Seltsame Zutaten, seltsame Mischung

Rudolf Gampers und Thomas Hofmeiers Alchemische Vereinigung ist auch ohne roten Faden eine schöne Einführung in die Alchemiegeschichte

Von Michael DuszatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Duszat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Ausgangspunkt des Buches ist eine Handschrift, die der St. Gallener Kaufmann Bartlome Schobinger im 16. Jahrhundert herstellen ließ beziehungsweise zum Teil selbst anfertigte. Diese Handschrift enthält unter anderem eine Version der für die Alchemiegeschichte bedeutenden Sammlung: das Rosarium Philosophorum. Dabei handelt es sich um ein „Florilegium“: ein Kompendium, das alchemisches Wissen aus verschiedenen Quellen und Traditionen versammelt und auf unterschiedliche Weise, nämlich in Text und Bild, präsentiert. Dieser Teil der Handschrift ist der eigentliche Gegenstand des Buches.

Drei Beiträge untersuchen das Rosarium Philosophorum beziehungsweise dessen historische Kontexte: Im ersten erklärt Thomas Hofmeier die Bedeutung der Bilder und Texte, im zweiten skizziert Rudolf Gamper das Leben Bartlome Schobingers, und im dritten stellen Doris Oltrogge und Robert Fuchs die verwendeten Farben und Maltechniken dar.

Auf was genau sie ihren Gegenstand befragen, inwiefern sich ihre Untersuchungen methodologisch von anderen unterscheiden, oder wie die drei Teile des Buches zusammenhängen, erläutern die Hauptautoren Hofmeier und Gamper weder in der Einleitung noch sonstwo. Schon die Begründung für das Gesamtprojekt fällt ziemlich lapidar aus: Die Neudatierung der Handschrift auf die Zeit um 1530, so die Autoren, mache die Handschrift „interessant“, da sie damit eindeutig früher entstanden sei als die bisher bekannten Drucke. Mehr Reflexion über die eigene Arbeit im Vorfeld der Untersuchung würde es zumindest einem Publikum, dass bisher nicht nach dieser speziellen Handschrift gefragt hatte, einfacher machen, sich dafür zu begeistern.

Denn die Handschrift Schobingers ist viel faszinierender, als die zurückhaltende Einleitung vermuten lässt. Das wird besonders deutlich im ersten Teil des Buches, der so etwas wie sein Herzstück ist: Thomas Hofmeisters Beschreibung der zwanzigteiligen Bilderserie im Rosarium, so wie sie in der Handschrift Schobingers zu finden ist.

Die Bilder sind dabei farbig und ganzseitig abgedruckt, so dass jedes noch so unscheinbare Detail gut erkennbar ist. Wer sich als Laie die Bilder der Reihe nach anschaut, wird zunächst kaum mehr erkennen als eine Art surrealistisch-erotischen Comic mit wandelbaren, menschlichen wie tierischen Figuren, gezeichnet in einer nur im Ansatz verständlichen Bildersprache. Auch der originale Begleittext, ein aus mehreren Bestandteilen zusammengefügtes Gedicht in Mittelhochdeutsch, ist kaum zu entziffern, und selbst in der Transkription beziehungsweise Übersetzung schwer zu verstehen.

Hofmeier macht jedoch auf glänzende Weise die rätselhaften Allegorien auf den Abbildungen sowie im Gedichttext begreiflich. Er tut dabei zunächst nichts weiter, als die sichtbaren Details zu beschreiben und zu deuten. Sein Stil ist dabei vorbildlich ökonomisch und präzise: kein Wort zu viel, kein Wort an falscher Stelle. Die Bilder erwachen in Hofmeiers Darstellung buchstäblich zum Leben und bekommen eine erstaunliche Komplexität. Die dichte Beschreibung ermöglicht eine geradezu mitreißende Leseerfahrung und bringt dadurch einen speziellen Erkenntnisgewinn: man lernt, seltsame Bilder zu lesen.

Neben der Schreibweise ist die Expertise des Alchemiehistorikers Hofmeier der zweite Schlüssel zu einem besseren Verständnis der Bilder. Wir lernen langsam, worum es in der Bilderserie eigentlich geht, indem der Autor uns mit sicherer Hand in die Allegorik der Alchemie einführt. Am Ende wissen wir zum Beispiel, was ein grüner Löwe bedeutet, der eine Sonne frisst. Neben der Erläuterung des „alchemischen Werkes“, das die Serie darstellt, also der mehrschrittigen Verwandlung von bestimmten Zutaten in „Essenzen“, erklärt Hofmeier auch, welche nicht direkt alchemistischen Informationen in den Bildern verarbeitet werden. So lernt man zum Beispiel den für ungeübte Augen praktisch unsichtbaren Entwurf einer Kosmologie am Anfang der Serie sowie die christliche Umdeutung des Ganzen am Ende zu sehen und besser zu verstehen.

Außerdem macht Hofmeier klar, welche intertextuellen Bezüge und Themen für das Rosarium Philosophorum eine Rolle spielen. Er skizziert anschaulich verschiedene alchemische Werke und Traditionen, so dass wir auch verstehen können, wie sich das Rosarium Philosophorum kulturgeschichtlich verorten lässt. Auch bietet das Buch einleuchtende Beispiele für Intertextualität im engeren Sinne, nämlich viele Beispielbilder aus späteren Drucken des gleichen Textes. Diese Bilder machen deutlich, wie das Werk selbst Verwandlungen durchläuft, je nachdem wann, wo und vom wem es neu verfasst wurde: ein späterer Text verhüllt zum Beispiel ursprünglich nackte Körper, um die erotische Komponente abzuschwächen.

Der zweite Teil des Buches, geschrieben von Rudolf Gamper, ist eine biografische Skizze des Besitzers der Handschrift. Sie verleiht der rätselhaften, für uns heute kaum verständlichen Bilderserie des ersten Teils eine eigenartige Erdung – das Fantastische, Absurde, Monströse der Alchemie scheint nun an eine ganz und gar irdische Existenz gebunden. Denn Bartlome Schobinger ist in Rudolf Gampers Darstellung alles andere als eine rätselhafte oder schillernde Figur.

Im Unterschied zu der seltsamen Welt der Alchemie scheint Schobinger beinahe so etwas wie ein alter Bekannter: ein einflussreicher und vermögender Händler, der einer Großfamilie lange Zeit als Patriarch vorstand. Schobingers Interesse für Alchemie erklärt sich wohl hauptsächlich aus seiner Kenntnis von Metallurgie und Bergbau – er war möglicherweise schlicht und einfach an einer gewinnbringenden Herstellung oder Verfeinerung von wertvollen Gütern interessiert (bekanntlich drehte sich Alchemie im weltlichen Sinne immer auch um die Herstellung von Gold).

Als Dreingabe gibt es eine weitere Brechung der Perspektive: der kurze Beitrag von Doris Oltrogge und Robert Fuchs beschäftigt sich in extrem sachlicher Weise mit der Herstellung des Rosariums: welche Farben wurden benutzt, und welche Maltechniken wurden angewandt? Das ist durchaus interessant, gerade für diejenigen, die sich überhaupt nicht mit dem Thema auskennen – aber auch hier hätte eine Reflexion über die Frage, warum es überhaupt nötig sein könnte, darüber Bescheid zu wissen, das Buch abrunden können. Der Anhang schließlich liefert für alle Interessierten unschätzbare Informationen (neben vielen Literaturhinweisen und Belegen für die exzellente Recherchearbeit aller Beteiligten auch eine neuhochdeutsche Übersetzung des Begleitgedichtes im Rosarium Philosophorum.)

Das abrupte Ende des Buches ohne jegliche Zusammenfassung macht noch einmal deutlich, dass Alchemische Vereinigung in gewisser Hinsicht selbst eine rätselhafte Versuchsskizze ist: Verschiedene Teile sollen zu einem verschmolzen werden, ohne dass wir wüssten, ob es überhaupt klappt, oder was am Ende damit gemacht werden soll. So wie sich uns der Sinn der Alchemie heute nicht einfach erklärt, erschließt sich also auch der Grund für diese Publikation nicht automatisch. Trotzdem ist es ein sehr schönes, für die bereits Interessierten sehr nützliches Buch, das in seinen stärksten Passagen auch den bisher Ahnungslosen eine Erweiterung der eigenen Perspektive ermöglicht.

Titelbild

Rudolf Gamper / Thomas Hofmeier: Alchemische Vereinigung. Das «Rosarium Philosophorum» und sein Besitzer Bartlome Schobinger.
Mit einem Beitrag von Doris Oltrogge, Robert Fuchs.
Chronos Verlag, Zürich 2014.
240 Seiten, 39,50 EUR.
ISBN-13: 9783034012409

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