Von Frauen für Frauen verfasst?

Neue Perspektiven auf das Werk von Sophie von La Roche und Bettine von Arnim in Miriam Seidlers und Mara Stuhlfauths Band „Ich will keinem Mann nachtreten“

Von Linda MaedingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Linda Maeding

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Rollen werden Sophie von La Roche in der deutschen Literaturgeschichte zugeschrieben: Sie gilt als Freundin von Christoph Martin Wieland, als Familienoberhaupt der Brentanos und als erste deutsche Frauenschriftstellerin. Diese für sich genommen legitimen Zuschreibungen, mit deren Rekapitulation die Herausgeberinnen den vorliegenden Sammelband eröffnen, haben etwas gemein: Das Schreiben der Autorin bleibt dabei stets „zweitrangiges Phänomen“.

Miriam Seidler und Mara Stuhlfauth bündeln in „Ich will keinem Mann nachtreten“ neue Perspektiven auf La Roche und ihre Enkelin Bettine von Arnim, die sich vornehmen, die rezeptionsgeschichtlich tradierte Vereindeutigung beider Werke zu durchkreuzen. Weder der Blick auf die Großmutter als „die geistige Ahnfrau jener süßlichen Frauengeschichten“ – so Joseph von Eichendorffs Wertung – noch Bettines Popularität als „Vorzeigeromantikerin“ und „Goethe-Verehrerin“ würden dem jeweiligen Werk gerecht. Dass sich die Herausgeberinnen in ihrem Plädoyer für eine Erweiterung rezeptionsgeschichtlich festgefahrener Bahnen auf einen biographischen Ansatz berufen, ist angesichts der Bedeutung der gesellschaftlichen Selbstverortung der beiden Autorinnen und Briefeschreiberinnen durchaus angebracht.

Die Beiträge in diesem Band lassen ein differenziertes Bild von der Literatur als Medium der Selbstdarstellung, von Parallelen und Unterschieden im Schreiben La Roches und Bettine von Arnims entstehen. Insbesondere die Einleitung gibt einen konzisen Einblick in das komplexe Verhältnis von „weiblichem Schreiben“, gesellschaftlicher Konvention und Rezeptionsvorgaben. Beiden galt das Schreiben von (fiktiven oder fiktionalisierten) Briefen als Einstieg in die Literatur, beide führten wichtige Brieffreundschaften und wurden erst nach der Elternphase literarisch produktiv. Doch während sich Bettine auf das Vorbild ihrer Großmutter berufen konnte, mangelte es La Roche an weiblichen Schreibmodellen. Ebenso wie sie ihren zeitweiligen Verlobten Wieland auf dem Weg zum Schriftsteller förderte, wurde jedoch auch sie von ihm zum Schreiben ermutigt. Er war der erste Leser der „Geschichte des Fräulein von Steinheims“, stellte als Herausgeber und Autor eines Vorworts aber auch die Weichen für eine bis heute nachwirkende Rezeptionsvorgabe: Frauenliteratur ist von Frauen für Frauen verfasste Literatur. Wie La Roche sich als Repräsentantin der literarischen Empfindsamkeit diese Leitlinie in ihrem erzieherischen Dienst „für Teutschlands Töchter“ zu eigen macht, wird in verschiedenen Zusammenhängen thematisiert.

Während die Beiträge unter dem Titel „Das Bild der Autorin in der Öffentlichkeit“ La Roches „Celebrität“ in zeitgenössischen Briefen nachgehen und Bettine von Bretanos Briefe als „Medium der Öffentlichkeit“ in Bezug auf Geschlechterrollen lesen, wird in dem Bandabschnitt „Männliches und weibliches Schreiben im Kontrast“ die Genderperspektive durch Vergleiche und Einbeziehung weiterer Autoren (Georg Forster, Jakob Michael Reinhold Lenz, Clemens von Brentano) erweitert. Im Teil „Konstruktion von Vergangenheit und Lebensgeschichte“ wird La Roches Zeitschrift „Pomona“ mit Blick auf ihre Geschichtsbezüge behandelt sowie in einem innovativen Beitrag das „Altern als narrative Schreibkunst“ in ihrem Werk „Herbsttage“ untersucht; kenntnisreich werden zudem Figurationen beider Autorinnen in „konstruierter Familiengeschichte“ nachvollzogen. Schließlich fehlen auch Beiträge zu Goethe als Vorbild und literarischer Gesprächspartner nicht – analysiert werden unterschiedliche Werke Goethes, La Roches und Bettine von Arnims, wobei hier die von Nadja Müller aufgeworfene Frage nach möglichen Unterschieden in „männlichen“ und „weiblichen“ Modellen von Empfindsamkeit das Interesse an weitergehenden Untersuchungen weckt.

Flankiert werden die literaturwissenschaftlichen Beiträge von Barbara Becker-Cantarinos Ausführungen zur bürgerlichen Familie, die Lebenswege wie die von La Roche und Bettine von Arnim ebnete: Die Autorin nutzt Bourdieus Feldtheorie, um den sozialen Aufstieg der La Roche-Brentanos im 18. Jahrhundert zu erörtern und zeigt, dass die „Häuslichkeit“ der Frauen das kulturelle Kapital einbrachte, das diesen Aufstieg erst mit ermöglichte.

Auf eine Linie bringen lassen sich die einzelnen Kapitel nicht – dafür sind die jeweiligen Fragestellungen zu unterschiedlich. Doch zeigen sie, dass Eichendorffs abschätzige Beurteilung der Schriftstellerinnen auch heute noch zu Korrektur und Auseinandersetzung anregt.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Miriam Seidler (Hg.): Ich will keinem Mann nachtreten. Sophie von La Roche und Bettine von Arnim.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
278 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783631636305

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