Die zerfetzten Leiber sieht man nicht

Der Film „Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D“ zeigt das Elend des Krieges

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

„Der Sommer war schön wie nie.“ Es ist warm, im belgischen Badeort Ostende tummeln sich die Menschen im Wasser, es ist voll mit Deutschen, die gerne ans Meer fahren. Gestreifte Badeanzüge, spielende Kinder, flanierende Paare. Nur die Zeitungsausrufer stören ein bisschen, wie der Schriftsteller Stefan Zweig im Juli 1914 notiert. Sie berichten vom Attentat auf den Erzherzog und von der Kriegsgefahr. Ach, wird schon nicht so schlimm sein, das hat man schon oft erlebt, und immer gab es noch einen Ausweg. Also kann man sich vergnügen. Und diese neue Erfindung der Flugzeuge zeigt ja auch, dass Grenzen keinen Zweck mehr erfüllen.

Aber es kam anders. Nur wenig später rollten wieder die Züge, voll mit Soldaten. Vier Jahre lang bekämpften sie sich in einem mörderischen Stellungskrieg, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Ein französischer Soldat beschwert sich in einem Brief nach Hause, dass es früher noch Schlachtfelder gegeben hat und richtige Schlachten, wo Mann gegen Mann kämpfte. Jetzt ist der Krieg anonym geworden. Man liegt in den Schützengräben im Matsch, stürmt manchmal blind durch die Gegend, muss sich gegen Giftgas und Granaten schützen. Aber den Feind bekommt man nur selten zu Gesicht. Und wenn, ist er wie man selbst: „Heute wurden Briefe der deutschen Gefangenen gelesen. Warum? Sie schreiben das Gleiche. Sie sind wie wir.“

In beeindruckenden Bildern zeigt der Film „Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D“, der im August den Publikumspreis beim Filmfest Freiburg bekommen hat, das Elend der einfachen Soldaten im Krieg. Der Karlsruher Nikolai Vialkowitsch, Regisseur beim SWR in Baden-Baden, hat seit vielen Jahren stereoskopische Bilder gesammelt, auch vom Krieg. Seit 1880 war die Stereofotografie ein Massenmedium und im Krieg benutzten Pressefotografen und Soldaten diese Technik. Aus den restaurierten und hochauflösend gescannten Fotos hat er eine bedrückende Collage komponiert, ergänzt mit historischem Filmmaterial und neuen Aufnahmen, in denen er über stillgelegte Bahnlinien rollt und durch zugewachsene Schützengräben streift. Ausschnitte aus Briefen und Erinnerungen und eine pathetische Filmmusik von Henrik Albrecht unterlegen den Film. Einmal gibt es sogar ein Foto und einen Film von derselben Szene.

Dem Sog dieser 3D-Bilder kann man sich kaum entziehen. Sie sind, auf eine große Leinwand projiziert, so detailreich, dass man den oft leeren Blick der Soldaten sieht, die Menschen und Kanonen sind so nah, dass man sie fast berühren kann. Manchmal ragen Gewehre oder Baumstümpfe quer ins Bild, der Matsch ist allgegenwärtig und schwappt in den Kinosaal. Dabei wird dem Zuschauer das Schlimmste erspart: Selbst in den Krankenhausszenen sieht man nur die Verbände, die Toten hübsch aufgebahrt – die zerfetzen Leiber, die abgerissenen Gliedmaßen, die herausquellenden Eingeweide sieht man nicht. Es ist aber auch kein ‚richtiger’ Dokumentarfilm, Vialkowitsch spricht selber lieber von einem „Kunstfilm mit dokumentarischem Charakter“.

Während die Sprecher, unter anderem Peter Matic, der Synchronsprecher von Ben Kingsley, und der Schauspieler Miroslav Nemec ihre Texte sachlich und damit eindringlich vortragen, stört das bombastische Pathos der Musik, gespielt vom Filmorchester Babelsberg, nach einer Weile sehr. Störend ist auch die ahistorische und apolitische Haltung des Films, die unterschiedslos die deutsche, die französische und die englische Seite ineinanderblendet. Machthaber, Offiziere, Revolutionäre – das alles kommt nicht vor. Nur am Anfang der Hurrapatriotismus, dann das Elend und endlich die Gräber. Auf deutscher Seite sieht man am Schluss keine Freude. Weil man keine Kraft mehr hat? Oder weil man verloren hat?

Das ist die größte Schwäche des Films, der sich allzu sehr auf das allgemeinmenschliche Elend konzentriert, das der Krieg über die Menschen gebracht hat. Es ist eine Zeitreise, aber eine, in der das Hirn, das Nachdenken ausgeschaltet bleibt und das ist doch schade.

„Im Krieg – Der 1. Weltkrieg in 3D“ (Deutschland 2014)
Regie: Nikolai Vialkowitsch
Darsteller: Sprecher: Peter Matić, Miroslav Nemec, Birgitta Assheuer, Christina Große, Wolfgang Condrus, Max Urlacher, Joachim Schönfeld, Johannes Franke
ab 26.09.2014 im Kino

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