi verfasst

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Schwäbischen ist eine Menge los, und das lässt sich dann auch noch so schön kulinarisch oder kulturell aufbretzeln, wenn man möchte. Man ist immerhin im Pfarrer- und Literatenland, was, wie wir wissen, ziemlich eng miteinander verbunden sein kann. Hier hat ein gewisser Friedrich Hölderlin im Turm gesessen, und hier gibt’s Spätzle und Flädle und was auch immer.

Eine solche Region hat es allerdings nicht leicht, wenn es um Krimis geht. Da kanns dann noch so blutig, brutal oder böse vor sich gehen, es hat immer noch einen hübschen Verkleinerungsfortsatz, der’s ein wenig niedlicher macht (bösle?). Man kann das als Rheinländer mit gutem Recht bemängeln – wer im Porzellanladen sitzt, wirft die härtesten Steine. Sicher auch ein verdecktes Adenauer-Zitat.

Was hat das mit Uta-Maria Heims „Wem sonst als Dir“ zu tun? Eigentlich nichts. Denn Heims Roman ist dermaßen aufs Ernsthafte und Seriöse aus, dass es einem schon leid tun kann. Hier wird die große Literatur mit der großen Geschichte und dem großen persönlichen Leid verbunden. Das hier sind echte Katastrophen und Niedergänge, hier wird mit dem großen Geld gezahlt, und da können Kleinlichkeiten nicht wirklich durchdringen. Also nichts Niedliches nirgends. Schade.

Großes Geld also: Ein Mann namens Schöller wird beschuldigt, seine Mutter umgebracht zu haben (Messerstich, alles spricht für eine Affekttat, so liest man gelegentlich in Polizeikrimis, die es wenigstens wissen müssen). Nichts spricht dafür, dass es irgendjemand anderes gewesen sein könnte. Der Mann selbst hat die Tat nicht gestanden. Jahre später noch lässt den Staatsanwalt namens K. (bitte nicht) die Sache aber nicht mehr los – nicht zuletzt deshalb, weil der vermeintliche Täter während der Haft in den Wahnsinn verfallen ist und nur noch unvollständiges Zeug stammelt. Seine Lebensgefährtin ist eine ehemalige Ost-Germanistin, deren Arbeitsschwerpunkt Hölderlin war, bis sie dann die Karriere (welche Karriere?) nach dem Prozess aufgegeben hat und in einem anachronistischen Backshop arbeitet (es gibt wirklich Wortspiele, die hart am Rande der Stilblüte entlang schrammen).

Das ist dann schon alles sehr eng gestrickt. Aber es kommt noch besser und vor allem mehr: Denn Schöller sitzt in einer Anstalt, die zu NS-Zeiten als Euthanasie-Stätte dem Mord an geistig Behinderten gedient hat, was zu einer Reihe von Reminiszenzen und bedeutungsschwangeren Querverweisen Anlass gibt, von denen man nicht weiß, wohin sie führen. Seine Mutter nun arbeitete ihrerzeit als Küchengehilfe in dieser Anstalt, hat aber natürlich nie etwas gesehen und gewusst. Schuld ist also eine komplizierte Sache, die mit Sühne immer etwas zu tun hat. Hat sie es also verdient? Und wie hängt das mit ihrem Tod zusammen?

Aber auch damit nicht genug: Denn Schöller hat eine Schwester, eigentlich hatte, die im Umkreis der RAF in den Untergrund ging und an verschiedenen Anschlägen beteiligt war. Auch fatalen, wie sich so nach und nach herausstellt. Aber sie ging irgendwann in die DDR und setzte sich ab, unter dem arg sprechenden Namen Susette Gontard (Hölderlins Diotima eben). Das nun soll niemandem aufgefallen sein, aber man weiß ja, die Neigung zu exotischen Namen im Osten, warum also nicht Susette? Irgendein Hugenotte wird sich schon nach Brandenburg verlaufen haben.

Dort aber hat sie Selbstmord begangen, wie es heißt, kurz bevor sie enttarnt werden konnte. Schuld ist eine komplizierte Sache, und wenn im selben Roman eine Hölderlin-Spezialistin und die Geliebte Hölderlins auftauchen, ist das schon aussagekräftig genug.

Aber auch damit nicht genug: Denn Schöller hat seinerzeit an einer, wie es heißt, wirren Hölderlin-Studie geschrieben, deren Analyse Hauptgegenstand des Gutachtens der späteren Freundin von Herrn K. war (die Germanistin). Aber Entlastendes war dem wohl nicht zu entnehmen, denn Schöller wurde immerhin verurteilt. Ob man je etwas Entlastendes von einem Germanisten gelesen hat, wäre auch noch überhaupt zu fragen, bei all den Entlarvungen, die sie auf den Weg gebracht haben. Aber nun: Ein Staatsanwalt, der erst auf eine solche Idee kommt, und erst dann und viel später zweifelt, der taugt nichts. Das ist wie ein Politiker, der im Amt als Machtmensch aufgetreten ist, und nach seiner Amtszeit zum Moralisten wird. Hat man auch nicht gern.

Nun denn, man sieht, es dräut in Heims Roman allenthalben, und Motive und Themen gibt es genug: Hölderlin, Nazizeit, Euthanasie, RAF, Terrortote und Muttermord. Man kann sagen, das ist ernsthafte Literatur, man kann aber auch sagen, es ist alles ein wenig überladen, vor allem dann, wenn die wirre Stimme des Protagonisten alles überlagert. Was man damit anfangen kann? Alles, was einem gefällt, man muss aber auch nicht. Schwermut nun auch im Schwabenland.

Titelbild

Uta M. Heim: Wem sonst als Dir. Roman.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2013.
264 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783863510640

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