Einklang von Himmel und Erde

Barbara Schedls Einführung in die Welt des St. Galler Klosterplans

Von Ralf G. PäslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf G. Päsler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer Großes baut, lenkt nicht nur die Aufmerksamkeit auf sich; wer Großes baut, zeigt auch, dass die nötigen Fertigkeiten und Mittel vorhanden sind. Heutzutage werden derartige Projekte von internationalen Architekturbüros nach Maßgabe des Bauherrn ausgearbeitet und durchgeführt. Diese Büros verfügen über das hierfür erforderliche Wissen. Vor zwölf Jahrhunderten gab es zwar noch keine Architekturbüros, aber die Ambitionen der Bauherren waren ebenso große. Davon zeugen nicht allein die Bauten jener Zeit, die sich bis heute erhalten haben, sondern auch der sogenannte St. Galler Klosterplan – ein in dieser Form wohl einzigartiges Dokument.

Nach intensiven eigenen Studien in einer international besetzten Forschergruppe hat die Autorin es unternommen, eine auch auf den Nicht-Fachmann zielende Einführung vorzulegen. Es sei vorweggenommen, dass ihr dies voll und ganz gelungen ist. Übersichtlich werden die wichtigsten Stationen der etwa 400jährigen Forschungsgeschichte, deren Fragestellungen und Ergebnisse, rekapituliert. Ausgehend von eingehenden Beschreibungen werden dann die jüngsten Erträge vorgestellt.

Dies beginnt mit einem virtuellen Rundgang durch den Plan, der die einzelnen Elemente, das heißt Gebäude, Wege und so weiter, und ihr Verhältnis zueinander erläutert. Erleichtert wird die Orientierung durch marginal angebrachte Piktogramme des Plans, auf denen der jeweils besprochene Teil hervorgehoben ist. Schon hierbei wird deutlich, dass der Plan keine ad-hoc-Zeichnung ist, sondern wohl durchdacht und dass vermutlich in einem diskursiven Verfahren verschiedene Einzelkonzepte in Einklang gebracht werden sollten, wie zum Beispiel die allgemeinen Vorstellungen von Ausrichtung und Bau einer Kirche, einer dazugehörigen Klausur für die Mönche, Gästebereiche und vieles mehr. Die Benediktinerregel war der Maßstab, an dem gemessen wurde.

Der nächste Schritt ist die exakte materielle Beschreibung des Plans, das heißt der Pergamentblätter, aus denen er zusammengesetzt ist, in welcher Lage und Reihenfolge sie miteinander verbunden, mit welchen Sticharten sie befestigt wurden und nicht zuletzt, wie die Beschriftung erfolgte. So wird aufgedeckt, dass der Plan in mehreren Schritten entstand, Änderungen erfuhr, zum Teil auf Vorzeichnungen basierte, die auf ihn übertragen und gegebenenfalls ein weiteres Mal auf dem Plan selbst geändert wurden. Verschiedentlich wurden Vorzeichnungen – auch mit Blindlinien – eingetragen, dann aber nicht immer ausgeführt. Mehrere ganzseitige, farbige Abbildungen helfen auch hier, die Orientierung zu wahren.

Aus all dem lässt sich ansatzweise der oben genannte Diskussionsprozess rekonstruieren. Ziel war es, die irdischen Bedürfnisse mit den himmlischen Versprechungen in Einklang bringen und zu zeigen, dass die irdische der himmlischen Ordnung folgt, dass die irdische Ordnung Verweisungscharakter auf die himmlische Ordnung hat. Der Klosterplan ist somit nicht als konkreter Bauplan anzusehen, sondern Anregung für spätere Vorhaben. Darauf weist auch die Widmung hin.

Ein letzter Schritt stellt den Plan in sein kulturhistorisches Umfeld. Zwar bleiben auch hier noch Fragen offen, doch soviel wird deutlich: Sehr wahrscheinlich holte man sich zum Ausbau der Abtei St. Gallen Rat – und zwar auf der Reichenau, denn dort ist der Plan entstanden.

In einem Zusatzkapitel erläutert Karl Brunner, wie es im 12. Jahrhundert zur Aufzeichnung der Martinslegende auf der Rückseite gekommen ist, um welche Version es sich handelt und welche Spuren von hier in die St. Galler Bibliothek führen.

Insgesamt gelingt es der Autorin, die Fülle der Informationen komprimiert und übersichtlich darzustellen. Vielfache Anknüpfungspunkte in den Kapiteln erleichtern das Verständnis. Das dem Band beigegebene Faksimile des Klosterplans ist nur circa halb so groß wie das Original. Angesichts der Fülle des zu Entdeckenden ist dies eine starke Reduzierung. Größtes Manko des Faksimiles aber ist die sehr grobe Auflösung, die es nahezu unmöglich macht, Einzelheiten zu erkennen. Dies wird man jedoch kaum der Autorin als vielmehr dem Verlag und seiner Kalkulation anlasten müssen. Der Text bietet eine sehr gute Hinführung zu einem faszinierenden Thema.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Barbara Schedl: Der Plan von St. Gallen. Ein Modell europäischer Klosterkultur.
Böhlau Verlag, Wien 2014.
146 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783205795025

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