Grenzland
Maja Haderlaps erster Gedichtband in deutscher Sprache
Von Herbert Fuchs
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Titel des Buches von Maja Haderlap, langer transit, ist auch die Überschrift des dritten Kapitels. Vor allem in den Texten dieses Teils wird die Zweisprachigkeit der Ich-Schreiberin zum bestimmenden Thema. Schon die Anfangszeilen des ersten Gedichts, haus der alten sprache, thematisieren die Sprachirritationen, die durch den Verlust der angestammten sprachumgebung entstehen: „in den fluren der sprache, aus der ich / ausgezogen bin, irren verstörte bienen.“
Die „alte sprache“ ist Slowenisch, die Muttersprache der Autorin, die, 1961 geboren, in einem kärntisch-slowenischen Bergdorf aufwuchs und erst in der Schule Deutsch sprechen und schreiben lernte. Die Autorin setzt sich in dem Gedicht kritisch mit dem, was sie in ihrer slowenisch-sprachigen dörflichen Heimat zurückgelassen hat, auseinander: „die sprache / fesselte mich an die welt, indessen sie / sättigte nicht“. Die kritischen Töne werden (fast) zu einer Abrechnung mit dem „alten haus“ der Sprache und der Herkunft, wie es bereits im Bild der „verstörten bienen“ anklingt. Von den „von der schmähung erstürmten kammern“ ist die Rede, von der „wüstung“ der Wohnstätten, von „porösen, atrophischen wänden“, von „falschen hoffnungen“ und vom unabwendbaren „abriss“ des „alten hauses“.
Aber diese Tonlage ist durchsetzt mit melancholischen Einschüben: „wenig ließ ich zurück, / wenn auch alles, was von den jahren blieb, / die ich durchkämmte“. Und die Schlusszeilen lauten: „das verlassene folgte mir. / es ist am ziel angekommen, / während ich unentwegt kreise.“ Dieses Gefühl der Ich-Schreiberin, auf einer Wanderschaft mit der Sprache zu sein, mit der neuen Sprache etwas gewonnen, aber auch verloren zu haben, ist charakteristisch für viele Gedichte dieses Bandes. Es sind Gedichte der Heimat- und Identitätssuche. Das Weggehen aus der vertrauten Umgebung, die Sehnsucht, nach Hause zu kommen, die Fremdheit hier wie dort sind Motive, die sich wie ein roter Faden durch die Texte ziehen.
In ihrer Rede, die Maja Haderlap zur Eröffnung der 38. Klagenfurter Literaturtage (2014) hielt, ist die Zweisprachigkeit ebenfalls das beherrschende Thema. Die Rede trägt den Titel Im Licht der Sprache. „Peripherie“, „Rand“ und „Grenzgebiet“ sind darin Schlüsselbegriffe. Mit ihnen versucht sie die Ortlosigkeit ihres Schreibens, aber auch die Schreibmöglichkeiten, die sich daraus ergeben, zu erkunden und einzukreisen. Erst von der Peripherie aus könnten, so die Autorin, die „gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Umwälzungen, Brüche, Tendenzen“ ungeschminkt gezeigt, „ja geradezu in allen Facetten entblößt“ werden. Haderlap nennt die Sprachgrenz-Situation einen „verdunkelten Korridor“, den sie als „Verbindungsweg“ zwischen ihren Sprachen, dem Slowenischen und dem Kärntner Deutsch, „gebaut und gegraben“ habe, „vollgeräumt mit Versatzstücken aus der Vergangenheit und Geschichte“ ihrer beiden Sprachen.
Das Bild des „verdunkelten Korridors“ verweist auf die Anfangszeile des Gedichts langer transit: „in den fluren der sprache“. Hier wie dort wird ein Raum des Übergangs und des Zugangs imaginiert, ein Raum, von dem aus sich Türen in andere Wohn- und Lebensbereiche hinein öffnen und von dem aus sich ungeahnte Zukunftsmöglichkeiten ergeben: „Alle Schränke und Läden quellen über von gedachten, gehörten und gelebten Geschichten. In diesem Korridor übe ich mich in Unsichtbarkeit, gehe beständig auf und ab, hin und her, befrage einmal die eine, dann die andere Seite. Ich halte mein persönliches Scherbengericht über die Konfliktgeschichte, die meine eigene ist, und übe mich in der Kunst der Verknüpfung. Die Verbindungsbande, die ich um meine Sprachen und Kulturen gezogen habe, sind das Netz, das mich hält und sichert. Manchmal geistern Stimmen und Rufe durch die Abgeschiedenheit und Stille des Korridors, als Nachklang aus Ängsten, Gewalterfahrungen und Befürchtungen, dann wieder werden sie von Echowellen eines geglückten Dialogs gejagt.“ – Diese Sätze aus der Rede könnten als Motto den Gedichten des Buchs langer transit vorangestellt sein.
Das Kapitel unmittelbar vor dem Teil langer transit trägt die Überschrift karantanien. Die Autorin verweist mit dem Wort auf die ruhmreiche Vergangenheit der Vorfahren der Slowenen. Karantanien war in der Zeit nach der Völkerwanderung ein ausgedehntes slawisches Fürstentum auf einem Teil des süd-östlichen Österreich, des heutigen Kärnten. Es war für die Entwicklung der Volksstämme dort von großer Bedeutung, bevor es ab dem 8. Jahrhundert langsam in das christianisierte fränkisch-bayerische Hoheitsgebiet einbezogen wurde. Das Wort Kärnten erinnert noch an Karantanien.
Die Kapitelüberschrift verweist auch auf die problematische Behandlung der slowenischen Minderheit in Kärnten. Erst vor wenigen Jahren beispielsweise wurden dort Orts- und Straßenschilder in Slowenisch erlaubt. Haderlap weist in Interviews darauf hin, dass das Slowenische von vielen Kärntnern als eine marginale Sprache angesehen werde und deshalb, aber auch aus anderen politischen Gründen, die slowenisch sprechende Minderheit an der Grenze zu Slowenien in manchen Rechten eingeschränkt werde. Der Sprachenkonflikt in Kärnten sei, obgleich sich der gesellschaftliche Umgang zwischen der slowenischen Minderheit und den Kärntnern gebessert habe, noch nicht beendet.
Die alten slowenischen Mythen um die sagenhaften Könige vor mehr als tausend Jahren werden von Maja Haderlap in zwei Gedichten wortgewaltig und spielerisch-ironisch dargestellt: „wohin immer wir unsere könige sandten, / sie kamen als bekehrte fürsten zurück, / blieben flüchtig, unsichtbar. […] der erste passierte / als venus verkleidet die grenze bei thörl, / wurde als sänger enttarnt. der zweite rollte / in wittenberg aus dem weinfass, machte / als bibelhändler karriere. der dritte ging in / den wald, sah eichen und tannen zu zedern / und palmen emporwachsen, glaubte dem / paradiesvogel zu lauschen. bis er als mönch / zurückfand, vergingen tausend jahr’.“
Mit solchen Königen sind keine gewaltigen Schlachten zu gewinnen, ist kein Land zu verteidigen, ist nur wenig Staat machen. Nicht überraschend heißt es daher im anschließenden Text: „der könige müde, doch unverzagt, / nahmen die slowenen matjaz corvinus / gefangen und schlossen ihn in einen / berg ein, für bessere zeiten, zur not.“ Einer slowenischen Sage nach wartet der König im Inneren eines Berges, im Grenzgebiet zwischen Kärnten und Slowenien, mit seinen Getreuen auf die letzte, entscheidende Befreiungsschlacht. Die Slowenen, so Haderlaps Gedicht, spielen ein wenig mit dieser Idee. Lieber aber als der königlichen Macht bedienen sie sich der Kraft der Sprache. Mit ihrer Hilfe schaffen sie ein Staatswesen, geben sich eine Identität: „während andere / kriege führten, rollte ihre sprache / die landzungen aus, markierte die raine […].“
Haderlap versteht es meisterhaft, das Thema Sprache von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Kritische Töne, die auf die Lage der slowenischen Minderheit im heutigen Kärnten anspielen, sind dabei überdeutlich. Der „rivale als nachbar“ wird in einem Text als der Sprachfeind ins Bild gesetzt: „er kam, um zu werten, zu / zählen und fand ihre anzahl kaum einer menge / wert.“ Der Übermacht solcher Nachbarn haben die Slowenen nichts als „Satzlanzen“ – eine von vielen überraschenden Wendungen in den Texten – entgegenzusetzen. Ihre „verwehrte Sprache“ konnten sie damit im Grenzland nicht wirklich retten.
Das erste Kapitel des Gedichtbands trägt den Titel beinah nach hause und liest sich wie eine vorsichtige Annäherung der Autorin an Slowenien. Sie kreist mit der Nennung von italienischen Städten und mit Orten in Slowenien ihre engere Heimat im Grenzland zu Kärnten ein. So führt das Anfangsgedicht in die romantisch anmutende Hafenstadt Sloweniens, nach Piran. Es entwirft aber nicht so sehr ein Bild des Adriastädtchens, sondern stellt die Situation der Autorin, der Dichterin, wie es im Text heißt, in den Mittelpunkt. Mit Piran hat sie einen Ort gewählt, der in den Reisemonaten von Besuchern überquillt und von Urlaubstrubel erfüllt ist. Die Schreiberin nimmt dieses laute Leben wahr, ist aber nur Beobachterin: „im nachbar haus ist ein kommen und gehen, / mich aber hält der spindelbaum von den blicken fern.“
Das Reich der Dichterin sind nicht die lauten Plätze der Stadt, sondern ist der verwachsen-romantische Garten voller „katzen, kröten und schnecken“. Auf ihrem Schreibtisch lässt sie Personen und Dialoge entstehen und gegen ihre Einsamkeit erfindet sie eine märchenhafte Situation: „heute wird eine kröte die warzen verlieren, / weil ich sie küsse“. Der Prinz wird wie im Märchen herbeigeträumt. Die schöne Liebe existiert allerdings nur auf dem Papier. Denn die Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Autorin inmitten des Piraner Sommerlebens werden durch die märchenhaft-romantischen Einschübe nicht verändert. Das Gedicht schließt mit einer Zeile, die wenig verheißungsvoll klingt: „wieder fällt eine tür ins schloss.“
Dichten und Schreiben mitten im vollen „Menschenleben“ und gleichzeitig aus der Distanz, wie in einer Dichterklause aus natürlicher Umgebung, selbstgewählter Einsamkeit und fantasievollem Beobachten, – nur so, so scheint Haderlap mit ihrem Eingangsgedicht den Lesern sagen zu wollen, kann sie mit der „alten Verstörung“ des Verlusts der Muttersprache literarisch-dichtend „fertig“ werden. Worin die „alte Verstörung“ wirklich besteht, wird beim Lesen der Texte zunehmend klarer: in der Heimatlosigkeit, Zweisprachigkeit, Entwurzeltheit, nicht nur in einem örtlichen, sondern auch in einem existentiellen Sinn. Es ist eine Grenzlandsituation, eine Trennlinie zwischen ihr und den anderen, zwischen hier und dort, jetzt und damals, zwischen Kärnten und Slowenien, einer Minderheit und der großen Masse, zwischen Nähe und Fremdheit.
Die unsichere Grenzlage und die damit verbundene Sprachproblematik hinterlassen im lyrischen Ich tiefe Spuren der Verunsicherung im Umgang mit anderen Menschen, vor allem solchen, die ihm nahe stehen. Das ist in dem Kapitel mit der Überschrift haus der liebe zu spüren. „im haus / der liebe baut jeder sein eigenes häuschen“, heißt es dort. Und ein paar Zeilen später wird die innere Entfremdung zwischen den Liebenden deutlich: „du kannst mich / kaum ausfindig machen, so fern bin ich dir.“ Fremdheit, Vereinsamung und Enttäuschung durchziehen diese „Liebesgedichte“. Der Umschlag von einer eher romantischen oder alltäglichen Stimmung in eine Situation, in der die Liebe verloren zu gehen droht, geschieht manchmal nur in wenigen Verszeilen oder in Andeutungen. Diese Zeilen sind dann besonders eindringlich und wirken wie sperrige Fremdkörper, die alle Liebesträume zerstören. So heißt es in einem Text: „sobald du erscheinst, werden die kinder / aus der dämmerung treten und unsere namen / rufen: duundich duohnemich ichohnedich“.
Das letzte Gedicht dieses Kapitels über die (gefährdete) Liebe setzt noch einmal einen besonderen Akzent. Es ist im turm überschrieben und schildert in eindrucksvollen Bildern die Situation einer Frau, die sich nachts in eine Rolle hineinträumt, in der sie Männer, „eingesperrt in käfigen“, sexuell beherrschen kann. Sie selbst aber ist in Wirklichkeit auch eine Eingekerkerte. Die Liebe ist für sie wie ein Turm, wie ein Verlies. Sie ist gefangen durch ihre Liebe. Zu ihrem Liebhaber, der ihre „Schränke […] mit /, schierlingskraut, salbei, kamille“ füllt, spricht sie hilflos-verzweifelt: „hältst mich mit dattelgebäck ab / aus dem fenster zu schauen, / woher der lockruf tönt.“
Erst im Laufe der Lektüre der Gedichte erschließt sich die volle Bedeutung des Titels langer transit. Die Grenzsituation, der Übergang von einem Bereich in einen anderen werden in den Gedichten als existentielle Erfahrung überhaupt dargestellt: Grenzsituationen mit ihren Begleiterscheinungen der Verstörtheit durch den Verlust des Vertrauten und der Fremdheit des Neuen, des Anderen. Das kann man gut am vorletzten Kapitel des Bandes erkennen. Er trägt die Überschrift das unsichtbare mädchen und enthält sechs Gedichte, die das Großwerden eines Mädchens thematisieren. Es ist ein „transit“ voller Unsicherheiten und Risiken.
Das erste Gedicht dieser Reihe beschreibt mit Wörtern wie „haarspangen und reifen“, „tüllkleid“, „aufgebrochenen schneckenhäusern“, „malzbonbons“ und dem „ersten, umständlich beschriebenen blatt mit krakeliger schrift“ die kindliche Welt des „unsichtbaren mädchens“. Es ist die vertraute Welt eines Kinderzimmers. Diese Vertrautheit wird dann in der Schlusszeile mit einem Male, ohne Vorankündigung, erschüttert: „nur den namen vergiss, der meint nicht sie.“ Aus dem „sichtbaren“ Mädchen wird durch die Tilgung seines Namens – ein fast magisch-mysteriöser Vorgang – ein „unsichtbarer“ Mensch. Das Mädchen mit den „haarspangen und reifen“ verschwindet aus den Augen des Lesers: ein verschreckender „transit“. Ein solcher Vorgang der Veränderung ist beängstigend, birgt aber auch die Chance für Wunderbares.
Zeilen wie die folgenden enthalten beides, das Verstörende und das noch unentdeckt Neue: „du batest den nachbarjungen / um einen tanz, er wählte die andere. hätte er dich / in den arm genommen, aus deiner lippe wäre ein baum / hochgeschossen mit blüten, die tag und nacht / bersten. wärst du ein wunderbaum, mädchen, / hättest dich selber als wunsch abgeworfen. ins gras, / auf die wiese mit dir, mädchen, mein mädchen!“ Anders vielleicht als in den Gedichten über die Sprache scheint der „transit“ des Mädchens zu gelingen. Das letzte Gedicht dieser Reihe spricht vom „entfesselungstag“ des „unsichtbaren mädchens“: „ich höre dich kommen, während ich / das mädchen loslasse. du schulterst mich, / trägst mich zum festlich gedeckten tisch, / streichst mir das kind aus dem gesicht, / fütterst mich wie eine braut.“ Nur der nicht überhörbare, eher leise als laute, ironische Unterton stellt den „transit“ dann doch wieder in Frage.
Der Gedichtband endet mit zwei Texten, die dem schmerzlichen und, zuweilen wenigstens, schwierigen Verwandlungsprozess der Ich-Schreiberin eine neue Stimme verleihen: eine zornige Uneinverstandenheit und Auflehnung gegen das Schicksal, ein trotziges „nun ist es genug“. Das Reden ist für sie jetzt – mit einem Mal – ein Reden mit Sätzen, die „haken“ haben, „stachelige worte und stiele“, die dem Gegenüber „grob in die ohren fahren“. Vom „distelkopf“ spricht sie, von Tarnung und Widerborstigkeit. Es ist die Stimme der Rebellion. Es scheint, als sei der „lange transit“ so oder so zu einem Ende gekommen, als habe die Schreiberin ihr Los als Angehörige einer Minderheit nicht einfach akzeptiert, sondern dieses Geschick in eine Situation verwandelt, aus der heraus sie Widerstand leistet, aneckt, mit Worten nachhakt und, wenn es sein muss, angreift und „nachtritt“.
Nicht umsonst heißt die Überschrift des den Band abschließenden Gedichts zornkraut. Es ist ein Gedicht voller „gift und galle“, ein Gedicht der Auflehnung, der Nichtanpassung, des Neinsagens, des Zurückschlagens, ein Text, in dem sich die lang aufgestaute Wut über die diskriminierende Behandlung durch die Mehrheit, über ungerechtfertigte Zurücksetzungen und Benachteiligungen Bahn bricht. Das Gedicht schlägt einen Ton an, der auffällig mit der Melancholie und der „stillen Klage“ über den Verlust der Identität in anderen Texten kontrastiert: „ich bin ein mieses kraut geworden, / niederträchtig, infam und sehr gewöhnlich. / das ist das gemeine an meiner gemeinheit.“
Die letzten Zeilen des Bandes setzen ein starkes Zeichen, das in seiner ungeschminkten Wortwahl über den Gedichtband hinaus eine politische Wirkung entfalten kann. Auf jeden Fall sind es Verse, die für die Schreiberin wie eine Befreiung wirken und für ihre Selbsterhaltung wichtig sind. Ohne diesen Zornausbruch drohten Selbstverlust und Verlorenheit. Nur ein paar Gedichte weiter vorn stehen Zeilen, die von der drohenden Gefährdung des Ich handeln. Das Gedicht mit der Überschrift lichtnelke augentrost ehrenpreis beschreibt das Gefühl des Ich beim Anblick der Wiesen ihrer Kindheit. „ich habe die / namen aller gewächse vergessen, / die mich durchströmen“, heißt es da. Und der Schluss liest sich wie eine Zusammenfassung der Fragen, die die Autorin in ihrem Buch immer wieder stellt: „werde ich sie [die Blumen] erkennen oder ins / schweigen zurückbuchstabieren? / wird sich die wiese an mich erinnern, / werden die blumen meinen namen wissen? / ich werde ins hohle stürzen. / die wiese wird mich ersetzen.“
Maja Haderlaps erster Gedichtband auf Deutsch besticht durch das facettenreiche Thema der Zweisprachigkeit, die bildhafte Sprache und den klugen Aufbau. Die Autorin schickt die Leser auf eine Sprach-Reise in die Innenwelt eines Menschen, der zu einer Minderheit gehört, Grenzlandbewohner ist, sowohl sprachlich wie gesellschaftlich in der Fremde zu Hause ist. Die Reise ist spannend, beeindruckt durch die Vielfältigkeit der Blickpunkte und wirkt in der Phantasie der Leser nach. Slowenien wird in den Gedichten zu einem Land der Kindheit, einem Sehnsuchtsland, einem Land, das verloren gegangen ist, aber in den Gedichtzeilen wiederersteht.
Die Gedichte enthalten auch Hinweise auf die Biografie der Autorin und spiegeln ihre Erfahrungen als Kärntner-Slowenin. Erst vor wenigen Jahren veröffentlichte Haderlap ihren ersten Roman auf Deutsch: Engel des Vergessens. In seinem Mittelpunkt steht ein Mädchen, das im Grenzland zu Slowenien aufwächst und dessen Kindheit immer noch stark von den schlimmen Geschehnissen im Zweiten Weltkrieg, unter denen ihre Familie zu leiden hatte, geprägt ist. Der Roman wurde in Österreich zu einem großen Bucherfolg. Der Gedichtband langer transit handelt schließlich auch – kein unbedeutender Aspekt – vom Schreiben. Der Verlust der Muttersprache und das erzwungene Erlernen einer zweiten Sprache sind für eine Schriftstellerin einschneidende Erfahrungen, die für ihre künstlerische Ausdruckskraft Risiken in sich bergen, aber auch Chancen. Die akribische Suche nach dem richtigen Wort, die Sensibilität für Sprachrhythmus und Vers- und Satzstruktur und das Wissen um das Wesen des Schreibens, seines Scheiterns wie seines Gelingens, gehören in besonderer Weise zu jemandem, der zweisprachig denkt, schreibt und lebt. Das merkt man den Texten in jeder Zeile an und es macht die Lektüre der Gedichte zu einem nachdrücklichen Erlebnis.
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