Von Hipstern und Ökos, Nazis und Flugzeugen

Thilo Bock porträtiert das Tempelhofer Feld

Von Daniel LucasRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Lucas

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vorweg eines: Die schlechte Angewohnheit, jeder Neuerscheinung ein eigenes Label zu geben, hat sich offenbar auch auf dem Buchmarkt durchgesetzt. So untertitelt der Berliner Fuchs & Fuchs-Verlag, welcher für sein Programm mit einem kleinen, dafür aber gut gestalteten Katalog wirbt, sein erstes Buch nach der Verlagsgründung im Frühjahr auch gleich als „Freiluftroman“. Vieles spielt in diesem Buch an der freien Luft, ein Roman ist es aber sicher nicht. Zu kurz, zu unterkomplex ist es für dieses Genre. Tatsächlich mag man es eher eine Erzählung nennen, eine Erzählung in Episoden. Dargestellt werden 15 Tage, nicht direkt aufeinanderfolgend, sondern exemplarisch, in 15 Kapiteln, dazu ein Prolog und ein Epilog. Kurz: „Tempelhofer Feld“ ist kein Roman und mit dieser Gewissheit sollte man dieses Buch des Berliner Literaturwissenschaftlers Thilo Bock in die Hand nehmen.

Die Geschichte selbst ist schnell erzählt: An seinem vierzigsten Geburtstag folgt Sven aus einer Laune heraus der Studentin Luis von der U-Bahn bis auf das Tempelhofer Feld. Dort begegnet er seiner Heimatstadt aufs Neue, lernt ihre Bewohner im Mikrokosmos des städtischen Naherholungsgebiets noch einmal neu kennen und beginnt sein Leben erneut zu reflektieren: seine Stelle als Bibliothekar, die nie absolvierte Promotion. Doch der geplante Versuch, das Leben von vorn zu beginnen, soll ein Ausbruch auf Zeit bleiben. Auch die eingearbeitete Geschichte des Tempelhofer Feldes, wie sie in Gesprächen oder Traumsequenzen nacherzählt wird, unterstützt diese Stimmung: Die Geschichte schreitet voran – und das zumeist anders als gedacht.

Was Bock in „Tempelhofer Feld“ betreibt, ist eine Sozialstudie anhand von Stereotypen. Er porträtiert eine Jugend, die akademisch gut ausgebildet, aber intellektuell verarmt ist, in der alles ‚irgendwie postmodern’ ist und nichts Beständiges eine Chance hat. Er schreibt über Ökos, die sich im urban gardening versuchen, und über die Allgegenwärtigkeit des Nationalsozialismus in der Berliner Stadtplanung. Er porträtiert auch eine Stadt, die mehr mit ihrer Selbstdarstellung als mit ihrem Selbstverständnis ringt und die ein permanentes Provisorium des affektierten Narzissmus ist, wo einheimischer Charme nur das folkloristische Beiwerk für die Zugewanderten darstellt.

So ist es auch nicht erstaunlich, dass die Hauptfigur der einzige Charakter mit Tiefe bleibt. Alle anderen Figuren bleiben Statisten und alles, was es über sie zu erzählen gibt, steht in Relation zu Sven. Und so ist es auch lediglich der Held dieser Geschichte, der sich entwickelt, wenngleich diese Entwicklung eine zirkuläre ist. Es ist eine Midlife-Crisis, die sich ganz im Stil der Jugend abspielt, auf die sie rekurriert: relative Freiheit, Eskapismus mit Handbremse und am Ende immer der Blick auf die bürgerliche Existenz. Und so verläuft auch diese Entwicklung im Kreis und verstetigt sich schlussendlich in ihrem Ausgangspunkt, der Rückkehr in die bürgerliche Gegenwart; die Erfahrung eines Sommers verbleibt nur als nostalgische Erinnerung ohne Einfluss auf die Lebensführung.

Bocks Erzählstil, der den Übergang von Träumen und Wachen oftmals nur unscharf markiert, wird dort gut, wo er die Grenze des Surrealen streift. Ansonsten stört die reihende Syntax oftmals den Lesefluss. Kurze Sätze, deren stilistische Bedeutung oftmals nicht klar wird, prägen etwa den Bericht vom ersten Tag: „Oder anders. Flashback ins Now. Back to the Gegenwart. Direkt in den Sommer.“ Es muss jedoch angemerkt werden, dass sich diese Auffälligkeiten im Kontext des Gesamtwerkes relativieren, wenn gut geführte Dialoge in den Vordergrund treten und den Traumsequenzen mehr Raum geboten wird.

Bocks drittes Buch ist zugleich das Debüt eines neuen Verlages. Und wenn sich der Katalog von Fuchs & Fuchs so weiterentwickelt, mag man dem Verlag durchaus eine Zukunft wünschen. Denn auch, wenn „Tempelhofer Feld“ sicher kein Jahrhundertwerk ist, so ist es doch ein interessanter Beitrag zur Entwicklung einer Gesellschaft, für die alles nur irgendwie stattfindet. Eine Beschreibung von Individualisierung als Stereotypisierung, weg von der Subkultur hin zu der konsumorientierten Alternativkultur. Es ist ein Hinweis auf eine Entwicklung, ohne dass dazu präzise Stellung genommen wird, zumal der Stil doch eher beschreibend als wertend ist. Und das macht den Charme dieses Buches aus; trotz pomo, Jutebeutel und Club-Mate.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Thilo Bock: Tempelhofer Feld. Ein Freiluftroman.
Fuchs & Fuchs Verlag, Berlin 2014.
206 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783945279014

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