Wort gegen Mord
Yuri Herreras Trilogie „Der König, Die Sonne, Der Tod“ durchbricht die Gewalt mexikanischer Städte
Von Simone Sauer-Kretschmer
Unter dem Titel „Der König, Die Sonne, Der Tod. Mexikanische Trilogie“ wurden gleich drei Romane des 1970 in Mexiko geborenen Schriftstellers Yuri Herrera zusammengefasst. Trilogie muss dabei als weit gefasster Begriff verstanden werden, denn die im spanischen Original mit einem Abstand von fünf Jahren erschienenen Bücher sind in sich geschlossene Romane. Eine Neuerscheinung ist „Abgesang des Königs“ zudem nicht, dieser wurde bereits 2011 bei Fischer veröffentlicht. Ob das Buch damals zu wenig Erfolg hatte, darüber kann an dieser Stelle nur spekuliert werden, Verwunderung würde dies allerdings kaum hervorrufen, denn Herreras Erstling ist der mit Abstand schwächste der drei Romane. Die zwei späteren Werke überzeugen jedoch vollauf.
Im Mittelpunkt von der „Abgesang des Königs“ steht ein junger Mann namens Lobo, der auf den Straßen einer mexikanischen Stadt lebt, bis er einem Mann begegnet, den eine besondere Aura umgibt. Der mächtige Unbekannte ist ein König, der Lobo in seinen Palast aufnimmt, damit dieser sein Talent als Verfasser und Interpret mexikanischer Corridos ihm allein widmet. Von nun an dichtet Lobo Lieder über den König und seine Männer, die ihren Ohren schmeicheln sollen. Doch in der Welt des Königs herrscht Krieg, und so lässt ein Verrat nicht lange auf sich warten. Die Figuren, die Herrera hier entwirft, bleiben bewusst schematisch und scheinen als Stellvertreter für unzählige andere Typen ihrer Art zu fungieren. Als Charaktere lassen sie sich daher kaum bezeichnen, denn sie sind auf ausschließlich eine Funktion innerhalb der Handlung beschränkt. Der Roman erweckt den Eindruck, als spielten seine Figuren die für sie vorgesehenen Rollen bloß, und auch wenn dies eine stilistische Entscheidung gewesen sein mag, die Geschichte überzeugt in dieser Form nicht. Allzu vorhersehbar konstruiert erscheint die Handlung, die Dramatik reißt nicht recht mit und auch ihr Held bleibt eine eher blasse Erscheinung. Doch die Neugier, was die zwei weiteren Romane betrifft, wird belohnt.
Auch in „Zeichen, die vom Weltende künden“ ist die Protagonistin Makina mit einem besonderen Talent gesegnet: Als einzige Dorfbewohnerin spricht sie nicht nur Spanisch, sondern auch Englisch, und weiß noch dazu ihre Worte mit Gewinn einzusetzen, so dass sie in ihrem Dorf zu einer Übermittlerin wichtiger Nachrichten wird. Ihr Taktgefühl verschafft Makina Zugang zu einflussreichen Persönlichkeiten. Sie weiß zudem, wem gegenüber sie besser schweigen sollte, was ihr manches Mal wortwörtlich die Haut retten wird. Denn Makinas Mutter, genannt die Cora, beuftragt sie damit, eine Nachricht an ihren Bruder zu überbringen, der auf der anderen Seite der mexikanisch-nordamerikanischen Grenze lebt. Das Unterfangen ist sehr gefährlich, doch die junge Frau nutzt ihre Beziehungen und kann die Reise zu den ‚Gringos‘ aufnehmen. Kurz vor dem Passieren der Grenze überschlagen sich die Ereignisse und Makina muss eine Reihe von Entscheidungen treffen, die ihr den Weg zurück beinahe unmöglich machen werden.
Die meisten populären Geschichten aus und über Mexiko erzählen vornehmlich von Gewalt, Drogenkartells, vermissten Frauen, Korruption und der Gefahrenzone um die Landesgrenzen. Auch Herreras Romane bilden dahingehend keine Ausnahme, aber sie nutzen Mexiko nicht als Schablone, um Brutalität darzustellen, sondern erzählen von Schönheit, einmaligen Gelegenheiten und vom Leben zum Trotz. So ist Makina eine sehr eindrucksvolle Figur und ihre Geschichte zwar außergewöhnlich, besitzt aber dennoch die Qualität, über sich selbst hinauszuweisen. Auch sämtliche Nebenfiguren, denen Makina im Laufe ihrer Reise begegnet, sind kantige Charaktere, über die man gern mehr erfahren würde, als es die kurzen Zusammentreffen mit der Hauptfigur erlauben.
Bedrohliche Extremsituationen sind auch das Thema des dritten und letzten Romans „Körperwanderung“, der die mittlerweile deutlich gestiegenen Erwartungen an das Erzähltalent Yuri Herreras noch übertreffen wird. Schon zu Beginn der Geschichte ist die Atmosphäre apokalyptisch: Schauplatz ist erneut eine mexikanische Stadt, in der eine folgenschwere Epidemie ausgebrochen ist, die die Menschen dazu zwingt, ihre Häuser nur im äußersten Notfall und unter entsprechenden Schutzvorkehrungen zu verlassen. Herreras Held, genannt der Alfaki, kann sich an diese Vorgaben jedoch nicht halten, denn er hat einen Beruf, der seine eigenen Regeln vorgibt. Er holt Leute, die ihn dafür bezahlen, aus scheinbar ausweglosen Situationen, legt Streitigkeiten und lang bestehende Familienfehden bei und verhindert manches Mal erfolgreich das Eingreifen von Polizei und Justiz. Ähnlich wie Makina ist auch der Alfaki ein Medium, das in dieser Geschichte zwischen mehreren Parteien vermitteln muss, denn gleich zwei sehr mächtige Männer haben einen Auftrag für ihn: Der eine vermisst einen Sohn, der andere eine Tochter, so dass der Alfaki sich durch die ihn umgebende Geisterstadt schlägt, um die Verschwundenen zu finden. „Körperwanderung“ ist eine hochaktuelle Variation des Romeo und Julia-Stoffes, vor dem Hintergrund sichtbarer und unsichtbarer Gefahren.
Lesenswert sind Herreras Geschichten nicht zuletzt, weil sie die Allgegenwärtigkeit der Gewalt mit kleinen Heldentaten durchbrechen und auch dort noch mit Worten jonglieren, wo sonst längst geschossen würde.
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