Sommerhitze, Einsamkeit und das irritierende Gegenteil

„Verdammt gute Nächte“ ist ein heißer Roman im Doppelsinn und weit mehr

Von Rolf-Bernhard EssigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf-Bernhard Essig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Darf Autorin Kathrin Schrocke „das“ für Vierzehnjährige erzählen? Schon wieder streiten sich Erwachsene über das richtige Alter. Als gäbe es das! In gewisser Weise verdoppeln sie damit den Jugendroman „Verdammt gute Nächte“, denn darin hat der fast sechzehnjährige Jojo genau damit zu kämpfen: mit der Altersfrage und der Orientierung. Wofür alles scheint er zu jung, zu alt, zu schüchtern, zu verwirrt, zu brav, zu irgendwie zu sein! Nicht einmal der Platz in seiner Familie ist ihm nach Trennung der Eltern, Neuorientierung seiner Mutter und frischen Halbgeschwistern so ganz klar. In der Clique sieht es anfangs besser aus, aber die Gleichaltrigen – selbst verwirrt – verhalten sich dementsprechend eigenwillig. Dabei ist die Frage, ob Lilli nun Jojo, Michael oder Sushi liebt, genauso wichtig wie die nach dem Erlaubten, dem Anständigen, dem Ehrlichen, dem Hilfreichen oder dem Gemeinen.

Schrockes überzeugende Schilderung der ebenso chaotischen wie starken Gefühle eines Jungen aus dessen Perspektive ist bereits eine große Leistung. Jojo spürt das Quälende seiner Existenz im Zwischenreich des Nochnicht und Nichtmehr überaus deutlich. Die Autorin lässt uns Leser diese Qual durch drei berührende Liebesgeschichten besonders intensiv empfinden. Mit Lilli erlebt Jojo, wie sich Küssen und Berührungen im Heu anfühlen, aber rasch beendet das Mädchen die Liebe, jedoch immerhin nicht ihre Freundschaft. Treu verhält sich dagegen Michaels kleine Schwester, die mit unerschütterlicher Kinderliebe an Jojo hängt, für ihn bastelt, sich nach seiner Nähe sehnt. Und dann kommt Puma in Jojos Haus, Freundin der Mutter, eigentlich uralt für den Jugendlichen, aber in ihrer leicht exzentrischen Art erst auffällig, dann reizvoll, schließlich – für ihn selbst vollkommen überraschend – im höchsten Grade liebenswert: „Ich wollte wissen, warum sie ihren Mann verlassen hatte. Ich wollte wissen, was sie beruflich machte. Ich wollte wissen, warum sie so ein teures Auto fuhr. Ich wollte wissen, weshalb sie ständig diese uralten T-Shirts aus dem letzten Jahrhundert trug, anstatt sich Klamotten für Frauen ihres Alters zu kaufen. Ich wollte wissen, warum sie an einem Samstagabend mit mir in der Küche eines alten Forsthauses saß und gemeinsam mit mir kochte.“

Als wäre das noch nicht kompliziert genug, funkt Jojo das Internet mit seinem Angebot an Pornoseiten dazwischen. Puma überrascht ihn bei seinen Ausflügen in dieses erregende, abstoßende und erschreckende Körperdurcheinander. Ihre Reaktion fällt anders aus, als Jojo befürchtet. Statt ihn bei seiner Mutter zu verpfeifen, rät sie: „Nutz deinen Internetanschluss mal, um das Thema weiblicher Orgasmus zu googeln.“

Das liest sich – vor  allem in den Dialogen – leicht, authentisch, spannend. Kein falscher Ton stört die Reise mit Jojo durch ein paar heiße Sommerwochen. Glaubhaft wirkt vor allem die Zerrissenheit, die tiefe Unzufriedenheit und Unsicherheit des Jungen. Unterschiedlichste Gefühle toben in ihm, der gern richtig lebte, aber nicht weiß, wie. Es spricht sehr für die Autorin, dass sie Jojos Liebesgeschichte mit der mehr als doppelt so alten Puma, so wichtig sie ist, das Buch nicht beherrschen lässt. Die Nöte der anderen Cliquenmitglieder nimmt sie ebenfalls ernst, widmet Seitensträngen die richtige Aufmerksamkeit und sorgt immer wieder für Ruhepunkte nach turbulenten Ereignissen. Außer der Liebe spielen eben die Themen „Freundschaft“, „Herkunft“, „Anstand“, „Ehrlichkeit“ auch eine große Rolle und machen „Verdammt gute Nächte“ zu weit mehr als einem Aufregerbuch.

Titelbild

Kathrin Schrocke: Verdammt gute Nächte.
Fischer Sauerländer, Frankfurt a. M. 2014.
208 Seiten, 12,99 EUR.
ISBN-13: 9783737367134

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