„Kill your darlings“ beim 18. Klagenfurter Literaturkurs

Ein doppeltes Interview mit Maren Kames und Friederike Kretzen

Von Lisa-Marie GeorgeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lisa-Marie George und Katharina GraefRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Graef

Der Klagenfurter Literaturkurs ist seit 18 Jahren das ‚Nachwuchs-Vorprogramm‘ für die Tage der deutschsprachigen Literatur. Neun junge Autoren arbeiten intensiv drei  Tage mit drei Tutoren – in diesem Jahr Friederike Kretzen (Schweiz), Ludwig Laher (Österreich) und Julia Schoch (Deutschland) – an ihren Texten. Das Ergebnis wird am letzten Kurstag öffentlich im Musil-Haus präsentiert.

Maren Kames, eine der diesjährigen Teilnehmerinnen, und die Tutorin Friederike Kretzen erzählen im „doppelten“ Interview unabhängig voneinander über ihre Erfahrung mit Literaturkursen.

Maren Kames im Gespräch mit Katharina Graef und Lisa-Marie George

Sie haben bereits an vielen Wettbewerben für junge Literatur teilgenommen, wie etwa dem open mike in Berlin und jetzt dem Klagenfurter Literaturkurs. Helfen Ihnen solche Veranstaltungen und Programme nachhaltig für das Schreiben?

Das kann man so pauschal nicht sagen, glaube ich. Prinzipiell sollte irgendeine Art von Abgleich im Gespräch stattfinden, das brauche ich auch. Sonst strampelt man zu sehr im luftleeren Raum. Wie genau diese Gespräche dann ablaufen, ist aber von vielen Dingen abhängig. Wenn es klappt und man sich im Gespräch über einen Text treffen kann, ist es ein großes Glück. Die Zweiergespräche, die wir hier geführt haben, waren sehr unterschiedlich, schon vom Ansatz her. Und ich würde sagen, alle drei waren sehr gut, obwohl ich die Tutoren zuvor nicht kannte. Wobei das vielleicht auch gar nicht so wichtig ist, weil der Text als Gesprächsgrundlage reicht oder dann sogar stärker im Zentrum steht. Inwieweit solche Gespräche dann tatsächlich konkreten Eingang in die Textarbeit finden, ist nochmal eine andere Frage. Ein gutes Zeichen ist, wenn man unmittelbar danach nochmal neu Lust bekommt, weiter daran zu schreiben. Das war hier so.

Also sind solche Kurse schon eine Hilfe für Sie?

Ja, selbst wenn sich ein einzelner Text daraufhin nicht sichtbar verändert. Ich hatte hier auch ein Mentorat, das mir nochmal neu bewusst gemacht hat, wie ich arbeite und wie das aufgenommen wird – und dabei meinen eigenen Blick auf den Text justiert hat. Diese Art von Bewusstwerden ist, glaube ich, wichtig, wichtiger als einzelne Details.

Sie haben den Titel Ihrer Erzählung komplett gestrichen nach dem letzten Tutorium und kurz vor der Lesung. Tun solche Entscheidungen weh?

Es gibt im Schreibschulkontext oder in Schreibratgebern so eine Faustregel: „Kill your darlings“. Das war ein Paradebeispiel dafür. Ich habe im Gespräch mit der Tutorin plötzlich verstanden: Das Ding muss raus. Auch wenn es nicht nur ein zentrales Motiv, sondern auch der Titel des Textes war. Es gibt natürlich, auch wenn es einem unmittelbar einleuchtet, trotzdem einen kurzen Trennungsschmerz. Aber man weiß einfach, dass es auf Dauer besser ist.

Der Text, den Sie hier vorgestellt haben, hat viele rhythmische Elemente. Verstehen Sie Ihre Texte eher als Lyrik oder Prosa?

Sie liegen genau dazwischen. Es ist aber auch so, dass ich diese Genrefragen fürs Schreiben zwar oft produktiv finde; um einen Text greifen zu können, sind sie für mich aber völlig zweitrangig. Oder mehr noch, die Einordnung, ob das, was vor einem liegt, jetzt mehr Lyrik, Prosa, Drama oder meinetwegen Essay wäre, ist mir egal. Es kann den Zugang zum Text sogar eher verstellen und ablenken.

Wie wichtig ist denn dann der Vortrag für Ihre Texte?

Sehr wichtig. Das liegt vor allem daran, dass Schreiben bei mir enorm viel mit Hören zu tun hat; und dieses Lesen oder Intonieren vor Publikum, auch wegen der großen Unmittelbarkeit, eine ganz wichtige Art von Umsetzung ist. Ich erfahre beim öffentlichen Lesen oft auch nochmal etwas anderes über einen Text, als wenn ich mich alleine mit ihm auseinandersetze. Das geht so weit, dass ich mich manchmal frage, ob die Texte in ihrer Klanglichkeit auf dem Papier so gut funktionieren wie im Vortrag. Abgesehen davon macht mir das Lesen aber auch einfach Spaß.

Das passt auch zum Bachmann-Preis, der ja ein Lesewettbewerb ist. Ist eine Teilnahme ein Ziel für die Zukunft?

Das finde ich schwierig. Der Gedanke taucht schon auf, wenn man hier beim Literaturkurs ist. Aber ich bin da unsicher. Der Bachmann-Wettbewerb kann potentiell eine unangenehme Veranstaltung sein. Das hat viel damit zu tun, dass man sich vor Fernsehbildschirmen einer ganz anderen Öffentlichkeit aussetzt und der Wettbewerb durch diese Art Öffentlichkeit eine ungewohnte Künstlichkeit oder Überspitztheit bekommt, auch seitens der Jury-Kritik. Man muss hier, glaube ich, noch mehr als sonst eine gute Portion Sicherheit und Vertrauen gegenüber dem eigenen Text mitbringen. Wenn ich die erreichen könnte, würde ich es wohl probieren.

Friederike Kretzen im Gespräch mit Lisa-Marie George

Wie kann man sich den zeitlichen Ablauf beim Literaturkurs zum Bachmann-Preis vorstellen?

Wir Tutoren bekommen die Texte Anfang März anonym zugeschickt. Ich finde es rein soziologisch immer wieder interessant, was da teilweise an Texten eingereicht wird. Oft bin ich alarmiert und in Sorge um die – Gott sei Dank – anonymisierten Autoren und Autorinnen.

Aus je 160 Texten, aufgeteilt zwischen uns dreien, wählen wir ohne weitere Informationen über die Autoren je fünf aus. Dann erst bekommen wir Namen und Daten zu den Personen. Diese 15 der eingereichten Beiträge lesen dann alle drei Tutoren.

Im Grunde ist diese Art Auswahl ein ziemlich großer Aufwand, wir reisen extra an, aber ich bin sehr dafür, es auch weiterhin so zu machen. Dadurch wird die Arbeit verbindlicher.

Inwiefern kann man literarisches Schreiben überhaupt erlernen? Wie funktioniert so ein Schreibkurs?

In Biel gebe ich Mentorate im Master-Studiengang. Zum Beispiel habe ich dort mit Michael Fehr, der dieses Jahr beim Bachmann-Preis liest, zwei Jahre lang gearbeitet. Von ihm habe ich versucht zu lernen, wie man Texte nur durch Hören wahrnehmen kann. Nur hören und dann mit jemandem über den Text sprechen, das habe ich noch nie vorher gemacht. Bei ihm war das nötig, da er aufgrund einer starken Sehbehinderung seine Texte nicht schreibt, sondern spricht. Ich bin ja auch immer tendenziell Schülerin von jemandem, mit dem ich literarisch zusammenarbeite. Denn in der Literatur gibt es kein vorsätzliches Falsch oder Richtig. Das muss sozusagen immer wieder bestimmt und gefunden werden. Ich finde es gut, wenn da etwas korrespondiert. Das muss nicht sofort sein, aber es ist schon ein Kriterium für eine gute Zusammenarbeit.

Beim Klagenfurter Literaturkurs geht es auch um die unmittelbare Nähe zu den Menschen, die die Texte verfasst haben. Durch die gemeinsamen Gespräche zu den Texten sehe ich diese noch einmal anders. Ich finde es toll, nachfragen zu können. Oft steht ja in Texten nicht das, was die Autoren meinen, was da stehen würde. Durch Fragen entstehen oft neue Ideen und Sichtweisen, was der Text auch noch sein könnte, wo und wie er sich anders bewegen ließe.

Sehen Sie eine Gefahr darin, dass man zu enthusiastisch wird durch die Ideen, die sich im Dialog ergeben? Oder ist das Gegengewicht des Gegenübers groß genug, sodass derjenige Sie auch wieder aus seinem Text herausdrängen kann?

Das denke ich schon. Die Autoren sind stur genug oder verstehen auch nicht, was ich ihnen dazu sage, was ich denke, was da anders sein könnte oder was nicht stimmt. Das ist ja auch in Ordnung. Wichtig ist, darüber zu sprechen, den Text zu bewegen, Fragen zu stellen. Dadurch ändert sich der Text vielleicht nicht unmittelbar, dennoch wird er ein anderer. An Maren Kames’ Text gab es bestimmte Elemente, die den Text klein gemacht haben. Da war diese komische Metapher „Alles für Plastik“  viel zu klein für das, was sie da macht. Ich finde den Text wirklich sehr interessant, und er wurde in der Auseinandersetzung noch viel interessanter und ungeheuer beweglich, was für seine Qualität spricht.

Kann man sagen, dass es auch Teilnehmer gibt, die nur herkommen, damit es in ihrer Vita steht?

Es gibt Teilnehmer, die ich gefragt habe, ob sie überhaupt Interesse haben, noch an dem Text zu arbeiten. Manche sind da etwas indifferent. Aber ich würde sagen, das kommt auch von der ganzen Betriebsamkeit rund um die Schreibschulen. Die jungen Autoren und Autorinnen werden dazu angeregt, möglichst viele Projekte zu machen, sich hier und da und dort bei einem Wettbewerb zu bewerben. Ich glaube, oft geht es in den Schulen weniger um die Arbeit an Literatur als um die am Literaturbetrieb. Es findet dort auch in der Art, wie geschrieben wird, was hervorgehoben und gleich möglichst erfolgreich in den Markt eingespeist wird, so etwas wie die Normierung von Schreibweisen, von der Art, wie Geschichten und Geschichte geschrieben wird, statt. Und damit natürlich auch eine Normierung von Existenz.

Wird das nicht vielleicht auch von der Öffentlichkeit so gefordert? Die Autoren müssen bestimmte Projekte gemacht haben…

Ich habe das Gefühl, das sind Zuweisungen. Immer wird gesagt, die Öffentlichkeit wolle das oder das. Das ist doch nicht die Öffentlichkeit, die das was will, sondern es sind die erst noch zu findenden Kunden. Die werden genauso auf etwas eingespielt wie die Autoren. Was ist ein Autor? Wie wird sein Bild in der Öffentlichkeit gezeigt? Man bekommt das beim Bachmann-Preis doch sehr schön vorgeführt. Das sind Inszenierungen. Ich glaube, das ist etwas Gefährliches. Dadurch werden Körper, Gesten, Biographien normiert. Und der Sprache wird ihre Möglichkeit aberkannt, das andere zu erfinden, das, was nicht aufgeht in den Inszenierungen und Fassbarkeiten.

Mit der Realität wird immer auch die Imagination zugerichtet. Es wird zunehmend unmöglich gemacht, dass Sprache immer auch noch etwas anderes aussagt und dass Autoren anderes leben als das, was wir als ihr Bild kennen.

Es gibt ja eine Vielzahl an Stipendien und Preisen. Ist das nur Dekoration und gut fürs Image? Was braucht man tatsächlich für das eigene Schreiben?

Man braucht vor allem Eigensinn und man muss sich vom Geld entkoppeln. Für mich hat Schreiben nach wie vor mit einer ganz großen Sehnsucht zu tun. Beim Schreiben geht es doch um die Grenzen meiner Welt, sie durch eine andere Sprache zu öffnen. Das ist der Traum vom anderen Leben, das ist der Ruf: Du musst dein Leben ändern. Wenn ich mein Leben nicht so leben kann, wie ich es möchte, dann muss ich es mir eben erfinden, erschreiben. Dieser Moment ist ja sehr einfach, er ist aber auch sehr schutzlos und ohnmächtig. Man hat aber diesen Antrieb, diesen Wunsch und die Imagination. Das ist sehr viel. Zugleich ist es gar nichts. Denn was hat man vorzuweisen? Eigentlich nichts, man imaginiert ja, und das ist, worauf es ankommt. In den Schreibschulen und an den Universitäten wird das den Studierenden eher genommen, weil stattdessen oberflächliche Ideen vermittelt werden. Träumen ist doch wichtig. Die Verantwortung für das eigene Träumen zu übernehmen, das ist, was zählt. Ich denke, Autoren müssen gar nichts, sie müssen auch gar nichts sein oder erfüllen, nur dann kann auch wieder etwas entstehen.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen