Gesichter des Krieges

Zwei Text-Bild-Bände zeigen vor allem den Alltag im Ersten Weltkrieg

Von Jochen StrobelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Strobel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der von den aus Frankreich stammenden, doch in Yale und München tätigen Historikern Bruno Cabanes und Anne Duménil herausgegebene reich bebilderte Band ist sicherlich eine der lesbarsten und anschaulichsten Einführungen in die Geschichte des Großen Krieges, die derzeit erhältlich sind. Zwar dominiert, wie der deutsche Militärhistoriker Gerd Krumeich in seinem Vorwort betont, die „französische Kriegserzählung“, doch ist der Perspektivenwechsel für den deutschen Leser ausgesprochen heilsam und vielleicht auch notwendig. Diese Kultur-, Alltags-, Geschlechter-, Politik- und schließlich auch Militärgeschichte des Ersten Weltkrieges nimmt zwar wohl fast alle kriegführenden Mächte in den Blick, in den etwa 70 Kapiteln dominiert aber durchaus Mitteleuropa. Ausgangspunkt ist jeweils ein Datum, von dem aus ein Thema, ein Diskurs, eine biografische Notiz, eine militärische Aktion entfaltet und längsschnittartig fortentwickelt wird. Auf subtile Weise spinnt der Band Fäden, die dem Leser den Eindruck vermitteln, überhaupt alles Wissenswerte zum Thema zu erfahren.

Dabei wird alles andere als eine altbackene Schlachtengeschichte geboten, die Verflechtungen von Front und ‚Heimat‘, besonders von Kriegs- und Alltagsgeschichte sind stets präsent. So wird die sich überschlagende Modernität der Kriegführung in Text und Bild vorgeführt – die Schnellfeuergewehre, Kampfflugzeuge und Panzer, der Dauerbeschuss und der Belagerungskrieg im Schützengraben; der Beschuss mit entsetzlichen Verletzungen auslösenden Granaten, natürlich auch der Gaskrieg, der Bombenkrieg und die Materialschlacht. Schon am 3. August 1914 warfen deutsche Flugzeuge Bomben auf das französische Lunéville – nicht nur dieses Ereignis verrät, dass manche der erst aus dem Zweiten Weltkrieg vertrauten technischen Mittel wie auch die Totalität des Krieges bereits im Ersten Weltkrieg Wirklichkeit waren. Zum 100. Jahrestag tritt dessen brutale Modernität vielleicht erstmals vor unsere Augen.

Gewiss ist manches allgemein bekannt: Die Schlacht von Tannenberg als der im Grunde einzige durchschlagende militärische Erfolg der Deutschen im gesamten Krieg zum Beispiel – oder das befremdliche Pathos, mit dem Intellektuelle aller Nationen den Krieg und seine Gräuel begrüßten. Der Band stellt daneben aber auch die wenig anerkannte pazifistische Bewegung vor. Er zeigt, dass mit wohl endgültiger Durchschlagskraft romantische Vorstellungen vom Krieg, auch von einem ‚gerechten‘ Krieg, an der schonungslosen Wirklichkeit der von modernster Technik diktierten Kriegführung zunichte wurden.

Die Kriegsgräuel (besonders die deutschen) bilden einen Schwerpunkt der Darstellung, die Facetten reichen vom Gaskrieg und der Ermordung von Zivilisten bis zum Völkermord an den Armeniern. Lange Zeit war weniger bekannt, dass es auch zunehmend Proteste gegen den Krieg gab – so legten die Näherinnen der Pariser haute couture 1917 die Arbeit nieder, ohne Erfolg.

Der Alltag der Menschen ist sichtbar, ob in der Etappe, im Schützengraben oder in den Städten der kriegführenden Länder. Was kann Esskultur heißen, wenn erhebliche Nahrungsmittelknappheit herrscht? Haben sich auch Kinder vom nationalistischen und todessüchtigen Wahn der Zeit anstecken lassen? Welches Leben wartete auf die zahllosen „Kriegskrüppel“, welche psychischen Auswirkungen der Traumatisierungen gab es? Der britische Dichter und Offizier Siegfried Sassoon, der sich 1917 öffentlich für eine rasche Beendigung des Krieges ausgesprochen hatte, landete sogleich in der Psychiatrie. Häufig diagnostiziert wurden Kriegsneurosen, etwa der shell shock.

Nicht zuletzt sind es die Bilder, die dem heutigen Leser einen Weg bahnen zu der Zeit vor hundert Jahren. Der Band zeigt eine Vielzahl privat wirkender Fotografien, die etwa den Alltag im Schützengraben einfangen, daneben völlig zerstörte Städte und Landschaften, Baumstümpfe und Granattrichter. Dies sind keine grundlegend unbekannten Ansichten des Ersten Weltkrieges, doch waren sie kaum je in so hoher Zahl und so guter Auswahl zu sehen.

Nähe entsteht für den Betrachter besonders durch Farbfotos, von denen der Band nur wenige enthält: Sie zeigen erstmals, dass auch das Leben in Feldgrau Farben aufwies. Die Gesichter wirken in Farbe lebendiger als in Schwarz-Weiß, zugleich trostloser, jedenfalls grauer als die Uniformen der Zeit.

Einen im wahrsten Sinne des Wortes faszinierenden Ein-Blick in die Kriegsfotografie der Zeit bietet ein Buch von Peter Walther, das mit 320 Farbfotos aus dem Ersten Weltkrieg aufwartet. Lagen die Anfänge der Farbfotografie bereits im Jahr 1861, so waren bis zur Massentauglichkeit viele experimentelle Phasen und zahlreiche zwischenzeitlich verworfene Techniken notwendig, ehe etwa in der BRD ganze hundert Jahre nach ihrer Erfindung Farbfotos gang und gäbe waren. Das bedeutet für unseren Blick auf diese Neuentdeckungen, dass wir die Welt unserer (Ur-)Urgroßväter plötzlich weniger verfremdet wahrnehmen, jenen fernen Vorfahren auf Augenhöhe begegnen können.

Den technischen Durchbruch schaffte die Farbfotografie kurz nach der Jahrhundertwende, seit 1907 erfanden die Brüder Lumière das vereinfachte Verfahren der Autochromplatten. Im Ersten Weltkrieg entwickelte sich, von Land zu Land unterschiedlich intensiv, eine professionelle, staatlich kontrollierte Kriegfotografie (wiederum etwas, was man erst aus dem Zweiten Weltkrieg, der Zeit der PK-Kriegsberichterstatter, zu kennen glaubte). Daneben begannen aber auch die Soldaten ‚privat‘ Kriegsszenen zu fotografieren. Von dem relativ kleinen Bestand an Autochromen ist in Walthers Band erstmals eine große Menge versammelt. Aufgrund der langen Belichtungsdauer handelt es sich meist um gestellte Szenen.

Auf den Bildern der ersten Kriegswochen fällt nun also die Farbenpracht der wie aus dem 19. Jahrhundert gefallenen farbenfrohen Uniformen vor blühenden Sommerlandschaften auf – doch bildeten diese Soldaten eine grandiose Zielscheibe für die feindlichen Waffen. Im Herbst und dann über die Kriegsjahre hinweg beginnen Braun- und Grautöne zu dominieren – in der Natur wie in den zerstörten Kulturlandschaften. Die Soldaten gleichen sich geradezu chamäleonhaft diesem Hintergrund an, müssen es tun, um ihre Haut zu retten. Bunt sind bald nur noch die Fotos von Friedhöfen und solche von der Etappe. Beide Bände bringen uns der Welt des Krieges kognitiv und emotional näher – beide sind uneingeschränkt zu empfehlen.

Titelbild

Bruno Cabanes / Anne Duménil: Der erste Weltkrieg. Eine europäische Katastrophe.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2013.
480 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783806227642

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Titelbild

Peter Walther: Der Erste Weltkrieg in Farbe.
Taschen Verlag, Köln 2014.
384 Seiten, 39,99 EUR.
ISBN-13: 9783836554176

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