Über große Strecken ärgerlich

Angelika Overath erzählt in ihrem Roman „Sie dreht sich um“ von Frauen, die aus Bildern sprechen

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Sie hatte noch etwas trinken wollen und in der Küche ihrem Mann vom Kühlschrank aus zugerufen, ob er auch etwas möchte. Da hatte er, er stand mittlerweile in der Tür wie in einem Rahmen, mit der sicheren Stimme des Oberstudienrats gesagt: Ich war nicht allein in Triest.“

Eine Alltagsgeschichte: Ein Mann betrügt seine Frau. Und: „sie wünscht sich ein Kind von mir.“

Anna Michaelis „sah zu ihm hin, ein Scherenschnitt in der offenen Tür.“ Sie packt ein paar Sachen in eine Tasche, fährt zum Flughafen, nimmt den nächsten Flug nach Edinburgh. Dort geht sie in die National Gallery und schaut sich Bilder an. Sie flieht: „Im Grunde war man gar nicht da. Die Bilder waren da, und man selbst konnte untergehen in ihrem Muster oder sich wegschauen in das Leben anderer.“ Und dann sieht sie ein Bild von Paul Gauguin, Jakobs Kampf mit dem Engel, im Vordergrund Frauen in der Tracht der Normandie, mit großen weißen Hauben. Und plötzlich beginnt eine der Frauen zu Anna zu sprechen: „So war es aber nicht. Wir sind nicht dagestanden und haben fromm und ergriffen hingeschaut. Warum auch!“

Sie erzählt Anna, wie es wirklich war. Wie Gauguin sie hingestellt hat, wie er sie brauchte, als Motiv. Wie es ihnen, den Mädchen, dabei ging, wie er mit ihnen umging, sie benutzte. Und dass er eine dänische Frau hatte. Also fliegt Anna nach Kopenhagen. Auch da geht sie in eine Ausstellung, mit Werken von Vilhelm Hammershoj. Und auch da spricht eine Frau aus einem Bild zu ihr, erzählt ihr von ihrem Leben mit dem Maler.

Vor einem Jahr zeigte die Kunsthalle Karlsruhe eine interessante Ausstellung, in der sich Schriftsteller und Wissenschaftler Geschichten zu 50 Spitzenporträts aus 500 Jahren ausgedacht hatten: Martin Walser, Hans Belting, Friederike Mayröcker, Herta Müller. Auch die aus Karlsruhe stammende Angelika Overath. Diese hübsche Idee hat Overath jetzt zu einem Roman ausgebaut, in dem ihre Heldin nach Boston, Paris und St. Moritz jettet, um sich in Museen Bilder anzusehen. Leider überreizt sie die Idee, verfällt in langwierige und oft langweilige Bildbeschreibungen, statt die Geschichte von Anna zu erzählen, die ja gerade ihren Mann verlassen hat oder von ihm verlassen wurde – so genau wird das nicht gesagt.

Natürlich handeln die Bilder und Overaths Erfindungen dazu vor allem von Malern und ihren Frauen oder Modellen, als Beispiel für Beziehungen zwischen Männern und Frauen allgemein. Von der Selbstaufgabe der Frau wie bei ihr Jo Hopper, die selber gemalt hat, dann aber nur noch für ihren Mann Edward da war. Von seltsamen Eheverhältnissen und unscheinbaren Stubenmädchen, die alles beobachten. Von einem schwangeren Mädchen, das auf einem Bild eine Treppe hinunterschreitet und von Giovanni Segantini später übermalt wurde. Aber das alles bleibt sehr im Vagen, hat weder einen Spannungsbogen noch eine Entwicklung, und für das, was in Anna vorgeht, bleibt es auch zu oberflächlich und inhaltsleer.

Leider ist auch Overaths Sprache nicht sehr sicher, oft ungenau und manchmal direkt falsch. So schreibt sie ständig „mit was“ statt „womit“, einmal erwähnt sie einen Zettel mit „Fragen, die sie auszufüllen hatten“, sie schreibt umständlich und oft mit kitschigem Pathos: „Der Gedanke durchfuhr sie wie ein alter Schmerz“. So hat sie eine gute Idee totgeritten, und der Roman, der so schön von einer festgefahrenen Ehe hätte erzählen können und dem Aufbruch einer Frau, ist über große Strecken ärgerlich. Bis zum Schluss, wo sie alles noch einmal zusammenfassen muss: „Etwas war mit ihr geschehen. Sie verstand es noch nicht recht. Aber sie fühlte es, so sicher, wie sie den Bildern zugehört hatte.“

Titelbild

Angelika Overath: Sie dreht sich um. Roman.
Luchterhand Literaturverlag, München 2014.
280 Seiten, 19,99 EUR.
ISBN-13: 9783630873497

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