Legendäre Momente

Der Roman „Transatlantik“ des irisch-amerikanischen Autors Colum McCann erzählt von der Gewalt

Von Gunter IrmlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gunter Irmler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der irisch-amerikanische Schriftsteller Colum McCann erzählt in seinem Roman „Transatlantik“ von dem Leiden der Menschen durch Sklaverei. Wir erfahren auch vom lange währenden Kampf gegen Sklaverei und Gewalt und von großen, legendären Momenten der Menschheitsgeschichte. Und davon, wie Gewalt und Barbarei schon weit vor unserer Zeit herrschten und aus der Vergangenheit heraus bis in die Gegenwart hinein ihre immer noch fatale Wirkung zeitigen: „Es heißt, die Geschichte stehe letztlich auf Seiten der Vernunft, und doch ist dieser Ausgang keineswegs gesichert.“ Die Zeit und die Vergänglichkeit über einen Zeitraum von mehr als anderthalb Jahrhunderten sind nur eine Blickrichtung.

Die andere Marter und der Schmerz der Vergangenheit: McCanns Schauplatz ist Irland, und die Geschichte Irlands ist eng verflochten mit der der Vereinigten Staaten, wie bei McCann selbst, der 1965 in Dublin geboren wurde und heute mit seiner Familie in New York lebt. Als Journalist hatte er einst begonnen, als Schriftsteller spätestens mit dem Roman „Die große Welt“ weltweite Aufmerksamkeit gefunden und dafür den National Book Award erhalten – neben dem Pulitzer-Preis der renommierteste Literaturpreis der USA.

Eng verflochten ist die Geschichte beider Nationen auch bei Frederick Douglass, einem der einflussreichsten Afroamerikaner in der Mitte des 19. Jahrhunderts, ein Idol Martin Luther Kings und Barack Obamas und eine zentrale Figur in „Transatlantik“. Als Sklave schlief Douglass einst auf dem nackten Boden, seine Peiniger knebelten und brandmarkten ihn, ketteten ihn an und peitschten ihn aus. Jetzt aber, während einer Vortragsreise durch Irland, zieht Douglass seine Zuhörer in den Bann und ruft als große Persönlichkeit mit leidenschaftlichem Engagement zur Abschaffung der Sklaverei auf. Und das alles verknüpft McCann mit anderen herausragenden Momenten der Historie, wie dem Ringen für den Frieden in Nordirland durch den früheren US-Senator George Mitchell 1998. Mitchell, von Präsident Clinton beauftragt, zwingt „die Gewalt in die Knie“. Douglass wie Mitchell sind Pioniere und Heroen, die laut McCann mit ihrer Biografie exemplarisch für die Völkerverbindung oder den Frieden stehen. Wie auch die beiden Flieger John Alcock und Arthur Whitten Brown, die den ersten Non-Stopp-Flug über den Atlantik von Neufundland nach Irland 1919 bewältigten – lange vor Charles Lindberghs Flug.

Zu diesen historischen männlichen Figuren entsteht ein lebendiger Kontrast, weil wir bei dieser Reise in die Geschichte auch auf fiktionale weibliche Figuren treffen. Eine reichhaltige Szenerie über vier Generationen entwickelt sich, vom amerikanischen Bürgerkrieg bis in die Gegenwart. Im Mittelpunkt steht das irische Dienstmädchen Lily, das von Frederick Douglass’ politischem Wirken begeistert ist, er hat in ihr den Wunsch geweckt, als selbstbewusste Frau in den Vereinigten Staaten zu leben. Eher im Schatten der großen Weltgeschehnisse bestehen diese Frauen ihren schweren Alltag. Es sind Frauen, die ihrer Zeit jedoch weit voraus sind, die aufbrechen aus materieller Not in eine neue, möglichst selbstbestimmte Existenz.

Man mag einwenden, dass sich all diese berührenden Erzählungen erst allmählich zu einem „größeren Ganzen“ ordnen. McCann hat  diese Erzählstränge miteinander überzeugend zu einer kühn parabelhaften Darstellung und subtilen Hymne auf die Gewaltlosigkeit und Standhaftigkeit des Menschen verwoben: Jede scheinbar nur private Geschichte mit ihrem individuellen Schmerz und ihrer Sehnsucht nach Humanität ist eng verbunden mit der großen Weltgeschichte.  Dirk van Gunsteren hat das überzeugend in ein kristallklares Deutsch übertragen.

Titelbild

Colum McCann: Transatlantik. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2014.
381 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783498045227

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