Schwieriges Geschäft
Liebesratgeber erfreuen sich großer Beliebtheit. Ein näherer Blick lohnt sich, wie die von Sylka Scholz, Karl Lenz und Sabine Dreßler herausgegebenen Untersuchungen von populären Ratgebern seit 1950 zeigen
Von Walter Delabar
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass die Liebe ein schwieriges Geschäft ist, ist wohl allenthalben bekannt, auch wenn die Ansichten, was denn Liebe sei, sich nicht nur in den Zeiten gewandelt haben, sondern auch die Bedeutung von Liebe breit gefächert ist. Nimmt man die populären Liebesaufrufe, wird jene Phase emotionalen Aufruhrs, in denen Paare gebildet werden, zur Zentralstelle in den verschiedenen Bedeutungsclustern von Liebe. Dagegen gehören jene Ebenen, in denen sich ehemalige Liebespaare mit dem Dilemma herumschlagen, aus der extraordinären Zuordnung eine ordinäre Zweierbeziehung zu bilden und vielleicht sogar zu stabilisieren, zu den weniger attraktiven Phasen. Warum auch immer Paare gebildet werden und stabil bleiben (und umgekehrt), dass dieses Thema innerhalb der heutigen Gesellschaft eine zentrale Position hat, ist nicht zu leugnen. Dass zudem Liebe harte Arbeit nach sich zieht – die glorreichen Siebziger nannten das Beziehungsarbeit – ist mittlerweile gleichfalls allgemein bekannt.
Die Dynamisierung gesellschaftlicher Strukturen seit dem 19. Jahrhundert mag die Bildung von Paaren weiter problematisiert haben. Wieso sollte auch die kleinste Form gesellschaftlichen Zusammenlebens nicht davon berührt sein, wenn rundherum gesellschaftliche Großformen atomisiert werden? Die Moderne bringt mithin, um ein Diktum Jürgen Habermas‘ zu variieren, nicht nur die Befreiung der Subjekte und der interpersonalen Beziehungen mit sich, sondern bindet sie zugleich in neue Zwänge ein. Orientierung wird unter solchen Bedingungen eine der wichtigsten Überlebensstrategien, auch wenn Orientierung bestenfalls mittelfristige Haltbarkeit haben mag.
Aus diesem Grund erfreuen sich Ratgeber generell – und Liebesratgeber insbesondere – ungebrochener Beliebtheit. Und hierbei vor allem die beiden Themen betreffend, in denen Souveränität ein seltenes Gut ist: in der libidinösen Zuneigung wie in der elterlichen. Beide Themen haben Sylka Scholz, Karl Lenz und Sabine Dreßler in einem Band zusammengefasst und einschlägige Ratgeber von den 1950er-Jahren bis heute auf ihre Hilfe in Sachen Zweierbeziehung und Elternschaft untersucht.
Die Einzelstudien, die durch eine systematische und methodische Einleitung begleitet werden, gehen systematisch vor und arbeiten die Differenzen zwischen christlichen und romantischen Deutungsmustern heraus. Sie stellen die Frage nach der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern, die Konstitution von Geschlechterrollen, die Liebessemantiken, begründen die Spiritualisierung von Sexualität und diskutieren den Einfluss der Hirnforschung auf die Liebesratgeber. Bei den Elternratgebern werden Weiblichkeitskonstruktionen, die Neudefinition der Vaterrolle, die Zuspitzung der Eltern-Kind-Beziehung und – wohl als Extremexempel – die Konstruktionen im Evangelikanismus behandelt.
Es kann dabei kaum überraschen, dass die Ratgeber der 1950er-Jahre aus heutiger Sicht weitgehend konventionell und traditionell agieren: Die soziale, emotionale und sexuelle Unterordnung der Frau ist hierbei ebenso die Norm wie die Suprematie des männlichen Geschlechts. Beide werden allerdings nicht als Rollen, sondern als wahlweise natürlich oder gottgeben verstanden. Dasselbe gilt für die Eltern-Kind-Beziehung, die von der mütterlichen Dominanz bestimmt ist. Ganz anders heute: Die Veränderungen der letzte 50 bis 60 Jahre sind recht weitgehend: Partnerschaften haben die Ehe als zentrale Institution abgelöst. Die Variationsmöglichkeiten, in denen Paarbeziehungen gelebt werden können, sind groß und haben sich von der Ehe als exklusive Anstalt gelöst. Selbst die Beziehung von Elternschaft und Ehe habe sich umgekehrt, so der Tenor der Studien: Kinder werden mehr und mehr zum Grund, eine Ehe zu schließen. Die Ehe ist keine Voraussetzung mehr für Kinder wie eben in den 1950er-Jahren.
Auffallend ist, so ein Ergebnis des Bandes, dass die Liebesratgeber sich nahezu ausschließlich auf heterosexuelle Paare beziehen und – wenn man den Untersuchungen des Bandes folgen darf – eine Rekonstituierung geschlechtsspezifischer Rollenbilder in den Ratgebern erkennen lässt. Offensichtlich muss das Feld bereinigt werden, um überhaupt eine Orientierung möglich zu machen.
Womit wir eben auch bei den Grenzen des Bandes sind oder anders gewendet, bei den Aufgaben, die er für die weitere Arbeit stellt: Da ist zum einen sein merkwürdiger Gebrauch von romantischer und sachlicher Liebe. Das romantische Muster wird demnach um 1800 gebildet, das sachliche nach 1925 im Rahmen der Neuen Sachlichkeit. Beide Konzepte werden umstandslos gegenübergestellt, so dass ihr Charakter ein wenig zu absolut gerät.
Dass sie in ihrer Entwicklung eng zusammenhängen, kann aber kaum bezweifelt werden: Die Entwicklung der empathischen Zuneigung zwischen Liebenden innerhalb der Ehe ist eine, vielleicht nicht originäre, Erfindung des 18. Jahrhunderts, die seitdem vielfältigen Wandlungen ausgesetzt war, immer in enger Korrespondenz mit den korrespondierenden Verhältnissen. Eine davon ist das neusachliche Liebeskonzept, das sich mit einer Reihe von Problematiken auseinanderzusetzen hatte: mit dem Zerfall der männlichen Rollenkonventionen, den gestiegenen Erwartungen auch an Frauen, dem Zerfall der bürgerlichen Familienkonstruktion und nicht zuletzt mit der wachsenden Bedeutung des Individuums als Regelungsinstanz. Damit einher ging allerdings auch das, was man vielleicht Entbindung des Begehrens nennen kann: Sexuelles Begehren wird als subjektive Erfüllung gedacht und koppelt sich mehr und mehr von einem singulären Gegenüber ab.
Die Liebessemantik reagiert darauf unmittelbar: mit dem neusachlichen Liebeskonzept, das sich mit der widersprüchlichen Situation im frühen 20. Jahrhundert arrangiert, mit dem Verfall der Liebespassion und mit der Totalisierung der Liebesthematik in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen, vor allem aber in allen gesellschaftlichen Erzählungen.
Das lässt eben auch darauf schließen, dass in den Ratgebern eben nicht nur die jeweiligen zeitgenössischen Denkmuster und Haltungsformen rekonstruiert und weitergeschrieben werden, sondern dass sie auf ein massives Orientierungsproblem reagieren. Die Konstruktion von Paarbeziehungen und Elternschaft dient dazu, den Einzelnen die Selbstorientierung zu erleichtern, was gerade dann von Vorteil ist, wenn Erfahrung im Kurs massiv gefallen ist, wie Walter Benjamin im Erzähleraufsatz formulierte. Was nichts anderes heißt, als dass die Erfahrung an Haltbarkeit massiv eingebüßt hat – was wir selbstverständlich alle wissen.
Ein zweiter Blick auch auf die 1950er-Jahre würde sich allerdings lohnen: Wir sind daran gewöhnt, die 1950er-Jahre der Bundesrepublik als Restaurationsphase zu sehen und den Konfessionen einen großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben einzuräumen. Gerade dieses Bild wird jedoch in den letzten Jahren kräftig revidiert, was die untersuchten Ratgeber vielleicht in ein anderes Licht stellt als eine allzu schnell attestierte Homologie zwischen Restauration und Liebeskonventionen. Um diese Überlegung mit einem kleinen anachronistischen Rekurs abzuschließen: In der vor kurzem im deutschen Fernsehen angelaufenen Serie „Masters of Sex“ müssen sich die biederen 1950er-Jahre quasi selbst aufklären. Bürgerliche Wissenschaftler (William Masters vor allem und Virginia Johnson) untersuchen die Sexualpraktiken ihrer Zeitgenossen (was in der deutschen Synchronisation auch einmal „Schweinkram“ genannt wird), um mit dem damit gewonnenen Wissen ihre Zeitgenossen über den Ablauf des Sexualakts und die Potenz von Männern und Frauen aufklären zu können. Was, bliebe da zu fragen, stimmt hier nicht?
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