Der abwesende Andere

J. M. Coetzees und Paul Austers Briefwechsel „Von hier nach da“ – Ein Kräftemessen zweier Schriftsteller von Weltrang?

Von Simone Sauer-KretschmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Simone Sauer-Kretschmer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die französische Mittelmeerküste hat viel zu bieten. Nicht zuletzt für Fahrradreisende, die sich der Schönheit der Umgebung kräftig tretend und leise keuchend hingeben möchten. Wachsam sollte man dabei jedoch nicht nur die Natur betrachten, sondern auch die anderen sportlich aktiven Urlauber, immerhin könnte einer von ihnen ein weitgereister Literaturnobelpreisträger sein. Zugegeben: Groß ist die Chance auf ein solch ungewöhnliches Zusammentreffen mit J. M. Coetzee nicht gerade, doch dass der Zufall außergewöhnliche Geschichten schreibt, diese Überzeugung vertritt insbesondere das literarische Werk von Coetzees Freund Paul Auster. Aus den Jahren 2008 bis 2011 stammt der nun in deutscher Übersetzung veröffentlichte Briefverkehr der beiden Schriftsteller, denen die postalische Korrespondenz weit mehr zusagt als das Schreiben von elektronischen Nachrichten.

Coetzee und Auster, eine Verbindung zwischen Australien und der amerikanischen Ostküste, aus der sich ein dialogischer Kommentar zu kleinen und großen Fragen des Zeitgeschehens ergibt: gefachsimpelt wird nicht nur über verschiedene Sportarten und ihren speziellen Reiz, sondern ebenso über die politische Situation in Israel und Palästina. Die große globale Erschütterung, die die Schreibenden beschäftigt, ist jedoch die 2007 einsetzende Banken- und Finanzkrise. Kritisch gehen Coetzee und Auster dabei nicht nur mit dem tagesaktuellen Weltgeschehen ins Gericht, sondern auch miteinander. So zieht Coetzee in Zweifel, ob sich durch die Finanzkrise überhaupt etwas geändert habe oder ob es nicht vielmehr nur die Zahlen seien, die sich korrigiert und verschoben hätten. Denn das Geld – und unser Verhältnis zu ihm – erscheint Coetzee als ein rätselhaftes Konstrukt, geradezu als allgemein akzeptierte Fiktion, auf welche die Gesellschaft sich geeinigt habe. Auch Auster ist diesem Gedankenspiel über die Irrealität des Geldes grundsätzlich nicht abgeneigt, aber eben nur im Geiste des Spiels. Nachdrücklich macht er Coetzee deutlich, dass die Finanzkrise ebenso konkrete wie verheerende Auswirkungen gehabt hat, die in den USA wohl wesentlich sichtbarer gewesen sind als in Coetzees Wahlheimat Australien. Und so ist es nicht nur an dieser Stelle klar Austers Part, den philosophisch sinnierenden Höhenflügen seines Freundes einen guten Schuss Realismus und Weltnähe zu veabreichen. Während Coetzee sich dabei stilistisch einem essayistischen Schreiben in Briefform annähert, ist Auster damit beschäftigt, die Fäden der Korrespondenz zusammenzuführen. Dies geschieht meist in Form von Anekdoten oder in sich geschlossener Kurzgeschichten, in denen nicht selten der bereits erwähnte Zufall im Mittelpunkt steht, womit Auster an seine frühe Schriften wie „Das rote Notizbuch“, „Die Musik des Zufalls“ oder „Mond über Manhattan“ erinnert.

Währenddessen macht Cotzee sich Gedanken über so disparate Themen wie das Reisen und die eigene Unfähigkeit das tatsächlich Gesehene und Erlebte in Worte zu fassen; über unterschiedliche Kulturen des Essens und des Geschmacks, über bestimmte Strategien der Nahrungsverweigerung bis hin zu Betrachtungen über das Inzesttabu und die generell „lustfeindliche Stimmung der Gegenwart“.

Und natürlich ist auch mal Privates Gegenstand des wechselseitigen Schreibens, doch so richtig mag der Funke dabei nicht überspringen, denn was hier fehlt, ist Tiefe. Gegenstände, die nur kurz angerissen werden und die nur unbefriedigend beantwortete Frage, woher die Einzigartigkeit dieser Freundschaft rühren mag, verbinden sich mit dem Eindruck, dass „Von hier nach da“ im Grunde nicht die Chronik einer Freundschaft ist, sondern die Fortführung des jeweils eigenen Werkes mit anderen Mitteln. Wer Coetzee oder Auster als geneigter Leser rezipiert, der stößt hier sicher auf das ein oder andere ergänzende Bonmot, allen anderen sei lieber direkt zu einem ihrer Romane geraten.

Titelbild

Paul Auster / John Maxwell Coetzee: Von hier nach da. Briefe 2008-2011.
Übersetzt aus dem Englischen von Reinhild Böhnke und Werner Schmitz.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2014.
288 Seiten, 14,99 EUR.
ISBN-13: 9783596196876

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